Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen. Группа авторов

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Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen - Группа авторов IGW-Publikationen in der EHP

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von Anbeginn an zum einen die Bereithaltung genetisch vorskizzierter Möglichkeiten zu sein, die innerhalb eines zeitlichen Fensters im engen Wechselspiel zwischen Außenerfahrung und innerer Strukturierung jeweils höchst individuell, jedoch zugleich untrennbar verwoben mit dem umgebenden Feld konstruiert werden. Dieses umgebende Feld bestimmt die Entwicklung in einem so hohen Maße mit, dass Stern uns nicht als Besitzer unserer eigenen Seele (»mind«) beschreibt. Vielmehr vollzieht sich psychische Entwicklung in fortlaufenden Interaktionen und Dialogen mit anderen Seelen (Stern 2006 S. 30). Der Austausch und das sich Bedingen von Innen und Außen ist so absolut und tiefgreifend, dass Kinder ohne ausreichende äußere Bedingungen und Außenerfahrungen nicht Leben und Überleben können. Dies zeigen eine Reihe von unmenschlichen Beispielen, wie die schrecklichen Versuche Friedrich des Großen5, aber auch die Waisenhausstudien von René Spitz, bei der Babys, welche ihre Mutter verloren hatten und in Heimen ohne ausreichenden Ersatz aufwuchsen, wesentlich höhere Krankheits- und Sterblichkeitsraten aufwiesen. In diesem Bereich kann ein Kontinuum möglicher Entwicklung gedacht werden, bei dem auf der einen Seite eine gute feinfühlige Pflegeperson-Kind Beziehung mit ausreichend Liebe und Fürsorge eine gute Entwicklung ermöglicht. Auf der anderen Seite des Pols stehen Kinder, wie die erwähnten Waisenhauskinder, die eine völlig unzureichende Versorgung mit den wichtigsten zwischenmenschlichen Grunderfahrungen erleben mussten. Zwischen diesen beiden Extremen sind verschiedene Ausprägungen möglich, die sich auch in den verschiedenen Bindungsklassen widerspiegeln. Bei der neurologischen Entwicklung des Gehirns werden Möglichkeiten bereitgestellt, die in enger Abstimmung mit dem umgebenden Feld ausgebaut, vertieft und differenziert werden, oder die zurückgestellt oder gar aufgegeben werden. In den ersten Monaten und Jahren werden, wie mit einem reichhaltigen Füllhorn, weitaus mehr Neurone angelegt als benötigt. Wenn diese Nervenzellen Verwendung finden, kommt es zu einer immer dichteren Ausbildung synaptischer Verknüpfungen und dendritischer Verästelung. Verknüpft werden Gehirnregionen, die in funktionaler Einheit zueinander stehen und Verwendungsdurchläufe erfahren. Wenn bestimmte Gehirnregionen allerdings nach einer bestimmten Zeit nicht verwendet werden, werden ihre Neurone wieder abgebaut oder anderen Aufgaben zugeführt. Das heißt, durch erfahrungs- und umweltbestimmte Selektion differenzieren sich bestimmte Strukturen heraus. Ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit Entwicklungsfragen hörgeschädigter Kinder. Bei der Hörentwicklung ist inzwischen klar, dass Kinder bereits im Mutterleib erstaunlich viele Merkmale und Qualitäten gesprochener Sprache wahrnehmen und sich sogar merken können. Neugeborene und nur einige Tage alte Babys bevorzugen die Mutterstimme (DeCasper & Fifer 1980) und können sogar Veränderungen von Texten, die ihnen ihre Mutter in den letzten Schwangerschaftswochen vorgelesen hat, unterscheiden. Bei den pränatal vorgelesenen Texten wurden postnatal einige Wörter ausgetauscht. Die Babys bevorzugten über eine raffinierte Steuerung mittels spezieller Schnuller, die bekannten Texte zu hören (DeCasper & Spence 1986). Klinke (1999) konnte in Tierversuchen zeigen, dass bei genetisch tauben jungen Kätzchen durch eine künstliche Innenohrprothese (eine Art Cochlea-Implantat) die entsprechenden kortikalen Areale, die fürs Hören zuständig sind, im Vergleich zu nicht implantierten Katzen enorm anwachsen und viele synaptische Verbindungen ausbilden. Bei gehörlosen Erwachsenen wurde mittels computertomografischer Untersuchungen festgestellt, dass die Regionen des akustischen Kortex andere Funktionen übernommen hatten. Es gab in den letzten 20 Jahren zahlreiche Versuche, auch erwachsenen Gehörlosen mittels Cochleaimplantaten wieder eine Hörfähigkeit zur Lautspracheerkennung zu vermitteln. Diese Bemühungen sind allesamt gescheitert. Es wurde erkannt, dass es zeitliche Fenster und sensible Phasen für die Entwicklung bestimmter Funktionen gibt. Wenn in diesen Phasen z.B. kein hörrelevanter äußerer Input stattfindet, wird kein Hören entwickelt. Die nicht für das Hören benötigten Gehirnregionen werden für andere Zwecke verwendet. Das Gehirn Gehörloser ist, unabhängig von der ohnehin bei jedem Menschen bestehenden Unterschiedlichkeit, völlig anders aufgebaut und eingeteilt als das von Hörenden. Der bei Hörenden für die akustische Verarbeitung verwendete Kortex wird bei Gehörlosen für völlig andere Aufgaben verwendet. Bei einem Input nach diesen sensiblen Phasen ist keine ausreichende Entwicklung der entsprechenden Gehirnregionen mehr möglich. Es können bei einer späteren Cochlea-Implantation zwar noch einzelne Töne gehört werden, aber die Erkennung von gesprochener Sprache bleibt unmöglich. Wenn die Erkenntnisse aus der Sinnesentwicklung auf die sozialemotionale Entwicklung übertragen werden, kann angenommen werden, dass es auch hier zeitliche Fenster gibt, in welchen bestimmte Funktionen ihren Entwicklungsprozess vollziehen müssen, um wirklich gut zu funktionieren. Dies scheinen auch die Ergebnisse langfristiger Entwicklungsverlaufsstudien zu bestätigen, bzw. die gravierenden Auswirkungen des Fehlens ausreichender sozial-emotionaler Entwicklungsbedingungen. Auch bei Kindern, die unter sozial-emotional deprivierten Bedingungen aufwachsen, kommt es trotzdem nie zu einem völligen Ausbleiben sozial-emotionaler Außenwirkungen, also sozialer Umweltreize. Dadurch ist vermutlich (und für uns Therapeuten hoffentlich) die Entwicklung des Gehirns nicht so absolut und unwiderruflich andersartig wie beim Fehlen von Höreindrücken bei völliger Taubheit. Die Bindungsforschung zeigt, dass stabile Repräsentationen negativer Außenbedingungen, nämlich unzureichende Bindungserfahrungen und Bindungsüberzeugungen, durch erneute längerfristige Erfahrungen, wie sie in beständigen Freundschaften, Partnerschaften oder therapeutischen Beziehungen gegeben sind, zumindest teilweise ›umgeschrieben‹ werden können. Umgekehrt können sich sichere Bindungen unter dem massiven Druck äußerst negativer Beziehungserfahrungen nachträglich wieder verschlechtern.

