Wer bin ich?. Keith Hamaimbo

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Wer bin ich? - Keith Hamaimbo Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge

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oder ‚Du weißt, wie wir SIEBENEN sind. Bei uns muss immer was los sein.‘ Wer sich so rechtfertigt oder herausredet, betreibt natürlich mit dem Enneagramm Missbrauch.354

      In Zeiten des Informationsaustauschs werden durch das Internet Chaträume bei vielen Menschen zur Plattform der Typ-Selbstrechtfertigung. Nur ein paar Auszüge von Aussagen, die anonym aus Foren entnommen wurden:

      - Natürlich habe ich auch die Sturheit der Neun, wenn ich etwas nicht will, kriegen mich keine zehn Pferde dazu – und ich merke das noch nicht mal. Daran haben sich schon einige die Zähne ausgebissen.…

      - Ich bin eine klassische VIER

      - Die Wut der Acht finde ich manchmal sehr schön

      Und Nogosek schreibt weiter darüber:

      Begeisterte Enneagramm-Anhänger stellen sich gegenseitig mit ihrer Charakter-Zahl vor: „Gestatten, ich bin ein Fünfer! Und Sie? – Interessant, ein Achter!“, und sofort kann das angeregte Insider-Gespräch beginnen. Das zeigt die Gefahr und die Grenzen der Lehre vom Enneagramm: Man kann sich selbst auf seinen Charaktertyp fixieren und damit geradezu kokettieren.355

      Eli Jaxon-Bear schreibt:

      Wie jede kraftvolle Medizin kann auch das Enneagramm leicht missbraucht werden. Die große Gefahr liegt darin, dass wir die Identifikationsmuster erkennen und diese Einsicht dann benutzen, um das Muster beizubehalten. Zum Beispiel: ‚Ach, ich bin ja eine Fünf, deshalb muss ich mich zurückziehen.‘ Oder ‚Ich bin doch eine Acht, also ist es ganz natürlich, wenn ich wütend werde.‘ Ich hör solche Rechtfertigungen oft genug. Das ist die Gefahr. Das heilige Enneagramm dient dann nicht als reiner reflektierender Spiegel, sondern wird wieder nur zu einem Weg, mit dem man dem Ego Kraft gibt, anstatt es zu durchschauen und ihm direkt zu begegnen.356

      Der letzte Aspekt handelt vom Umgang mit anderen. In einem Interview mit der Ordensschwester Mary drückt sie ihre Forderung aus, dass Menschen gut im Enneagramm geschult sein sollten. Wenn jemand keine Chance habe, mit dem Enneagramm zu wachsen und seinen wahren Nutzen zu erkennen, könne es vorkommen, dass – in der Begeisterung über die neue gewonnenen Informationen – der prozesshafte Aspekt des Enneagramms außer Acht gelassen werde und andere mit dem Wissen nur noch geboxt würden.357

      Ausgehend von den zuvor dargelegten Gedanken über das Enneagramm als Typologie lässt sich nun fragen, welche Verbindung das Enneagramm als Typologie zum Enneagramm als Prozessmodell hat. Nach Riso und Hudson verliert die Typologie (Persönlichkeit) ihre Kraft über eine Person nicht, indem sie ignoriert werde, sondern indem man sich damit konfrontiere.358 Zum Beispiel erzählt Beate wie schwierig es für sie gewesen sei, auch die negativen Aspekte ihres Typs angucken zu müssen. Für sie sei es zum Teil beschämend gewesen, die typologischen Aspekte des Enneagramms in Bezug auf ihren Enneagramm-Typ anzunehmen. Auf der anderen Seite sei es nach eingehender Beschäftigung für sie eine gute Chance gewesen, „auf sich selber zu gucken, in einer sehr wertschätzenden Art und Weise.“359 Durch die vielen Möglichkeiten, die es im Enneagramm gebe, habe sie sich letztendlich in einem angemessenen Zeitraum damit anfreunden können, dass der Prozess des persönlichen Wachstums mit der Wahrnehmung der positiven sowie negativen Aspekte der typologischen Beschreibungen anfange.360

      Auf einer interpersonalen Ebene sei das Enneagramm als Typologie der erste Schritt zu einer Wertschätzung der Wechselwirkungen der Interaktionen in zwischenmenschlichen Beziehungen, sagt Herr Müller. Dass durch die Typologie einige Eigenschaften des Gegenübers erkannt würden, heißt für Herrn Müller, dass er zwangsläufig auch auf sich schaue. Er hat die Gelegenheit zu schauen, wie er sich von dem anderen unterscheidet oder wie er ihm ähnelt. Für Herrn Müller lehrt das Enneagramm, dass das zwischenmenschliche Verhalten nicht autonom sei, sondern es lehrt den Wert der Dualität, im WIR zu denken. Nach Herrn Müller kann das christliche Gebot der Feindesliebe auch so verstanden werden, dass man den anderen in seinem Menschsein versteht, aber vor allem in Bezug auf sich selbst die negativen Seiten annimmt.361 Feindesliebe lehrt somit auch Selbstliebe, zu der man nur durch einen Prozess gelangen kann.

