Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen - Группа авторов страница 12

Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen - Группа авторов IGW-Publikationen in der EHP

Скачать книгу

gegeben sein muss, aber auch genügend Freiheit und Selbstbestimmung, damit der Patient den Entwicklungsschritt auch um seinetwillen, für sich und nicht für den Therapeuten, macht. Es ist daher wichtig, die Bedürfnisse und Entwicklungsziele vom Patienten immer wieder zu klären und ausdrücken zu lassen. Dieser Ausdruck kann bei Jugendlichen bewusst verbal geschehen. Bei Kindern weisen aber besonders nonverbale, körperliche Bewegungs- und Ausdrucksimpulse in die Richtung der Weiterentwicklung. Diese Impulse sind sozusagen Ausdruck und Kommunikation auf einer sehr basalen Ebene. Durch ein ausreichend unterstützendes Feld können die Entwicklungsschritte des Patienten ausreichend ausbalanciert verlaufen. Support bedeutet, dass der Patient einerseits Sicherheit, Zustimmung und menschliche Wärme vermittelt bekommt, andererseits auch Ermutigung, Aufmunterung und Herausforderung durch den Therapeuten eingebracht werden, um den Entwicklungsprozess voranzubringen. Die psychische Struktur einer Person ist daher durch die vorangegangenen Erlebnisse und Erfahrungen mit verschiedenen Feldformationen bestimmt. Sie ist allerdings auch eine Art Repräsentation und Gedächtnis der Vergangenheit. Gleichzeitig ist die psychische Struktur bestimmt und determiniert durch die aktuelle Feldkonstellation.

      Nicolai Gruninger

      Wachstum, Reifung und Entwicklung

      Auf den Spuren einer gestalttherapeutischen Entwicklungstheorie

      Einleitung

      Johann Wolfgang von Goethe lässt Mephisto seinen Schüler in der Studierstube belehren: »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum.« Dem widerspricht Kurt Lewin zwei Jahrhunderte später, wenn er sagt, dass nichts so praktisch sei, wie eine gute Theorie (vgl. Lewin 1951).

      Ein aktueller Diskurs über die gestalttherapeutische Entwicklungstheorie zwischen John Morss und Bruce Kenofer zeigt auf, wie wenig integriert die Pole Theorie und Praxis in der Gestalttherapie sein können. Morss spricht sich klar gegen eine Entwicklungstheorie der Gestalttherapie aus (vgl. Morss 2002). Jeder Fokus in Richtung Vergangenheit oder Zukunft lenke von der Gegenwartserfahrung des Klienten und des Therapeuten ab. Gestalttherapeuten1 müssten auf das Hier und Jetzt fokussieren. Morss bezieht sich in seiner Argumentation auf die paradoxe Theorie der Veränderung von Arnold R. Beisser (1970), der zufolge man erst der werden muss, der man ist. Erst dann gibt es Möglichkeit zur Veränderung. Kenofer widerspricht ihm vehement (vgl. Kenofer 2010). Ein Gestaltprinzip sei es, dass offene Gestalten aus der Vergangenheit nach Schließung in der Gegenwart drängen. Die Patienten sind eingebettet in die Vergangenheit, die ihr Verhalten in der Gegenwart beeinflusst. Um die Figur der Gegenwart zu verstehen, müsse man den Hintergrund der Vergangenheit berücksichtigen, auch wenn wir auf die Figur fokussieren. Damit sei eine Entwicklungstheorie in der Gestalttherapie implizit enthalten. Die vorhandenen Konzepte sind jedoch so vage, dass es eine explizit ausformulierte Theorie der Entwicklung brauche (vgl. Kenofer 2010, Wheeler 2010). Wheeler verortet die Ursache für das Fehlen einer konsistenten Entwicklungstheorie in der Gestalttherapie in dem Fokus der Begründer auf Spontaneität und Kreativität:

      »Und vielleicht war es diese hohe Wertschätzung von Spontaneität und offener Kreativität, die Goodman wie auch die Perls’ mit einer grundsätzlichen Abneigung gegen eine Kodifizierung dieser allgemeinen philosophischen Ideen erfüllte, gegen etwas, das nur entfernt an ein formales System erinnerte oder an ein schematisiertes lineares Modell von verschiedenen Stadien, wie so viele andere es uns durch das ganze Jahrhundert hindurch an Entwicklungsmodellen seit Freud angeboten haben.« (Wheeler 2010, S. 13)

      Es stellt sich die Frage, welche impliziten und expliziten Motive und Theorien von der Entwicklung des Menschen im Gestaltansatz enthalten sind. Welche Ansätze von Entwicklungstheorien lassen sich bei den Begründern der Gestalttherapie entdecken? Um den Kontrast zu schärfen, werde ich diese in einem zweiten Schritt mit der modernen allgemeinen Entwicklungspsychologie vergleichen. Die durchgängige Frage dieser Untersuchung wird also sein, welche entwicklungstheoretischen Motive und Theorien der Gestaltansatz enthält, wie diese weiterentwickelt wurden und wie sie im Vergleich zu aktuellen allgemeinen Entwicklungspsychologie positioniert sind.

