33 Tage. Marko Rostek

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33 Tage - Marko Rostek

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habe ich soeben gegen Tisza wieder den Kürzeren gezogen.“ Die Entscheidung muss also beim nächsten Ministerrat fallen.

      Die Außenpolitik für den Moment ausblendend, verweist Berchtold in fließendem Französisch auf den exquisiten Geschmack des Tees, der noch immer auf dem Tisch steht und eine erfrischende Duftwolke verströmt. Er nimmt eine Tasse und reicht sie Tisza, der sie dankend annimmt und sogleich an die Nase führt, um das köstliche Aroma auszukosten. Berchtold prüft auf die gleiche Weise den Tee und genießt einen ersten kleinen Schluck. Die beiden Männer stehen auf und gehen, die Tassen in der Hand, wortlos zum Fenster. Sie schwenken ihre Tassen ein wenig, führen sie ein weiteres Mal zur Nase. István Tisza schließt kurz die Augen und bemerkt, ebenfalls in exzellentem Französisch und mit hörbarer Vorfreude auf seinen ersten Schluck: „Fürwahr, Exzellenz, das ist ein herrliches Aroma.“ Berchtold hebt seine gläserne Tasse an, um das Farbenspiel der grünbraunen Flüssigkeit zu betrachten. Dabei fällt sein Blick auf die im Hintergrund wehenden schwarzen Fahnen am Dach der Hofburg. Eine Weile hält er so die Tasse und beobachtet durch diese hindurch, wie sich die Fahnen sanft im Wind bewegen. Einen kräftigen Schluck nehmend beschließt er dann, den ungarischen Ministerpräsidenten rasch zu verabschieden und sich auf seine eigene morgige Audienz beim Kaiser und die nunmehr geänderten Rahmenbedingungen vorzubereiten.

      „Seine Majestät empfängt Sie nun, Herr Minister.“ Leopold Berchtold erhebt sich aus dem Wartesessel und schreitet der ihm zugewiesenen Tür entgegen. Unauffällig, so hofft er wenigstens, versucht er nochmals seine Haltung, seinen Gesichtsausdruck und eigentlich seine gesamte Erscheinung zu korrigieren und dem bevorstehenden Anlass anzupassen. Sogar ein leises Räuspern entfährt ihm. Doch ein verstohlener Blick auf den Adjutanten des Kaisers belehrt ihn im Vorbeigehen eines Besseren. Seine Bemühungen sind aufgefallen. Mit einem aufmunternden Lächeln und einer zustimmenden Kopfbewegung weist ihn dieser in das Arbeitszimmer des Kaisers und schließt die Tür.

      Stille.

      ***

      Der Minister des Äußeren war am Morgen wie gewohnt von Anton Brauer geweckt worden. Im Vergleich zu den letzten Nächten in Wien hatte er diesmal jedoch eine unruhige Nacht hinter sich. Er fand lange keinen Schlaf und ging im Geiste oftmals das Gespräch mit Ministerpräsident Tisza durch. Natürlich warf die heutige Audienz beim Kaiser ihre Schatten voraus und er versuchte in den wachen Phasen immer wieder, mögliche taktische Fehler in seinen Formulierungen auszumerzen. Nach dem Aufstehen konnte er keine nennenswerte Erholung in Körper und Geist feststellen. Nach dem Frühstück schrieb er, einer alten Gewohnheit treu bleibend, seiner Frau ein Telegramm und berichtete ihr darin auch von der heutigen Audienz. Für das Studium der Morgenzeitungen hatte er nur eine kurze Zeitspanne übrig, die doch lang genug war, damit ihm wie schon während der letzten Tage auffiel, dass die österreichische und internationale Presse, ausgenommen die serbische natürlich, keinerlei Hetzartikel und ähnliche Kriegstreibereien veröffentlichten. Auf den ersten Blick hielt er dies für ein Positivum, denn so wurde auf die Regierung und auf ihn kein Druck für ein rasches Handeln aufgebaut. Bei näherer Betrachtung musste er sich jedoch eingestehen, dass das Fehlen von Forderungen nach Straf- und Vergeltungsmaßnahmen möglicherweise als Zeichen von weitgehendem Desinteresse interpretiert werden musste. Damit wäre eine breite Zustimmung in der öffentlichen Meinung für einen Waffengang gegen Serbien nur sehr schwer zu erreichen. Im Vorfeld einer Audienz beim Kaiser wollte er sich an diesem Morgen eingehend mit dieser Frage befassen. Noch während er seine Unterlagen ein letztes Mal durchsah, beschloss er, diese Gedanken später seinen engsten Mitarbeitern im Ministerium auseinanderzusetzen.

      Zeitgerecht brach er von seiner Wohnung aus direkt nach Schönbrunn auf. Der Kaiser hatte ja seinen Sommeraufenthalt unterbrochen, um in der Hofburgkapelle an der Trauerzeremonie für seinen Neffen teilzunehmen. Für Berchtold, wie für viele andere Regierungsmitglieder, war diese Situation vorteilhaft, denn mit der Allerhöchsten Anwesenheit in Wien entfielen für die Audienzbesuche die mühsamen und zeitraubenden Fahrten nach Ischl.

