Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen. Группа авторов

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Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen - Группа авторов IGW-Publikationen in der EHP

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philosophischer Lehrer Lewins, meinte in diesem Zusammenhang, dass es eigentlich erstaunlich ist, dass wir überhaupt voneinander unterscheidbare Einzelheiten wahrnehmen können:

      »Was uns im Gebiet des Bewusstseins empirisch wahrhaft bekannt und gegeben ist, sind niemals Einzelbestandteile, die sich sodann zu verschiedenen beobachtbaren Wirkungen zusammensetzen, sondern es ist stets bereits eine vielfältig gegliederte und durch Relationen aller Art geordnete Mannigfaltigkeit, die sich lediglich Kraft der Abstraktion in einzelne Teilbestände sondern lässt. Die Frage kann hier niemals lauten, wie wir von den Teilen zum Ganzen, sondern wie wir von dem Ganzen zu den Teilen gelangen.« (Cassirer 1954, S. 445, zit. nach Philippson 2012).

      Ordnungsstrukturen und Emergenz

      Philippson (2012 S. 87) beschreibt (unter Rückgriff auf Kauff man 1995 und Prigogine & Stengers 1984 zit. nach Philippson 2012) das Auft auchen höherer Ordnungsgrade auf der Grundlage einfacherer Ordnungsstrukturen. Die höheren Ordnungsstrukturen gehorchen den Regeln der einfacheren Ordnungsstrukturen, lassen sich aber nicht auf diese reduzieren. Dies ist eine neuere Variante des aristotelischen Grundsatzes, »das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile6«, der auch von Wertheim und Ehrenfels7 für die Gestaltpsychologie prägnant verwendet wurde. In der aktuellen entwicklungspsychologischen Diskussion wird diese Thematik unter dem Begriff der selbstorganisierenden Systeme oder der Emergenz von Entwicklungsprozessen (Holodinsky 2006, zit. nach Philippson) behandelt8. Auf die Neurologie übertragen schreibt Philippson mit Verweis auf Goldstein, dass ein bereits auf einer einfachen neuronalen Ebene zu sehr geschädigtes Gehirn auch nicht mehr seine höheren Funktionen zur Verfügung hat. Umgekehrt lässt sich aber die höhere Funktion eines Gedankens nicht auf das Funktionieren einzelner Neurone reduzieren (vgl. ebd.). Insgesamt bestätigen die aktuellen neuropsychologischen Forschungsergebnisse die zentralen Grundannahmen der Gestalttherapie in entwicklungstheoretischer Hinsicht weitgehend.

      Neuropsychologische Entwicklungsprinzipien:

      Als Bestätigung der Gestalttherapie gelten diese neuropsychologischen Erkenntnisse:

      1. Der Mensch ist von Anbeginn an mit all seinen Sinnen auf andere Menschen bezogen.

      2. Besonders für die Wahrnehmung emotionaler Qualitäten im Ausdruck anderer Menschen ist von Anbeginn eine spezialisierte neurophysiologische Grundausstattung gegeben.

      3. Kontaktvollzüge verlaufen bereits bei Neugeborenen zyklisch – Aufmerksamkeitsprozesse und Wahrnehmungsverarbeitungsprozesse zeigen die Form der Kontaktkurve der Gestalttherapie.

      4. Das Gehirns des menschlichen Organismus entwickelt sich im Einklang mit dem Umfeld und bildet es ab, entwickelt es aber auch mit.

      5. Wenn ausreichende Strukturen differenziert und aufgebaut werden konnten, kommt es zu Emergenzprozessen, dem Auftauchen von Figuren, Gestalten auf einer nächsthöheren Entwicklungsebene.

      Feldtheorie

      Malcolm Parlett (2011, S. 54) fasst seine Sicht der Feldtheorie zusammen:

      »The whole point of the field theory is to recognise the layered features of contexts, their complex and interrelated qualities, and how these are intimately related to individual and collective experiences.« Parlett gibt ein starkes Plädoyer für die Einnahme einer Feldperspektive ab (ebd.): »Self and field – those two central Gestalt concepts which admittedly are difficult to define, let alone measure are intertwined. We can still find ourselves, even as Gestalt specialists, being drawn into a more dualistic frame –splitting person from context, finding hard to hold both in a single frame, as unitary. We need to resist this tendency.«

