33 Tage. Marko Rostek
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SONNTAG, 5. JULI
Die Nacht im Zug ist ruhig verlaufen, nur einmal hat der Schaffner seinen Schlaf gestört und einen außerplanmäßigen Halt bei Dresden angekündigt. Man müsse bei einem Aggregat der Lokomotive ein Ventil tauschen, was jedoch innerhalb von Minuten erledigt sein würde. Noch schlaftrunken seinen Zeitplan im Kopf durchgehend, hat er sich, mit einem für den Schaffner wohl unverständlichen „Danke für die Information“-Gebrummel wieder umgedreht und ist alsbald durch das charakteristische Tocktock, Tock-tock der Eisenbahn wieder eingeschlafen. Eine halbe Stunde vor Berlin wird er, wie vereinbart, geweckt, kleidet sich an und lässt sich das Frühstück in das Abteil bringen.
Als er schließlich in Berlin aus dem Zug steigt, fühlt er sich bestens vorbereitet und zuversichtlich, die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen zu können. Vor dem Bahnhof ist er fasziniert von dem Getümmel, dem geschäftigen Treiben in den Straßen, den unglaublich vielen Automobilen und den allerorts erkennbaren Anzeichen einer prosperierenden, modernen europäischen Metropole. Einige Minuten bleibt er so stehen und erliegt ganz der Anziehungskraft des pulsierenden Treibens. „So stelle ich mir die Moderne des 20. Jahrhunderts vor“, denkt er bei sich. Kurz darauf wird er vom Mitarbeiter der österreichischen Botschaft entdeckt, der ihn im Automobil zum Botschaftsgebäude bringt. Nachdem er kurz beim österreichischen Botschafter vorstellig geworden ist, um diesen noch mündlich in die bevorstehenden Gespräche einzuweihen, der durchgeführte schriftliche Telegrammwechsel wird in Zeiten der unausgesetzten Spionagegefahr nur auf die nötigsten Formalismen beschränkt, deckt er sich mit den notwendigen und neuesten Informationen über seine Kontaktpersonen, die er in den nächsten Tagen treffen wird, ein.
Hoyos hat es eilig, denn er wird bereits zum Mittagessen vom deutschen Kaiser erwartet. Der Botschaftsangehörige, der ihn vom Bahnhof abholt, begleitet ihn zum neuen Palais in Berlin und setzt ihn pünktlich vor den Toren des Amtssitzes von Kaiser Wilhelm ab. Während Alexander Hoyos mit großen Augen das imposante Stadtschloss bewundert, erinnert er sich beruhigt daran, dass er seine Unterredungen für den heutigen Tag wieder und wieder im Geiste durchgegangen ist.
Hoyos blickt dem Mitarbeiter der Botschaft nach und wartet, bis dieser einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe gefunden hat, dann wendet er sich dem monumentalen Eingangstor des Stadtschlosses zu. Hoch aufragende, beeindruckende Steinsäulen umrahmen ein prächtig glänzendes schwarzes Gittertor, das an seinem oberen Ende mit dem prunkvollen Wappen der Hohenzollern gekrönt wird. Das große Tor, das nur dann geöffnet wird, wenn für Automobile und Lastkraftfahrzeuge die Einfahrt frei gemacht wird, gestattet einen eindrucksvollen Blick auf das Anwesen des deutschen Kaisers. Eine breite und mit strengen, geradlinigen Mustern gepflasterte Straße führt vom Tor geradewegs zum Haupteingang des Schlosses. Links und rechts der Straße sind üppige Blumenrabatten und Beete angelegt, die von kurz geschnittenen Buchsbaumspalieren eingesäumt sind. Im Hintergrund erkennt Alexander Hoyos die ausgedehnten Parkanlagen.
Für jene Gäste, die zu Fuß zum Palast kommen, gibt es an beiden Seiten des großen Tores kleinere Eingangstüren. Zielsicher und ein wenig ehrfurchtsvoll steuert der Österreicher auf den Eingang zu. Nach Aufforderung des Wachhabenden meldet sich Hoyos als Gast des deutschen Kaisers an. Der diensthabende Offizier blättert kritisch in seinen Unterlagen, um dann bei den Einträgen zum heutigen Tag mit den behandschuhten Fingern die Seite entlang nach unten zu fahren. Beim Besuchseintrag für die Mittagsstunde hält sein Finger abrupt an. Der Offizier beugt sich nach vorn um die ausgesprochen klein geschriebenen Buchstaben lesen zu können. „Sektionschef Alexander Hoyos, Wien“, liest der Mann vor. Er richtet sich wieder auf und wirft einen prüfenden Blick auf den Gast: „Ich bitte Sie, mir Ihre Papiere vorzulegen.“ Nachdem sich Hoyos mit seinem Diplomatenpass legitimiert hat, ruft der wachhabende Offizier einen Chargen herein und erteilt den Auftrag, den Gast aus Österreich ins Palais zu Kaiser Wilhelm zu geleiten. Kurz darauf verlassen beide die Torwache durch eine hintere Tür und schreiten dem weiträumigen Vorplatz des Palais entgegen.