      Zu Beginn werden fünf Leitsätze der modernen Entwicklungspsychologie formuliert. Es folgt eine Standortbestimmung der gestalttherapeutischen Entwicklungstheorie. Im dritten Teil werden dann die entwicklungstheoretischen Motive des Gestaltansatzes den Leitsätzen der modernen Entwicklungspsychologie gegenübergestellt.

      Leitsätze der modernen Entwicklungspsychologie

      Die Frage nach der Entwicklung des Menschen ist nicht neu. Schon Ovid beschäftigte sich in seinen Metamorphosen mit der Frage, wie sich der Mensch im Laufe seines Lebens entwickelt. In seinen Erzählungen formt die Natur mit ihren Künstlerhänden rastlos die Veränderungen am Menschen. »Siehst du nicht auch, wie das Jahr seine vier Gestalten einander folgen lässt, wie es im Abbild den Lauf unseres Lebens uns vorführt?« (Ovid 2007, S. 384)

      In der noch jungen Geschichte der empirischen Entwicklungspsychologie hat es viele unterschiedliche Fragen und Konzeptionen von Entwicklung gegeben. Mit Leo Montada lassen sich diese Forschungstraditionen in zwei Phasen einteilen, eine traditionelle und eine moderne Konzeption von Veränderungen im Lebenslauf (vgl. Montada 2008).

      Entwicklungsphasen und Entwicklungsstufen stehen bei den traditionellen Theorien im Vordergrund. Der theoretische Fokus liegt auf den Besonderheiten dieser Phasen und Stufen, die es davor oder danach nicht gibt. Eine heute noch häufig zitierte Konzeption des Lebenslaufs in Phasen hat Erik Erikson mit seiner Theorie der psychosozialen Entwicklung beschrieben (vgl. Erikson 1980). Bei den Stufenmodellen kommen weitere wesentliche Grundannahmen hinzu. Hier wird eine Entwicklungslogik durch die Notwendigkeit einer Stufenfolge und ein End- oder Reifestadium argumentiert. Entwicklung wird als eine Veränderungsreihe mit mehreren Schritten in Richtung eines höherwertigen End- oder Reifezustandes beschrieben (vgl. Montada 2008). Es wird postuliert, dass diese Schritte irreversible qualitative Wachstumsschritte sind. Die Veränderungen korrelieren mit dem Lebensalter und die Stufen sind universell (ebd.). Am besten lassen sich diese Grundannahmen am Beispiel der Entwicklung der Motorik beschreiben. Hier wird ein innerer Bauplan angenommen, der sich in einer normalen Umgebung universell entfaltet. Die motorischen Entwicklungsschritte sind irreversibel, sie korrelieren mit dem Lebensalter und unterscheiden sich jeweils in ihrer Qualität von vorangegangenen Bewegungen. So können die meisten Kleinkinder im Alter von 30-34 Wochen ohne Stütze sitzen und zwischen 34-40 Wochen mit Hilfe stehen (vgl. Montada 2008).

      Löst man sich von der primär biologischen Perspektive von Entwicklung und erweitert den theoretischen Horizont auf andere Entwicklungsbereiche, wie die Entwicklung der Persönlichkeit oder Intelligenz, stoßen traditionelle Entwicklungskonzepte schnell an ihre Grenzen. Demnach lassen sich nicht alle Entwicklungsschritte aus vorangegangenen ableiten. Oftmals gibt es keinen direkten Zusammenhang mit vorherigen Entwicklungsstufen. Soziale Probleme im Kindergarten und später können einen starken Zusammenhang mit der frühen Bindung im ersten Lebensjahr aufweisen (vgl. Zimmermann et al. 2000). Auch die Entwicklung in Richtung eines höheren Niveaus ist einschränkend. Eine solche Konzeption schließt Entwicklungsprozesse im Alter aus, die durch Abbau gekennzeichnet sind (Lindenberger & Schaefer 2008). Ebenso schließt die Konzeption eines universellen Reifezustandes als Endpunkt von Entwicklung lebenslanges Lernen aus. Und die Einschränkung auf qualitative Entwicklungsschritte verhindert einen differenzierten Blick auf Veränderungen über die Lebensspanne. Intelligenzentwicklung zum Beispiel lässt sich in qualitative und quantitative Dimensionen unterscheiden (vgl. Montada 2008). Zum einen hängt die Intelligenzentwicklung mit der Zunahme des Wortschatzes und der Anzahl lösbarer Aufgaben zusammen, zum anderen kommt es zu Veränderungen der Strukturen des Denkens und der Problemlösestrategien. Die Annahme von Universalität in der Entwicklung vernachlässigt zum einen kulturelle und umweltbedingte Einflussgrößen (Oerter 2008). Zum anderen werden differenzielle und individuelle Einflüsse ignoriert und übersehen (Montada 2008). Dabei fällt die individuelle

Скачать книгу