Streben nach der Erkenntnis. Klaus Eulenberger
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Sie waren zuerst in Leipzig und in den letzten zwei Jahren als Hauptvertreter für die Kundschaft in Chemnitz und Westsachsen tätig. Herr Eulenberger hat es durch seinen Fleiß und seine Beharrlichkeit verstanden, für dieses Gebiet in der zweiten Jahreshälfte 1934 12 Prozent mehr Umsatz zu erreichen. Sie können stolz darauf sein, entscheidend zu diesem Ergebnis beigetragen zu haben, wobei wir auch mit unserer Anerkennung nicht zurückhalten wollen. Wenn Sie in diesem Sinne Ihre Arbeit fortsetzen, dann werden wir immer mit Ihnen zufrieden sein und Sie werden im Leben ein gutes Vorwärtskommen haben.
„Herbert, das ist ja bombastisch. Ich wusste schon immer, dass ich mit dir einen exzellenten Könner geheiratet habe!“
„Nun aber Schluss, Gretel, das ist alles Gewäsch, wenn mich die Firma Knorr, Heilbronn, bei denen ich ja zuletzt vor dem Krieg gearbeitet habe, nicht erneut weiter beschäftigt.“
„Ist ja richtig, Herbert, wir gehen gemeinsam noch einmal deine Bewerbung durch, wooobei …“ Mutti stockte, ihre Verwirrung erzeugte plötzlich fürchterlich viele Falten auf ihrer Stirn, „du dich ja eigentlich gar nicht neu bewerben müsstest, denn du warst ja, natürlich vor dem Krieg, angestellt. Sicher brauchst du nur zu schreiben – Bitte um Weiterbeschäftigung bei Ihnen, der Firma Knorr oder so ähnlich, Herbert.“
„Das ist natürlich richtig, Gretel, nur, wäre es nicht gescheit, wenn ich mich parallel dazu hier in der Gegend, zum Beispiel in Freiberg, als Kaufmann bewerbe?“
„Unbedingt, Herbert, tue das! Ich merke, dass du mich dazu nicht brauchst – ich bereite jetzt das Abendessen vor.“
Dann war erst einmal Ruhe mit diesem Thema. Aber schon in einer Woche setzte es sich, nur noch aufgeregter, fort. „Du, die Grube in Freiberg hat sich gemeldet. Ich soll dort nächste Woche vorsprechen.“ Strahlend antwortete Mama: „Herbert, ich hab große Hoffnung, dass wir wieder Wasser unter den Kiel bekommen!“ Ebenfalls überglücklich ging er darauf ein. „Wurde ja auch endlich Zeit – nach diesem unseligen Krieg und all den Sorgen. Auf dem Bauerngut hatten wir zwar eine gute Bleibe mit stabiler Versorgung, aber aus einem Kaufmann kann man so schnell keinen Bauer machen! Übrigens, Gretel, bist du unter die Seefahrer gegangen, weil du vom Kiel und Wasser darunter sprachst?“
„Ach, lass mal, wir hatten neulich in der Gemeinde so ein Thema, weil den Kiesbauers ihr Sohn in der Kriegsmarine war. Uns wurde avisiert, dass er in Kürze zurückkehrt. Er hat seiner Mutter einen fünfseitigen Brief geschrieben, den unser Bürgermeister geöffnet und uns vorgelesen hat. Da war viel vom Kriegsgeschehen auf See und der Hoffnung, dass immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel sein soll, die Rede. Er hatte so lieb an seine Mutti geschrieben. Wir haben fast die gesamte Zeit geweint und geschluchzt.“
„Wieso das, verstehe ich nicht, wenn der Sohn zurückkommt, ist das doch eine Freude.“
„Ach, Herbert, du weißt wieder nur die Hälfte. Man merkt richtig, dass du nicht in Kleinwaltersdorf gelebt hast. Hier sind während des Krieges nur zwei Häuser zerstört worden und eines war das von den Kiesbauers. Sie ist dabei umgekommen – fürchterlich, traaagisch, unheimlich trauuurig!“
Noch vor dem Termin in der Grube Freiberg erhielt Vater einen ziemlich dicken Brief von der Firma Knorr. Aufgeregt nestelte er daran herum, besah ihn von allen Seiten. Mutti sah man die Ungeduld und den Vorwurf gegenüber Vater an, so langatmig zu reagieren. Sie zog ein langes Gesicht, drehte erstaunt ihre Knopfaugen heraus und wunderte sich. Noch immer sagte sie nichts. Nun wurde es selbst Vater zu lang und er schaute hilfesuchend zu mir, der ich ihm gegenüber in der Stube am Tisch über meinen Hausaufgaben saß. Ich begriff schnell und reichte ihm einen Bleistift, den er rasch unter dem Kuvertverschluss hineinschob und hektisch nach oben riss. Laut knisternd zerriss der Verschluss. Ich fand – ziemlich liederlich. Muttis Gesicht veränderte sich aus der Vorwurfsausführung in ein normales, mir geläufiges, aber neugieriges. „Nun, los, Herbert, wird Zeit, dass du aus dem Knick kommst! Gib mir mal rasch her!“ Erstaunt, aber willig, reichte Vater ihr den Briefinhalt. Danach war längere Zeit Ruhe. Mutti las und Vater ärgerte sich schrittweise offensichtlich immer mehr. „Nun gib mal her oder lies vor! Du denkst wohl, ich hab nicht mitbekommen, wie vorwurfsvoll du vorhin geschaut hast, nur, weil ich ein bisschen überlegt habe. Jeder Mensch hat das Recht, auch mal in sich zu gehen. Schließlich war ich dort angestellt und nicht du. Lies endlich vor!“