      Wheeler (2002c) legt ein konsequent relationales Feldmodell vor, in dem der klassische Individuumsbegriff überwunden wird. Das Individuum im klassischen Sinne wird als Körper-Ich beschrieben, die psychische Realität jedoch aus der interaktionellen Feldwirkung heraus verstanden. Das durch Lewin konzipierte und durch McConville (2001) für die Gestalttherapie mit Jugendlichen verdeutlichte feldtheoretische Entwicklungsmodell lässt sich als gut überprüfte, anschauliche und weitreichende Grundlage für Entwicklungsvorstellungen heranziehen. Kontakt = Organisation = Verbindung zwischen den einzelnen Teilen sagt McConville. Kontakt kann auch in Bezug auf die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen und Feldregionen beschrieben werden. Wenn die einzelnen Feldregionen unterschiedlich feste, starre und durchlässige Grenzen zueinander haben, wird dies ihre Kommunikation und Interaktion in hohem Maße beeinflussen. Dann ist ein Wechsel von der einen zur anderen Region u. U. abrupt, klar und deutlich oder aber fließend, unklar und schwer zu lokalisieren. Einzelne Feldregionen können in Form von Polaritäten eine klare und dynamische Aufteilung in jeweils zwei Subregionen, die sich gegenseitig stabilisieren, verstanden werden. Durch explorierendes kommunikatives Pendeln, Erleben und Kommunizieren zwischen den Regionen werden der Gesamtzusammenhang, die Gesamtintegration und die Verbindung von verschiedenen beliebigen Punkten oder Bereichen mit den anderen Bereichen besser, d.h. die Zuordenbarkeit wird deutlicher. Was genau ist dann Entwicklung in diesem Modell und zwar Kindheitsentwicklung? Man könnte sagen, Felderfahrungen sammeln, konkrete Lebenserfahrungen im Lebensraum sammeln, die dann letztlich ihren repräsentativen Niederschlag im Gehirn finden. Was differenziert sich während der Kindheit genau? Die Größe des Lebensraumes erweitert sich. Durch wechselseitige Erfahrungen werden einzelne Regionen prägnanter. Das supportive Feld ist ein Umweltfeld, in dem en miniature als Pars pro Toto die verschiedenen, vor allem unterbesetzten und unterentwickelten Regionen hilfsmitbesetzt werden. Notwendige Differenzierungen von noch undifferenzierten Regionen werden hilfsmitdifferenziert. Die Grenzen zwischen den einzelnen Regionen werden in einem supportiven Feld hilfsmitstabilisiert und die einzelnen Regionen hilfsmitverbunden bzw. hilfsabgegrenzt.

      Abb. 1: Feldtheoretische Veranschaulichung der Entwicklung

      Kreative Selbstverwirklichung

      Kinderspiel nach HPG (2006 S. 46/47) hebt sich durch eine konzentrierte Sinneswahrnehmung und spielerischen Umgang mit dem Material hervor, analog einer künstlerischen Tätigkeit. Darin beinhaltet sind die sensomotorische Integration, das Akzeptieren des Impulses und der aufmerksame Kontakt mit dem neuen Material der Umgebung. Sie finden im »mittleren Modus« statt. »Betrachten wir die erstaunliche Fähigkeit des Kindes beim Spiel zu halluzinieren«, schreiben HPG (S. 118) dazu. Die in der klassischen psychoanalytischen Stufentheorie der Entwicklung beschriebenen Themen können aus dem aktuellen gestalttherapeutischen Verständnis von Entwicklung als Selbstschaffung heraus als zu lösende Herausforderungen angesehen werden. Diese Lebensaufgaben können allerdings mit sehr unterschiedlicher Gewichtung angegangen werden. Dabei spielt die konstitutionell-biografischen Vorgeschichten, aber auch unterschiedliche Motiven, Wünschen und Bedürfnisse eine Rolle. Entwicklung ist daher immer eine kreative und höchst individuelle Begegnung mit der Umwelt.

      Funktionsentwicklung

      Menschliche Entwicklung wird verstanden als ein Prozess in zeitlichem Verlauf, der durch sehr individuelle Präferenzen geleitet wird. Diese stellen den anhaltenden Lebens- und Entwicklungswillen dar, der aus einem fortwährenden Wechselspiel von innerer und äußerer Berührung zum Aufbau von psychischen und physischen Funktionen und Strukturen führt.

      Dieses Wechselspiel besteht aus Kontaktbewegungen zur Erschaffung, Erweiterung, Differenzierung des Körpers, des Gefühls, des Geistes und ihrer Möglichkeiten. Entwicklungsbewegungen können als sich erweiternde konzentrische Kreisbewegungen dargestellt werden (am Beispiel Funktionsentwicklung Abbildung 2).

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