      Beziehung und Fürsorge statt Veränderung

      Doch machen die schlimmen Folgen fehlender Fürsorglichkeit deutlich, dass manche früh und extrem deprivierten Kinder möglicherweise nicht mehr ein vollständiges, sondern nur noch ein begrenzte Repertoire sozialer Kompetenzen nach innen und außen entwickeln können. Ihre neurologische Ausstattung, die Ausbildung und Vernetzung besonders präfrontaler Strukturen bleiben begrenzt. Philippson (2012) weist vor dem Hintergrund seiner jahrelangen Arbeit mit vernachlässigten Kindern darauf hin, dass solche Kinder vor allem eine fürsorgende Beziehung benötigen, um erstmals Beziehungsfähigkeit und Erfahrungen von Beziehung zum Therapeuten und zu anderen zu entwickeln. Solche Kinder erleben diese Beziehungserfahrungen auf der Grundlage ihrer deprivierten, andersartigen neurologischen Struktur zunächst als emotional falsch, unnatürlich und unnütz. Philippson (2012) weist darauf hin, dass die paradoxe Theorie der Veränderung bei solchen zutiefst beziehungsgestörten Kindern einer Modifikation bedarf, da die paradoxe Theorie der Veränderung von einer funktionierenden neurologischen Fähigkeit ausgeht, bei der auf der Grundlage einer flexiblen organismischen Selbstregulation neue Wahrnehmungen und Beziehungen zur Umwelt aufgenommen werden können, der Klient also in der Lage ist, sich anders zu verhalten. (vgl. ebd. 2012)

      Spiegelneurone

      Bereits Wolfgang Köhler postulierte einen physiologischen Mechanismus, der Wahrgenommenes gleichzeitig in eigene neuronale Muster übersetzt bzw. vermittelt. Durch die Entdeckung der Spiegelneurone konnte diese gestaltpsychologische Annahme bestätigt werden.

      Spiegelneurone sind Gehirnzellen, die bei beobachteten Tätigkeiten, Handlungen, Ereignissen, Mimiken, aktiv werden. Sie aktivieren gleichzeitig die entsprechenden eigenen motorischen Areale, sodass eine genaue körperliche Simulation des Gesehenen, Gehörten etc. im Körper abgespielt wird. Auf der Grundlage dieser Kopie des Zustandes des Anderen ist ein genaues Einfühlen möglich. Dies steht in Widerspruch zu einer bestimmten Akzentuierung der Gestalttherapie des späten Fritz Perls. Philippson (2012) führt aus, dass die besonders durch Fritz Perls betonte gestalttherapeutische Position, »ich kann nichts über dich wissen. Ich kann nur raten und projizieren. Nur du kannst über dich wissen«, ein Verbot von Interpretation darstellt, dass aber die neuropsychologische Forschung Belege bringt, dass wir mittels der Spiegelneurone doch einiges über den Anderen wissen können. Philippson weist des Weiteren darauf hin, dass es aufgrund der starken Bestimmung eines menschlichen Wesens durch das Feld, in dem er sich befindet, eigentlich erstaunlich ist, dass es überhaupt zu einem Erleben von Individualität kommt, wo ein Mensch sagen kann, »ich will dieses und nicht jenes« oder »ich glaube dieses und nicht jenes«. Dies sind nach Philippson Momente, in denen das Individuum definiert und bestimmt wird. Philippson zitiert Lewin mit »… das Selbst wird

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