33 Tage. Marko Rostek

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33 Tage - Marko Rostek

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betrachtet, doch in diesem Moment gewähren die einfallenden Sonnenstrahlen einen besonders erhabenen Blick auf das Möbelstück. Die zweifach geschwungenen Tischbeine, die sich nach unten hin beeindruckend verjüngen, sind reich verziert und üppig mit allerlei Ornamenten ausgeführt. Bei genauer Betrachtung erkennt man, dass ihre unteren Enden als Pferdefüße ausgeführt sind und so einen Hinweis auf eine der Leidenschaften des Kaisers geben. Die Beine geben einer Tischplatte Halt, die sich mit diesen wiederum zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügt. Schmale Laden sind an der Benutzerseite untergebracht, die allerlei Schreibutensilien des Kaisers beinhalten. Berchtold hat bei einer Audienz vor Jahren die Gelegenheit gehabt, einen kurzen Blick hineinzuwerfen, als der Kaiser nach Feder und Tusche suchte. Die Griffe der Laden sind im Gegensatz zum ansonsten im Überfluss mit Verzierungen versehenen Tisch ungewöhnlich schlicht als einfache Messingringe ausgeführt. Wenn der Kaiser diese anhebt, um die jeweilige Lade aufzuziehen, kann man, die entsprechende Stille vorausgesetzt, ein leichtes Quietschen vernehmen. Neben den Stößen mit Akten, Papieren sowie einigen Bildern stehen an beiden Seiten des Tisches zwei klassische Öllampen, die auch dann für ausreichend Licht sorgen, wenn der Kaiser wie gewöhnlich seinen Arbeitstag um 5 Uhr morgens beginnt.

      Leopold Berchtold richtet nun, nach wie vor am selben Platz stehend, seinen Blick wieder auf den Kaiser und beobachtet jede Regung des greisen Herrn scharf. Seine Bewunderung für den Kaiser mischt sich mit Ehrfurcht, schließlich ist Franz Joseph länger im Amt, als der überwiegende Teil der Bevölkerung alt ist. „Wie oft in den letzten Jahren bin ich schon hier gestanden und habe schwierige und weitreichende Belange vorzutragen die Ehre gehabt. Viele davon haben das Schicksal der Monarchie mitbestimmt“, erinnert sich Berchtold an die letzten beiden Jahre, als die Balkankriege eine vollkommen ähnliche Ausgangslage schufen. Nur seiner und des Kaisers Friedensliebe ist es zu verdanken, dass nicht damals schon ein europäischer Krieg ausgebrochen ist. „Und was hat uns die Nachgiebigkeit gegenüber Serbien gebracht …?“ Berchtold spricht in Gedanken zu sich selbst und erspart sich die Antwort, denn er kennt sie nur zu gut. Während der Kaiser weiterhin regungslos und in Gedanken vertieft auf seinem Platz verharrt, quälen den Minister Selbstzweifel und Frustration. „Ich zweifle immer mehr daran, dass unser bisheriger Kurs, den Frieden um jeden Preis zu erhalten, der richtige Weg Serbien gegenüber ist. Conrad und die anderen Befürworter eines kriegerischen Aktes scheinen auf lange Sicht recht zu behalten …“ Er ist sich selbst gegenüber ungewohnt ehrlich. Berchtold gibt sich in diesem Moment keinen Illusionen hin, sondern ist vielmehr überzeugt, dass viele Menschen in Österreich dieser Meinung sind. „Ein weiteres Mal den Friedenskurs beizubehalten, das erscheint mir vor diesem Hintergrund ungemein schwer, wenn nicht gänzlich unmöglich. Sie würden mich vom Ballhausplatz jagen!“

      Eine Bewegung des Kaisers reißt Berchtold aus seinen Gedanken und bringt ihn zurück in die Gegenwart. Franz Joseph hat ein Bild zur Hand genommen und betrachtet es aufmerksam. Seine Gesichtszüge erhellen sich zusehends, sodass Berchtold zuletzt beinahe einen Anflug eines Lächelns um die Mundwinkel des Monarchen erkennen kann. Die Nachdenkpause währt nun schon einige Minuten und Berchtold zeigt bereits erste Anzeichen von Ungeduld, als Franz Joseph das Bild auf den Schreibtisch zurückstellt und sich wieder seinem Minister des Äußeren widmet: „Ein weiteres Mal müssen Wir Uns nun mit Serbien und dessen ungeheuerlichem Verhalten gegenüber Unserem Land auseinandersetzen. Die Friedensliebe und Nachgiebigkeit, mit der die Monarchie bisher die Bewunderung des zivilisierten Europa geerntet hat, hat leider nicht die erhoffte Wirkung erzielt!“

      Der Kaiser hält kurz inne, wendet sich dann Berchtold zur Gänze zu und fährt fort: „Wir halten daher nach reiflicher Überlegung ein kraftvolles Auftreten gegen Serbien für unvermeidlich.“ Erst jetzt geht der Kaiser einige Schritte auf den Minister, der sich bei diesen Worten sichtlich erfreut zeigt, zu, macht aber durch unmissverständliche Kopfbewegungen deutlich, dass an den folgenden Worten nicht zu rütteln ist: „Aber eine militärische Aktion ist unter den gegeben Umständen nicht durchführbar.“ Berchtold starrt auf den Kaiser. Dieser fährt fort: „Wir haben Uns daher entschlossen, die Sachlage weiter zu prüfen und vorläufig eine abwartende Haltung einzunehmen. Wir werden jedoch ein Allerhöchstes Handschreiben verfassen und es der von Euch vorgelegten Denkschrift hinzufügen, damit beides dem Kaiser des Deutschen Reiches zu dessen geschätzter Kenntnisnahme vorgelegt werden kann!“