„Herbert, die von Heilbronn loben dich über den grünen Klee, haben dich aber entlassen!“
„Gretel, jetzt langt’s! Du liest jetzt vor – aber ohne zu kommentieren! Denken kann ich schließlich selbst!“ Er sah, dass ich zusah und zuhörte und gab, ziemlich barsch, an meine Adresse von sich: „Weißt du, Klaus, man darf es, also, ich meine, wir Männer, dürfen es nicht mit der Gleichberechtigung der Frauen übertreiben. Du siehst ja hier selbst, was da für emanzipatorische Vorherrschaftsgebaren entstehen. Du solltest dir das für die Zukunft merken!“ Mutti schüttelte ziemlich energisch den Kopf, wollte kontern, aber man spürte, dass ihr der Inhalt des Briefes jetzt wichtiger war. Sie begann: „Hier erst mal das Zeugnis, Herbert“, sah mich an und ergänzte, „und Klaus. Herr Herbert Eulenberger, geboren 21. 11. 1908, stand vom 1. März 1938 bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht im September 1939 als fest angestellter Reisender in unseren Diensten … wurde er mit unsere Vertretung in Chemnitz betraut. Während seiner, leider nur eineinhalbjährigen praktischen Tätigkeit für unsere Firma hat sich Herr Eulenberger als geschickter Verkäufer erwiesen, der infolge seiner Beliebtheit bei der Kundschaft ansehnliche Umsätze erzielte. Seine Haltung war stets einwandfrei, auch seine verbindliche Art im geschäftlichen Verkehr mit der Leitung unseres Außendienstes war erfreulich. Wir hegten die Erwartung, dass sich Herr Eulenberger zu einer unserer besten Reisenden entwickeln würde. Leider unterbrach der Krieg den weiteren Einsatz. Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich zu unserem Bedauern nach Kriegsende so entwickelt, dass wir uns gezwungen sehen, Herrn Eulenberger, wie die meisten früheren Mitarbeiter im Außendienst nach ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft zu entlassen. Wir wünschen Herrn Eulenberger alles Gute für seinen ferneren Lebensweg.“
„Mensch, Vater, du musst ja wirklich richtig gut gewesen sein!“, entfuhr es mir. Ich sah, dass Vater sich über meine Bemerkung freute. „Schau mal hier, Herbert“, sie hielt ihm das Papier vor die Nase, „hier in deinem Anstellungsvertrag. Erstens … erhält gegen Erfüllung der Vertragspflichten ein monatliches Gehalt von RM 350 und zweitens an Reisearbeitstagen folgende Spesen: RM 4 bei Tätigkeit am Wohnort einschließlich der Auslagen für Straßenbahn, RM 5 für Abstecher in die Umgebung, wenn abends Rückkehr zu dem Wohnsitz möglich ist, RM 10 für eigentliche Reisetouren, wo auswärts übernachtet werden muss. Außerdem vergüten wir das Eisenbahnfahrgeld 3. Klasse.“
Als ich jetzt diese Zeilen schrieb, musste ich schmunzeln. Die 3. Klasse gibt es schon lange nicht mehr. In Gedanken sah ich ganz deutlich deren herrlich körpergerecht geformten Sitze aus meist hellem, tadellosen Holz und darüber die grünen Netze, die in Stahlhalterungen hingen. Meine Frau erzählte mir, dass, wenn sie an die Ostsee fuhren, diese Netze nicht für Koffer genutzt wurden. Vielmehr legte ihre Mutti Decken darauf und sie konnte wunderbar süß neben ihrer ein Jahr jüngeren, vierjährigen Schwester bis nach Rostock schlafen.
Die Diskussion um Vaters hervorragende Leistung bewegte mich und veranlasste mich zu der Bemerkung: „Das wird ja immer toller, Vater – Respekt! Deine Arbeit wird ja enorm anerkannt. Aber sag bitte mal: Ihr habt da also in der Firma Weber und Knorr nichts hergestellt, ich meine, keine Produkte gefertigt?“
„Aaaaber, Klaus, die Firma