      Folglich ist das Enneagramm als Typologie für die Arbeit mit dem Enneagramm als Prozessmodell notwendig. Es ist der Anfang des Prozesses. Das eine ersetzt das andere nicht, sondern beides greift ineinander. Der Weg von der Typologie zum Prozessmodell führt nicht zur Vollendung im Sinne von „das Ende erreichen“, sondern die Vollendung ist im Prozess selber enthalten, im Sinne von „der Weg ist das Ziel“.

       2.3.2. Prozess und Entwicklungsstufen

      Ein kritischer Aspekt in der Betrachtung des Enneagramms als Prozess betrifft die Entwicklungsstufen. Es sollte hinterfragt werden, ob die Theorie der Entwicklungsstufen sich mit dem Enneagramm als Instrument zur Veränderung vereinbaren lässt und für wen dies sinnvoll ist.

      Die Enneagramm-Autoren Riso und Hudson arbeiten mit den Entwicklungsstufen. Nach Riso und Hudson geben die Entwicklungsstufen auf der Entwicklungsskala an, wie weit ein Mensch sich entwickelt hat. Mit den Entwicklungsstufen wird erklärt, dass je nachdem, auf welchem Entwicklungsgrad man sich befindet, die Charakterzüge des jeweiligen Typs vorhersagbar sein können, und vor allem, warum dies gerade so sei.362 Risos und Hudsons Ansichten wurden vom Amerikaner Ken Wilber inspiriert, der sich vor allem mit der integralen Theorie beschäftigte. Damit das Enneagramm als psychologisches System komplett sein kann, sollte es sowohl vertikale als auch horizontale Komponenten enthalten. Die horizontale Ausrichtung stellt die Charakterzüge dar, während die vertikale die Entwicklung eines Menschen zeigt. Nach dem Muster der vertikalen Entwicklung werden die Enneagramm-Typen in neun Entwicklungsstufen geteilt, auf Grundlage von gesund, durchschnittlich und gestört. Obwohl Riso und Hudson behaupten, dass das Enneagramm dadurch umfassender und die menschliche Natur in ihrer Komplexität wiedergegeben werde,363 lässt sich fragen, ob die Komplexität, die sich aus der Berücksichtigung des Entwicklungsgrades ergibt, für die praktische Arbeit mit dem Enneagramm eher ein Hindernis für die persönliche Entwicklung sein könnte.

      Bei unterschiedlichen Autoren werden die Stufen entweder auf drei oder zwei Ebenen genannt. So gibt es die Stufen „weniger entwickelt, entwickelt und hoch entwickelt“364 oder „eine große Bandbreite, die wir uns wie eine kontinuierliche Skala vorstellen können, die zwischen den Extrempolen ‚unreif‘ und ‚gereift‘ verläuft.“365 Hier werden keine bestimmten Werte wie bei Riso und Hudson angegeben, was nach meiner Ansicht angemessener für die Arbeit mit dem Enneagramm ist. Die Berücksichtigung der Entwicklungsstufen könnte für die Arbeit mit dem Enneagramm deshalb als Herausforderung gesehen werden, weil dadurch behauptet wird, dass die Arbeit an der persönlichen und spirituellen Entwicklung messbar wäre. Zwar ist es sinnvoll, dass es eine Entwicklung auf einer vertikalen Ebene geben kann – aber die Skala mit Ziffern zu versehen, ist weithergeholt und könnte für die Arbeit an sich und mit Mitmenschen problematisch sein. So besteht z.B. die Gefahr, dass Menschen andere Personen auf Grund oberflächlicher Hinweise einstufen und bewerten. Die Selbsteinstufung ist auch mit Vorsicht zu betrachten. Riso und Hudson geben selber an, dass sich Personen als Teil ihres Abwehrmechanismus auf der Skala selbst besser einzustufen versuchen, als sie wirklich sind.366 Die Theorie von „Entwicklungsstufen“ hat subtile Untertöne, die unter anderem suggerieren können, dass sich etwas in einem Zustand befindet, der „im Vergleich“ mit etwas anderem minderwertig oder änderungsbedürftig ist. Hier rutscht die Arbeit mit sich selbst und mit anderen plötzlich in den Bereich einer „Leistungsskala“ oder eines „Heiloptimismus“. Für diejenigen, die die „höchste Stufe“ erreicht haben, gut entwickelt sind oder selbst davon überzeugt sind, ist die Gefahr der Selbstgefälligkeit und der Herablassung auf andere, was sich gerade für die Gruppenarbeit in jeglicher Form negativ auswirken kann, nicht auszuschließen.

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