Gestaltpädagogik im transnationalen Studium. Группа авторов

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Gestaltpädagogik im transnationalen Studium - Группа авторов EHP-Edition Humanistische Psychologie

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Wahrnehmung und sein Hang, kritische Rationalität und Selbstreflexion durch schützende Rationalisierung beiseite zu drängen.

      Die vielfach zum Rationalismus verkürzte Aufklärung hat insofern einen ungewollten Beitrag dazu geleistet, das Trennende zwischen den Menschen zu betonen durch rationale Begründung von Nationen, Rassen oder den zwei Geschlechtern der Menschheit und deren Wesensformen und Zielbestimmungen, durch das Tabuisieren von Ambivalenzen und Ambiguitäten sowie durch den gefolgerten Zwang, alles und jedes durch einen (möglichst monokausalen) Ursache-Wirkungs-Zusammenhang erklären zu können.

      Die Psychoanalyse hat dann die Selbstüberschätzung der Vernunft bloßgestellt, indem sie die konterkarierende Wirkungsweise nicht bewusstseinsfähiger bzw. nicht zum Bewussten zugelassener Wünsche, Ängste und Handlungsantrieb offen gelegt hat. Sie war zunächst aber noch zu sehr auf die Vernunft und deren Entlarvung sowie auf naturwissenschaftlich-technische Modellvorstellungen über innerpsychische Vorgänge fixiert, als dass sie unmittelbar der inneren Bilderwelt des Menschen, seinen Gefühlen, Wünschen, seinen Phantasien und seinen Träumen, seiner gespürten Leiblichkeit eine konstruktive, Leben gestaltende und Vernunft korrigierende Bedeutung und Wirkungsweise zuerkennen konnte.

      Psychoanalytisch fundierte Bildungsvorstellungen zielten folglich zunächst ab auf eine Stärkung der kritischen Ich-Funktionen im Verbund mit einer Anerkennung der labilen, triebbestimmten Basis der menschlichen Persönlichkeit.

      Darüber hinaus betonten bereits früh undogmatische Analytiker (Zulliger, Winnicott, Erikson) und vehement dann auch die Begründer der Gestalttherapie die Bedeutung der kreativen Funktionen des Unbewussten als Ressource: Phantasie, Spiel, kreative Gestaltung und improvisierte Bewegung werden nicht länger als ein Sektor regressiver Infantilität betrachtet, sondern als Funktionen des „Selbst", die in leiblich fundierter Spontaneität der gefühlten Wahrheit des Subjekts Ausdruck verleihen können. Sie werden einer rationalistisch verdünnten Auffassung des Ich, das durch Abgrenzung bestimmt ist, als Ganzheitlichkeit und Verbindung stiftende Persönlichkeitsfunktionen nachdrücklich gegenübergestellt.

      4. Gestaltpädagogische Prinzipien und Methoden als Weg zu komplexer Begegnung mit dem Fremden

      Seit Ende der 70er Jahre haben Pädagogen auf der Basis eigener gestalttherapeutischer Erfahrungen den Ansatz der Gestaltpädagogik entwickelt. In diesem haben sich folgende vier Schwerpunkte als Kern einer auf personale Kompetenzentwicklung für Lehrer gerichteten Fortbildung herausgebildet:

      • biografische Selbsterfahrung und Selbstreflexion mit dem Ziel, das eigene Gewordensein besser zu verstehen und ein versöhntes Verhältnis zu sich selbst zu gewinnen (Arbeit in Richtung Integration und Reife);

      • Aktivierung von Phantasie, Kreativität und nichtsprachlichen Symbolisierungen - aus der Erfahrung heraus, dass der Reichtum menschlicher Ausdrucks- und Erfahrungsmöglichkeiten in traditionellen Bildungsprozessen zumeist eher unterdrückt als gefördert wird;

      • Kultivierung und Differenzierung der Wahrnehmungsfähigkeit, d. h. eines offenen Gewahrseins (awareness); nach außen als nicht zielorientiert beobachtende, sondern eher frei schwebende Aufmerksamkeit, nach innen als Spürbereitschaft für Befindlichkeiten, Gefühle, spontane Impulse und Resonanzen auf Personen und Situationen;

      • Erfahrung von eigenen Handlungsschwellen und Widerständen sowie Entwicklung von Kompetenzen im Umgang mit Lernhemmungen, Verweigerungen, Kontaktschwierigkeiten und all dem, was daran hindert, sich auf Erfahrungen und das Aufgeben von Vorurteilssicherheit einzulassen.

      Die biografische Arbeit wurde auf sehr unterschiedliche Weise mit Erlebnis aktivierenden Zugängen und unter Einbeziehung nichtsprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten (Pantomime, Malen, Dingsymbolik) behutsam angeregt. Neben familiären Erfahrungen wurden besonders auch die Erfahrungen in Bildungsinstitutionen als Kinder und Jugendliche in ihrer emotionalen Qualität und Bedeutung für den individuellen Entwicklungsweg zum Gegenstand der gemeinsamen Arbeit.

