Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen. Группа авторов

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Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen - Группа авторов IGW-Publikationen in der EHP

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Stern (2007) als Kernselbst bezeichneten psychischen Ursprungs- oder Ausgangspunkt der menschlichen Entwicklung würde ich in gestalttherapeutischem Sinne noch stärker als Antrieb und Schöpfer seiner eigenen Entwicklung ansehen. Die Entwicklung ist vor allem zu Beginn auf eine spezifische Weise von der Umwelt abhängig. Die Möglichkeiten der Kommunikation mit der Umwelt sind dabei sehr unterschiedlich. Aber auch die Umwelt und Pflegepersonen gehen sehr unterschiedlich auf die ersten Kommunikationsversuche des Babys ein. Ein Baby kann also das Glück haben und Pflegepersonen, mit denen es sich gut austauschen kann, die seine Bedürfnisse und seine Anliegen verstehen. Andere Kinder haben dieses Glück nicht, und wachsen in einer Umwelt auf, mit der es immer wieder Missverständnisse gibt. Dadurch stehen sowohl die innere als auch die äußere Seite eines Feld-Selbsts in ungenügendem und wenig förderlichen Austausch miteinander. In diesem Fall können Entwicklungsstörungen mit höherer Wahrscheinlichkeit entstehen. Die Umweltabhängigkeit von der zufällig gegebenen kommunikativen Kompetenz der Organismus-Umwelt-Partner nimmt mit zunehmender Autonomieentwicklung ab. Der erwachsene Mensch kann sich schließlich, weitgehend seine eigene, seinen Präferenzen entsprechende Umwelt zusammenstellen, soweit die sozialen und politischen Umstände dies zulassen. Vorausgesetzt, er konnte ausreichende Kommunikationserfahrungen machen und lernen, seine Bedürfnisse innerhalb seines jeweiligen Feldes kreativ mit dem der Umwelt auszutauschen. Die hohe Abhängigkeit vom Kommunikationserfolg mit der Umwelt setzt erst mit der Geburt ein. Vor der Geburt erfolgt die Bedürfnisbefriedung des heranwachsenden kleinen Menschen sozusagen von selbst, das Brauchen, das Wollen und das Wünschen laufen noch ohne Kommunikation ab. Der Wechsel aus diesem Reich vollendeter Bedürfnisbefriedigung hinüber in die Welt ungewisser und häufig mangelhafter Bedürfnisbefriedigung nennt Rank das Trauma der Geburt. Den Wunsch, diesen Urzustand wieder herzustellen, hält er für den Ausgangspunkt schöpferischen Schaffens.

      Die erste Grunderfahrung des ungeborenen Kindes ist, zu sein, zu leben. Die Grunderfahrung des geborenen Säuglings ist ebenfalls, zu sein, leben und atmen. Ausgehend vom lebendigen Sein folgt die zweite Grunderfahrung: Berührung. Berührung findet bereits im Mutterleib statt. Es ist das umspült und berührt Werden von Fruchtwasser und Gebärmutter. Beim Neugeborenen kommt es zum ersten berührt Werden durch andere Menschen. Die dritte Grunderfahrung ist Bewegung. Auch dies geschieht sowohl vorgeburtlich als Eigenbewegungen und passives bewegt werden durch die Bewegungsrythmen der Mutter als auch nachgeburtlich. Auf diese Berührungs-Bewegungserfahrungen folgt vorgeburtlich das Hören. Bereits ab der 17 Woche können Geräusche den Embryo stimulieren oder stressen (Wirth 2012). Das Hören begleitet die Geburt so wie das Fühlen, Schmecken und Spüren von Bewegung, Rhythmus und Gleichgewicht und stellt ein prä-/postnatales sensorisches Kontinuum her. Die Bewegungsentwicklung des Säuglings verläuft in zwei Wellen. Zum einen in der des Erlangens, Greifens, der körperlich und Bewegung gewordenen Sehnsucht nach den Dingen, die voller Neugierde begriffen, befühlt, beschmeckt und beleckt werden wollen. Diese Sehnsucht mündet in immer stärkere Bewegungsanstrengungen und Willensanspannungen, die schließlich dazu führen, den zuvor immobilen Körper selbst in größerem Maße in Bewegung zu setzen und sich fortzubewegen. Fort von dem einen und hin zum anderen. Dies bringt das Thema der räumlichen Trennung und ihrer damit verbundenen Gefahren auf und fordert Sicherungsbemühungen von beiden Seiten.

