Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen. Группа авторов

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Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen - Группа авторов IGW-Publikationen in der EHP

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      Um diesen engen Entwicklungsbegriff zu überwinden, hat sich in den letzten Jahrzehnten zunehmend eine neuere Sichtweise von Veränderungen über den Lebenslauf durchgesetzt. Die Hauptrichtung geht in die Erforschung der Entwicklung über die gesamte Lebensspanne und die Untersuchung differenzieller Entwicklungsverläufe. In Anlehnung an Baltes (1990), Brandstädter (2007) und Montada (2008) lassen sich fünf grobe Leitsätze formulieren, die der modernen Entwicklungspsychologie zugrundeliegen. Auff allend daran ist eine metatheoretische Orientierung. »Die Bedeutung der einzelnen Leitsätze ist hierbei weniger wichtig als die Gestalt, die sie zusammen herstellen.« (Baltes 1990, S. 3) Entwicklung über die Lebensspanne wird als so komplex angenommen, dass einzelne Theorien zu kurz greifen, um dieses Phänomen zu beschreiben. So werden Leitsätze formuliert, an denen wir uns orientieren können, wenn wir Veränderungen über die Lebensspanne untersuchen und verstehen wollen.

      1. Von allgemeinen zu differenziellen Entwicklungsverläufen (Fokussierung auf Unterschiede)

      Die universelle Grundannahme von Entwicklungsprozessen weicht einer differenziellen Sicht. Veränderungen werden nun sehr individuell untersucht. Unterschiede zwischen einzelnen Menschen und ihren individuellen Entwicklungsverläufen stehen im Zentrum. Entwicklung ist aus dieser Perspektive das Ergebnis vieler verschiedener Einflussgrößen, die jeweils in ihrer spezifischen Zusammensetzung und Wirkung erforscht werden müssen. Differenzielle Entwicklungsverläufe werden zusätzlich durch einen hohen Grad an intraindividueller Plastizität (Veränderbarkeit innerhalb einer Person) beeinflusst (vgl. Baltes 1990).

      2. Entwicklung findet immer in einer Umwelt statt (Ökologie)

      Die Entschlüsselung von genetischer Information und das Konzept eines inneren Bauplans müssen einer primär ökologischen Perspektive weichen. Die Umwelt rückt bei der Beschreibung entwicklungspsychologischer Phänomene zunehmend ins Zentrum.

      3. Entwicklung erstreckt sich über die gesamte Lebensspanne (Lifespan-Development)

      Keine Altersstufe nimmt in der Entwicklung eine Vorrangstellung ein. Entwicklung ist ein lebenslanger Prozess, der kontinuierliche und diskontinuierliche Prozesse umfasst (Baltes 1990).

      4. Entwicklung als Gewinn und Verlust

      »Entwicklung bedeutet nicht nur Zuwachs in der Kapazität oder Zuwachs im Sinne einer höheren Effizienz. Über die gesamte Lebensspanne hinweg setzt sich vielmehr Entwicklung immer aus Gewinn (Wachstum) und Verlust (Abbau) zusammen.« (Baltes 1990, S. 4)

      5. Kontextualismus

      »In konzeptioneller Hinsicht resultiert jeder Entwicklungsverlauf aus der Wechselwirkung (Dialektik) dreier Systeme von Entwicklungseinflüssen: altersbedingten, geschichtlich bedingten und nicht-normativen.« (Baltes 1990, S.4)

      Alle drei Systeme beeinflussen sich gegenseitig und ihr Zusammenspiel wird in dem Begriff Kontextualismus zusammengefasst.

      Ontogenetische Entwicklung findet immer in einem historischen Feld statt, in dem vorhersehbare und nicht vorhersehbare Ereignisse in psychologischen Phänomenen sichtbar werden. Die Wechselwirkung externaler und internaler Faktoren bildet das Zentrum moderner Theorieansätze. Mit dem Begriff der Passung von Brandstädter (1985) wird diesem transaktionalen Denken Rechnung getragen (vgl. Montada, 2008). Entwicklung findet in seiner Konzeption durch Wechselwirkungen von den Zielen und Potenzialen des Individuums auf der einen Seite und den Anforderungen und Angeboten der Umwelt auf der anderen Seite statt.

      Koffka und Lewin – Vordenker der Gestalttherapie und ihre entwicklungstheoretischen Studien

      Kurt Koffka, ein Mitbegründer der Gestaltpsychologie, beschreibt in seinem 1921 veröffentlichen Buch »Die Grundlagen der psychischen Entwicklung: eine Einführung in die Kinderpsychologie« einen Gegenentwurf zur damals vorherrschenden Theorie des Behaviorismus und der Assoziationspsychologie. Seine Grundannahme ist, dass das Verhalten nicht über eine Reiz-Reaktions-Verbindung erklärbar ist, sondern dass das Verhalten nur über einen engen Zusammenhang mit dem Erleben erforscht werden kann.