      Durch solche prägenden Erfahrungen wurde das Verständnis der Teilnehmer füreinander vertieft und ein Gefühl von Gemeinsamkeit bei aller Verschiedenartigkeit der Lebenswege entwickelt. Dabei entstanden zahlreiche kleine Texte und Bilder, die von den Teilnehmern mitunter auch in ihre Berichte aufgenommen wurden.

      Die Arbeit mit kreativen Medien erwies sich als besonders produktiv. Dieser methodische Zugang half, die Barrieren sprachlicher Verständigung zu umgehen, da er besonders geeignet ist, Erfahrung von Verbundenheit entstehen zu lassen und den Wunsch nach Verständigung zu stärken.

      Tanz und Pantomime, Malen, Dichten, Tonarbeiten sowie Körper- und Bewegungsübungen förderten die Bereitschaft zum kreativen Ausdruck und die Freude daran und schärften die Wahrnehmung von nonverbalem Ausdruck. Das gemeinsame Lernen und Singen traditioneller wie internationaler Lieder, das gemeinsame Aufgreifen und Erproben von Kinderspielen und Abzählreimen führte zugleich auf einer elementaren Ebene in kulturelle Traditionen ein, auf der kulturelle Differenzen erlebt und zugleich gemeinsame Grundmuster erfahrbar wurden.

      Die Kultivierung und Differenzierung der Wahrnehmungsfähigkeit war im Wesentlichen ein mitlaufender Prozess, der gestützt wurde durch den hohen Anteil nonverbaler Verständigungsbemühungen wie der Versuche, das Gesehene, Erlebte und Miterlebte zu verbalisieren und dabei zugleich auf Nuancen zu achten.

      Die Bedeutung dieser Ebene für die Moderation sozialer Prozesse konnte am Beispiel der Leiter anschaulich erlebt werden, die ihre Wahrnehmungen und Selbstwahrnehmungen der Gruppe immer wieder offen und präzise mitteilten. Die Bereitschaft, innere und äußere Wahrnehmungen auszusprechen, erwies sich in deutlicher Weise als kulturspezifisch unterschiedlich ausgeprägt bzw. entwickelt. Dies führte zu Gesprächen über historische Erfahrungen und Bedingungen für Offenheit bzw. Selbstzurücknahme. Wie wichtig eine solche vielschichtige Wahrnehmungssensibilisierung für die tägliche Lehrerarbeit ist, wurde von vielen Teilnehmern erstmals erkannt und nachdrücklich bestätigt.

      Auch die Ebene der Erfahrung von Widerstand und der Entwicklung von Verhaltensweisen gegenüber dem Widerstand anderer war in den gemischtnationalen Gruppen beständig präsent. Sie wurde von Zeit zu Zeit explizit zum Thema von Reflexionen und kleinen Experimenten, z. B. zu Nähe und Distanz, Abgrenzen und Nein sagen können, zu Spielraum geben und eigene Wege finden lassen.

      Die Erfahrung an der Grenze und mit der Grenze konnten so in ihrer Ambivalenz von Sicherheit und Selbsteinschränkung versus Wagnis und Entwicklungsmöglichkeit bzw. von Stabilität und Veränderung erlebt und gemeinsam reflektiert werden. Widerstand wurde als Phänomen erkannt, das in sozialen Situationen dann in Erscheinung tritt, wenn die Angst vor Verlust größer ist als die Hoffnung auf Bereicherung. Dieses gilt sowohl für die Begegnung mit dem Fremden wie auch für alle Arten schulischen Lernens

      Grundvoraussetzung für einen produktiven Umgang mit den vielfältigen Formen von Widerstand ist - gerade vor diesem Hintergrund - eine Haltung von Achtung und Respekt, die darauf gerichtet ist, das Gefühl von Sicherheit und Verbundenheit zu stärken und unter Verzicht auf jeglichen Druck oder Kritik dazu einlädt, die Situation des Widerstands zum Gegenstand gemeinsamer Neugier und eines gemeinsamen Erkenntnisinteresses werden zu lassen.

      5. Resümee

      Die Ergebnisse solch einer Arbeit lassen sich nur schwer als „Produkte" nachweisen und vermitteln, da der Schwerpunkt der Bemühungen auf die Qualität der Prozesse einer Verständigung durch Begegnung gelegt wird sowie auf die Erfahrungen und reflexiven Erkenntnisse der einzelnen Teilnehmer als Gelenkstück für einen Transfer in ihre jeweilige berufliche Praxis. Von außen betrachtet lässt sich feststellen:

      • alle Teilnehmer sind dageblieben; sie haben ernsthaft und engagiert durchgehend

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