      Damit ist die Audienz augenblicklich beendet. Leopold Berchtold verneigt sich und geht rückwärts die zwei Schritte bis zur Tür. Dort dreht er sich um und verlässt das kaiserliche Arbeitszimmer. Im Vorzimmer bekommt er seine Garderobe gereicht und wird von einem Diener zum Ausgang des Schlosses geführt. Im Wagen, der ihn in das Ministerium bringt, sortiert Berchtold seine Gedanken und er versucht, die Entscheidung des Kaisers einzuordnen. Die Festlegung Franz Josephs bedeutet zuallererst, dass eine unmittelbare militärische Aktion ausgeschlossen ist und sich das Gewicht der Aktivitäten auf das diplomatische Feld verlagert. Damit schließt sich der Kaiser seinem und Tiszas Standpunkt an und erteilt jenem von Conrad und den Militärs eine Absage. Aber völlig offen geblieben ist, was gegen Serbien unternommen werden kann, wenn die Stellungnahme aus dem Deutschen Reich eintrifft.

      Der Minister resümiert die Audienz mit einem Anflug von Orientierungslosigkeit. Nach Prüfen der Möglichkeiten sieht er jedoch die Chance, die Haltung Berlins in seine Politik einfließen zu lassen. Je nachdem wie die Stellungnahme ausfällt, wird er diese gegen Conrad und seine Militärintervention oder gegen Tisza und seine ausschließlich ungarische Sichtweise ins Treffen führen. Sollte man in Berlin tatsächlich bereit sein und mit der Monarchie auch im Ernstfall den Schulterschluss bilden, so sieht er jetzt kostbare Zeit verrinnen. „Hier bin ich mit Conrad einer Meinung.“ Berchtold fällt es schwer, sich diese Gemeinsamkeit einzugestehen, denn sie bedeutet, dass man womöglich parallel zur diplomatischen Aktion in Berlin militärische Vorkehrungen zu treffen hat.

      Der Minister überschlägt kurz den bevorstehenden Zeitaufwand und stellt fest, dass durch die Mission in Berlin ein möglicher Waffengang um drei Tage verzögert wird. „Das sollte zu verschmerzen sein!“ Berchtold beruhigt vor allem sich selbst damit, denn er kennt die militärischen Zusammenhänge der gegenwärtigen europäischen Bündnisverpflichtungen nicht im Detail. Es gilt nun, alle Anstrengung und Energie darauf zu verwenden, die Stellungnahme des deutschen Kaisers einzuholen. Wer könnte diese Mission erfüllen? Nachdenklich kramt Berchtold in seiner Aktentasche nach einem Notizblock, um mögliche Kandidaten zu notieren. Für so eine heikle Aufgabe kommen aus seinem Ministerium nur jene infrage, die sein vollständiges Vertrauen genießen. Bei diesem Gedanken fällt ihm zuallererst ein Name ein, den er nicht notieren muss. Zufrieden zieht er die Hand wieder aus der Tasche und lehnt sich mit einem erleichterten Gesichtsausdruck zurück. „Sektionschef Hoyos ist ein kluger Schachzug!“

      ***

      Als nächster zu bearbeitender Akt liegt der Bericht Nr. 212 auf seinem Schreibtisch. Der Preuße entnimmt dem Akteneinband, dass es sich um ein Protokoll aus Wien handelt. „Aha, Tschirschkys aktueller Bericht!“ Mit seiner seit der Geburt verstümmelten linken Hand fixiert er das Papier und mit der rechten greift er nach der Feder, um, wie er es für gewöhnlich zu tun pflegt, die ihm vorgelegten Aktenstücke mit Randnotizen zu versehen. Der 55-Jährige kann sein leicht erregbares Temperament nur schwer zügeln, als er den Bericht durchliest. Immer wieder hält er mit dem Lesen inne und äußert lautstark seinen Unmut. Die Schilderungen seines Wiener Beamten über das letzte Zusammentreffen mit dem österreichischen Minister des Äußeren, Graf Berchtold, sind das völlige Gegenteil dessen, was anlässlich des jüngsten Ereignisses in Sarajevo seine eigenen politischen Ansichten beherrscht.

      Das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand hat ihn nicht nur in seinem monarchischen Selbstverständnis zutiefst getroffen, sondern ihm auch einen gerade erst gewonnen politischen Freund genommen. Die menschliche Tragödie wird dadurch noch verschlimmert, dass das Attentat die heiß geliebte Segelregatta, die alljährlich in Kiel stattfindet, verdorben hat. Sein Zorn auf die Attentäter ist gewaltig. Von Anfang an ist ihm klar gewesen, dass Wien hierzu mit aller gebotenen Härte in Serbien Sühne und Rechenschaft einzufordern hätte. Der vorliegende Bericht spricht jedoch eine gänzlich andere Sprache. Wie dem Papier zu entnehmen ist, hat sein Botschafter in Wien mit

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