      ***

      „Wie geht es Ihnen, Herr Minister. Sie sehen blass aus!“ Die Stimme klingt heiser. Berchtold wendet sich in die Richtung, aus der die Worte zu ihm dringen, und sieht den alten Kaiser im Hintergrund des Zimmers stehen. Aufrecht und ungebeugt, den Schicksalsschlag der jüngsten Vergangenheit nicht zeigend, steht der Monarch in der Uniform eines Kavalleriegenerals neben dem Audienzpult. „Vielen Dank für die Allerhöchste Nachfrage, Majestät. Ich befinde mich wohl, jedoch habe ich heute eine kurze Nacht hinter mir. Das wird Euer Majestät mir wohl ansehen.“ „Graf Tisza vertritt offensichtlich seine Ansichten mit ungebrochener Standhaftigkeit“, gibt der Kaiser zurück und unterstreicht damit neuerlich, wie gut unterrichtet er stets ist. Und er führt weiter aus: „Er hat Uns von der Unterredung mit Euch berichtet und Uns seine Argumente ebenfalls nachhaltig vorgebracht. Wir können Uns seinem Standpunkt nicht verschließen …“ Franz Joseph macht eine Pause, blickt auf seinen Schreibtisch, wo neben unzähligen Akten und Papieren auch Fotos seiner Familie stehen. Dann fährt er fort: „Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein, Herr Graf?“

      Berchtold beginnt, die Gespräche mit Conrad, den Ministern und den diversen Botschaftern zusammenzufassen, und erwähnt auch seine Eindrücke aus den Pressemeldungen der letzten Tage. Sorgfältig darauf bedacht, in seinen Sätzen keine Formulierungen zu verwenden, die Seiner Majestät eine Handlungsweise aufzwingen könnten, schließt Berchtold mit den Worten: „Durch die Mächtekonstellation in Europa, durch die unsichere Haltung Rumäniens uns gegenüber und die seit den Balkankriegen 1912 und 1913 geschwächte Stellung Bulgariens können wir es uns nicht leisten, gegen Serbien ein weiteres Mal nachsichtig zu sein. Wir stehen vor einem Existenzkampf, Euer Majestät, den wir, sollte Russland eingreifen, allein nicht bewältigen können!“ „Der deutsche Botschafter“, unterbricht ihn der Kaiser, „war gestern bei Uns und hat Uns mit freundlichen Worten zu Besonnenheit und Ruhe gemahnt, jedoch dabei auf das Äußerste betont, dass der deutsche Kaiser Unser wärmster und innigster Bundesgenosse sei und stets seine Bündnispflichten wahrzunehmen gedenke.“ „Auch mir wurde dies mehrmals versichert, Majestät“, erwidert Berchtold und fährt fort: „Ich gebe aber zu bedenken, dass durch ein langes Zuwarten, um eine Vergeltungsmaßnahme zu beginnen, unsere aktuell vorteilhafte Situation, in Anbetracht des schmerzvollen Verlustes, immer mehr zu verblassen droht. Ich fürchte, die moralische Legitimation einer Strafexpedition gegen Serbien wird uns immer mehr abhandenkommen, wenn wir nicht sehr bald reagieren.“ Berchtold zögert kurz, um dem Kaiser Gelegenheit zu einer Antwort zu geben.

      Als dieser nicht reagiert, fährt er fort. „Euer Majestät, ich erlaube mir untertänigst, auf die bereits an Euer Majestät übermittelte Denkschrift hinzuweisen, die wir gemeinsam mit dem Kriegsministerium noch vor dem Attentat ausgearbeitet haben. Die Militärs sind der Meinung, dass wir sofort losschlagen sollten, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Der ungarische Ministerpräsident, als Gegenpol, neigt der Meinung zu, eine kriegerische Aktion sei nicht vorstellbar. Ich schlage vor, die Denkschrift an das Deutsche Reich zur Kenntnisnahme zu senden, verbunden mit dem dringenden Ersuchen um eine Stellungnahme, welche Haltung Berlin zu unserer Lage im Allgemeinen und zu einer möglichen Vergeltungsmaßnahme im Besonderen einnimmt.“

      In diesem Moment tritt die Sonne durch die Wolken und strahlt durch die großen Fenster bis weit in das Innere des Arbeitszimmers. Durch eine unmissverständliche Geste hat sich der Kaiser eine Nachdenkpause ausbedungen und Berchtold wagt es nicht, sich auch nur durch eine unbedachte Bewegung bemerkbar zu machen. In seiner typischen Körperhaltung, mit auf den Rücken verschränkten Händen und leicht nach vorne gebeugt, geht Franz Joseph langsam auf seinen Schreibtisch zu. Nichts ist zu hören, sogar die Schritte des Monarchen dringen nur gedämpft an das Ohr des Ministers, da im ganzen Raum großflächig Läufer und Teppiche verlegt sind. Der Schreibtisch steht nah bei einem der Fenster und gewährt dem Kaiser, wenn dieser auf seinem alten, mit schwarzem Leder bezogenen Stuhl sitzt, einen schönen Blick in den Park. Im Gegensatz zu den sonstigen Gepflogenheiten des Kaisers ist der Schreibtisch Franz Josephs ein formvollendetes Schmuckstück, das die Blicke

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