      Ausgangspunkt der Entwicklung ist ein Kernselbst, für dessen Konzeption zum einen auf die philosophischen Vorstellungen von Salmo Friedlaender zurückgegriffen wird. Friedlaenders Vorstellungen sind auch in die Gestalttherapie eingeflossen, Perls nannte Friedlaender seinen ersten Guru. Friedlaender greift auf Nietzsches Willensvorstellungen zurück. Er konzipiert den schöpferischen Akt als Willensakt. Auch Otto Rank (1932) verweist in seiner Theorie des Schöpferischen Handelns auf Nietzsches Willensakt. Friedlaender sieht darüber hinaus den Ursprungspunkt allen Denkens in der vorpolaren, vordialektischen Undifferenziertheit, im Nullpunkt zwischen möglichen Differenzierungen bzw. an dem Punkt, wo diese Differenzierungen noch aufgehoben sind, noch zusammen sind (Frambach, 1996). Die Vorstellung von Entwicklung als Differenzierung findet sich auch bei Lewin. Wenn diese von Friedlaender geistig-philosophisch gedachte Entwicklungstheorie durch Lewin aber auch für die gesamte Entwicklung postulierte Theorie mit der akademischen Entwicklungsforschung verglichen wird, ergibt sich eine erstaunliche und passende Übereinstimmung. Alle Entwicklung wird als Differenzierung begriffen. Die Theoriebildungen in der Kleinkindforschung in den letzten Jahrzehnten laufen in diese Richtung.

      So kann ein Modell von Entwicklung formuliert werden, das als Ausgangspunkt den Lebenswillen hat. Er ist noch vor jeder Kernselbstempfindung die treibende Kraft jeglicher Entwicklung. Wille wird dabei in einem umfassenderen Sinne verstanden als die bewussten Willensentscheidungen des Erwachsenen. Es ist vielmehr der unbedingte Wille, überhaupt nur zu leben! Wenn dieser Lebenswille als treibende Kraft der Entwicklung angesehen wird, verkehrt sich das Bild des Menschen von einem durch genetische innere oder äußere Kräft e bestimmten und zur Reifung gedrängten, gezogenen oder geschobenen Wesens hin zu einem von Beginn an aktiven, wollenden, sich in immer feineren Differenzierungen entwickelnden Selbstschöpfers. Dies soll am Beispiel der motorischen Entwicklung verdeutlicht werden: Wenn ein Kind beginnt, sich zu bewegen, den »unbeweglichen« Körper in Bewegung zu bringen, ist dies mit ungeheuren Willensanstrengungen verbunden. Ähnlich ist es, wenn ein Erwachsener beispielsweise durch einen Unfall oder einen Gehirnschlag einen Teil seiner motorischen Fähigkeiten verliert. Auch er kann u. U. mit großer Willensanstrengung seine Bewegungsfähigkeit wieder zurückerobern und dadurch auch sein Gehirn erneut in die gewünschte Richtung entwickeln.

      Integration

      Das Konzept der Integration erscheint auf den ersten Blick nahe liegend zu sein. Integration ist die Assimilation von Neuem, der Einbau von neuen Erfahrungen in bestehende Strukturen. Doch welchen Strukturbegriff hat die Gestalttherapie? Unter Verwendung des dynamischen Selbstbegriffes kann ein mit diesem verbundenes Strukturverständnis empfohlen werden. Der Selbstbegriff wird dabei nicht nur im Hier und Jetzt-Augenblick gesehen, sondern die darin stets neu enthaltenen und gewonnenen Erfahrungen werden auch internalisiert. Man kann es so verstehen: das Selbst integriert die Erfahrungen in sich selbst! Es ist also Prozess und Struktur zugleich. Das Selbst ist also auch wieder in Polaritäten geteilt, ähnlich wie in dem Beispiel der dualen Lichtbeschaffenheit als Welle und Partikel. Integration in diesem Sinne ist die Verwendung und Nutzung von Erfahrungen für die Struktur. Erfahrung9 setzt sich aus drei Komponenten zusammen. Erstens aus Wahrnehmung, zweitens aus damit verknüpften Gefühlen, also Empfindungen. Diese beiden bilden ein Erlebnis. Wenn nun zum Erlebnis drittens noch eine kognitive Einschätzung und Bewertung hinzu kommt, wird das Erlebnis zur Erfahrung. Ich finde es hilfreich noch zwei weitere, für eine gute Integration essenzielle Bestandteile aufzuführen. Diese sind zum einen die Sinnorientierung und zum anderen die soziale Bezogenheit der Erfahrung, die sich in der Erstellung eines Narrativs für andere ausdrückt. Hier wird erneut der Feldcharakter unseres Selbsterlebens deutlich. Der Andere wird immer mitgedacht und inkorporiert, sowohl in der Sprache, in der gedacht wird, als auch in den Begrenzungen und Vorgaben, welche die Wege und Bahnen des Denkens und Fühlens bilden.

      Das supportive Feld als zentrale Entwicklungsbasis

      • Körperlichkeit als erste Feldkraft des supportiven Feldes

      Der Lebenswille, der vom ersten Lebensmoment im noch ungeborenen Körper die Entwicklung vorantreibt, ist zunächst eins mit dem Körper, mit all seinen ersten Sensationen, Sinnlichkeiten, Gefühlen, Empfindungen. Befeuert und inspiriert vom Lebenswillen, der von Beginn an auch in ein vom Kind gewolletes Feld eingebettet ist, entwickelt sich zunächst der Körper. Aus der Begegnung, aus dem Kontakt und aus der Wahrnehmung, dem Gewahrsein der äußeren und der inneren Welt und der Gegenposition zwischen innen und außen, fremd und eigen entwickelt der Mensch dabei das Eigene. Das Innere wird als Körper, Geist, Gefühl und Verstand erlebt, das Äußere als die Repräsentationen des Anderen.

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