      »Die Annahme, daß vom Reiz aus die Empfindung ein für allemal festgelegt sei, muß von vornherein aufgegeben werden.« (Koffka 1921, S. 98)

      Das Erleben seinerseits wird durch Struktur-Phänomene organisiert, »das phänomenal gegebene scheidet sich in die maßgebende Qualität und den Grund, auf dem sie erscheint, das Niveau, von dem sie sich abhebt (…).« (Koffka 1921, S. 94).

      Koffka postuliert, dass Erfahrungen von Geburt an durch einfachste Strukturen organisiert werden. Zu Beginn sind es Qualitäten auf einem gleichförmigen Grund, wie z.B. eine Berührung, die sich aus einem wenig bestimmten Grund heraushebt.

      »Sowohl was Kompliziertheit, wie was Schärfe der Struktur betrifft, werden wir am Anfang nur ein Mindestmaß erwarten dürfen.« (Koffka 1921, S. 101) Im Fortlaufen der Entwicklung werden diese Strukturen immer differenzierter. Bewegungen, Wahrnehmungen und geistige Abbilder der Welt nehmen an Kontrast und Tiefe zu. Strukturen bilden somit den Rahmen und den Motor der Entwicklung.

      Entwicklung wird in seinem Buch definiert als Prozess, bei dem ein Organismus oder eines seiner Organe größer, schwerer, feiner strukturiert und leistungsfähiger wird. Es müssen zwei Formen unterschieden werden: Entwicklung als Wachstum und Reifung und Entwicklung als Lernen (Koffka 1921). Entwicklung setzt sich somit aus ererbten und erworbenen Fähigkeiten zusammen, wobei Koffka dem Lernen in seinem Buch einen zentraleren Stellenwert beimisst. »Haben wir doch als eine wesentliche Form der Entwicklung das Lernen betrachtet, und das Lernen ist eine Reaktion des Individuums gegenüber einer bestimmten Umwelt, die durch die Erb-Anlage jedenfalls nicht eindeutig festgelegt war.« (Koffka 1921, S. 37)

      Was ist nun das Wesen des Lernens? »Alles Lernen erfordert die Entstehung von Strukturen.« (Koffka 1921, S. 167) Jegliche Verhaltensänderung ist nach Ansicht Koffkas korrelativ auf Strukturänderungen bezogen. Grundlage erlernter Verhaltensweisen ist demnach die Bildung neuer Strukturen. Ähnlich dem Lernen sind auch Vererbungen über Strukturen organisiert. »Es gibt danach Strukturen, für deren Entstehung alle Bedingungen im Individuum durch Vererbung festgelegt sind, daß sie notwendig beim ersten Anlaß wirksam werden. Für andere Strukturen liegen die Bedingungen nicht so fest, ob und wie sie entstehen, ist von den speziellen Umständen abhängig, und während jene Strukturen bei allen Individuen einer Art wesentlich gleichartig sind, bestehen für die weniger festen Bedingungen dieser auch größere individuelle Verschiedenheiten.« (Koffka 1921, S. 169)

      Tempo, Dynamik und Rhythmus der Entwicklung unterliegen großen interindividuellen Schwankungen, »so leuchtet ein, daß der Zeitpunkt des Eintretens irgend einer Leistung von Individuum zu Individuum ganz gewaltig verschieden sein kann, alle Alters-Angaben haben daher für eine Verallgemeinerung nur einen sehr ungefähren Wert« (Koffka 1921, S. 36).

      Nachdem Koffka in seinem Buch die Grundprinzipien von Entwicklung und Lernen beschrieben hat, stellt er die Frage, was ein Neugeborenes zu erwerben hat und in welche Richtung sich sein Verhalten entwickeln muss, um ein selbstständiges erwachsenes Wesen zu werden. Er unterscheidet vier Gebiete und Richtungen von Entwicklung: das rein motorische, das rein sensorische, das sensumotorische und das ideatorische Gebiet (das intellektuelle und ethische Handeln). Alle vier Richtungen hängen miteinander zusammen und sind nur für die theoretische Darstellung getrennt aufgeführt. Exemplarisch soll an dieser Stelle die Entwicklung motorischer Strukturen anhand von Greifen und Tasten angeführt werden. »Beim Lernen mehr oder weniger komplizierter Bewegungen muss eine Bewegungs-Melodie zustande kommen, d. h. ein Gebilde von der Art unserer Strukturen. Eine Bewegungs-Melodie besteht nicht aus selbständigen Stücken, sondern bildet ein gegliedertes Ganzes.« (Koffk a 1921, S. 186 f.) Während die Assoziations-Psychologie der

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