Hoyos fällt überall Personal ins Auge, das mit vielerlei Aufgaben beschäftigt ist. Auch Angehörige der Armee in unterschiedlichen Uniformen sind anwesend und wirken allesamt ausgesprochen beschäftigt sowie höchst konzentriert in der Ausführung ihrer Aufgaben. Während die beiden flinken Schrittes auf den imposanten Haupteingang des Schlosses zusteuern, bemerkt der österreichische Delegierte mit Genugtuung, dass man von ihm keine Notiz nimmt. Vorbei an Beeten mit üppigem Blumenschmuck und saftig grünen Rasenanlagen erreichen die beiden den Haupteingang, der ihnen vom zuständigen Personal so zeitgerecht geöffnet wird, dass sie für das Eintreten nicht stehen zu bleiben brauchen. Über eine prachtvolle weiße Marmortreppe geht es in den ersten Stock, dann nach links und einen schier endlosen Gang mit unzähligen Türen an beiden Seiten entlang. Unvermittelt schwenkt der Begleiter alsbald in einen Seitengang und bleibt kurz darauf vor einer eindrucksvollen Eichentür mit schweren Beschlägen stehen. „Bitte warten Sie hier einen Moment, ich werde Sie unverzüglich bei Seiner Majestät anmelden.“ Mit diesen Worten öffnet der Charge die Tür und verschließt diese von der anderen Seite, noch bevor Hoyos einen Blick hineinwerfen kann. Das Geräusch der zugeworfenen Tür hallt den Gang entlang und entschwindet nur langsam Hoyos‘ Ohren.
Kein Mensch ist zu sehen. Hoyos lauscht angestrengt. Von der anderen Seite der Türe sind Schritte zu hören, die langsam näher kommen und sich wieder entfernen. Die kurze Wartezeit nützend, ruft sich Sektionschef Hoyos, während er seine Tasche mit den Unterlagen auf den Boden stellt, nochmals seinen Auftrag in Erinnerung. In den bevorstehenden Zusammentreffen, heute mit dem deutschen Kaiser und morgen mit dem Reichskanzler, gilt es, jene Zusicherungen einzuholen, die nach Ansicht seines Chefs, Minister Berchtold, die Voraussetzung darstellen, um es überhaupt zu einem Vergeltungsschlag gegen Serbien kommen zu lassen. Zu seiner offiziellen Mission gehört auch das Überbringen der Denkschrift und des Memorandums. In Ergänzung dazu soll er in Berlin die Lage der Monarchie am Balkan mündlich ausführlich hervorheben. Im Angesicht der Tragödie von Sarajevo habe er mit größtmöglicher Bestimmtheit die Verpflichtung für Österreich-Ungarn herzuleiten, den von der serbischen Aggression aufgezwungenen Existenzkampf nunmehr sofort aufnehmen zu müssen. Um für dieses Vorhaben Rückendeckung gegenüber den Mächten zu erhalten, habe er weiters das Deutsche Reich um diplomatische Unterstützung vor allem gegenüber Italien und Rumänien, die beide höchstwahrscheinlich Kompensationsforderungen an Österreich stellen werden, zu ersuchen und unbedingt zu erhalten. Es ist natürlich kein Zufall, dass Berchtold gerade ihn für diese Mission ausgewählt hat, denn er ist einer jener engen Berater im Ministerium, die für eine harte und kraftvolle Vorgehensweise gegen Serbien eintreten. Für Hoyos sollte es daher ein Leichtes sein, in den geeigneten Momenten der bevorstehenden Verhandlungen die nötige Selbstsicherheit und die richtigen Argumente für die österreichische Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit vorzubringen.
Hoyos zupft an seinem Jackett und blickt prüfend an sich herunter. Der Schlips sitzt ordentlich, die Hose ist faltenfrei und sauber, die Schuhe glänzen. Dann zieht er beide Hemdsärmel zurecht, sodass die Manschettenknöpfe deutlich sichtbar unter den Jackettärmeln hervorblinken. Seine Gedanken kreisen noch um etwas anderes, das ihm mitgeteilt worden ist. Neben den Dokumenten und seinen offiziellen Aufträgen hat ihm Berchtold kurz vor der Abreise unter vier Augen noch eine mündliche Instruktion