Gestaltpädagogik im transnationalen Studium. Группа авторов

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Gestaltpädagogik im transnationalen Studium - Группа авторов EHP-Edition Humanistische Psychologie

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in kollektive Interpretations- und Handlungszusammenhänge in die Doppelstruktur einerseits einer individualisierten Entscheidungsoffenheit, andererseits aber einer weitgehenden Unterordnung gesellschaftlicher Entwicklungsmöglichkeiten unter die Systemzwänge globaler Märkte.

      Die Veränderungen in den Schulen Europas durch den Wandel der Bedingungen des Aufwachsens und die dadurch geprägten Schüler gehen wohl weit über die Bedeutung jeder offiziellen Institutionsreform hinaus. Lehrer und Schüler können immer weniger auf traditionelle Weisen schulischen Lernens wie des Umgangs miteinander zurückgreifen. Kaum etwas kann noch als selbstverständlich, als Konsens, vorausgesetzt werden. Lernvoraussetzungen, Regeln des Schullebens, Umgangsformen, Klassengemeinschaft, Schulklima -ja selbst die Möglichkeiten, sich in einer Sprache zu verständigen, müssen u. U. in jeder Gruppe, in jeder Klasse und Schule neu erarbeitet werden. Die Verschiedenartigkeit von Schülern und Lehrern -jeweils untereinander wie im Verhältnis zueinander - in den prägenden Erfahrungen ihres Lebens, im Blick auf die Welt und in den Entwürfen wie in den realen Perspektiven ihres Lebens stellt die Organisation gemeinschaftlichen Lernens vor wachsende Probleme. Diese können sich nur durch eine erweiterte Verständigung über Ziele und Formen, über Bedürfnisse und Wünsche sowie durch neu einzuübende demokratisch angemessene Formen der Entscheidung und Mitgestaltung aller Beteiligten in altersgestufter Verantwortung gemeistert werden.

      Schule und Unterricht, in denen jeder eine Chance hat und niemand ausgegrenzt wird, haben es mit vielerlei Heterogenitäten zu tun. Die Unterschiede nationaler Kulturen sind dabei nicht das größte Problem und vielleicht gar ein eher abnehmendes.

      Die Einigung Europas stellt sich dar als ein Prozess voller Widersprüche: Auf der einen Seite werden die „Reichen" in Europa (und der Welt) einander immer ähnlicher in Lebensformen und Konsumkultur.

      In den internationalen Flughäfen und Hotels, an den Badestränden und in den Yachthäfen am Mittelmeer, bei den Festspielen von Salzburg oder Venedig, in den Bestsellern, Zeitschriften und Modetrends treten Tradition und Herkunft immer mehr in den Hintergrund. Auf der anderen Seite entwickeln sich Lebensformen und Erfahrungsperspektiven gesellschaftlicher Gruppen in den jeweiligen Ländern immer weiter auseinander; kulturelle Differenz wird damit verstärkt ein Problem jeweils benachteiligter Gruppen.

      Für die breite Bevölkerung Europas wird kulturelle Differenz nicht nur als Problem des Aufeinandertreffens nationaler Kulturen erlebt, sondern vor allem als Auseinanderdriften heterogener Lebens- und Erfahrungswelten von Milieus und Generationen.

      Das Erleben der Verschiedenartigkeit gehört immer mehr zur alltäglichen Erfahrung. Der Umgang mit ihr erfordert schon im familiären Bereich und im Nahbereich privaten und beruflichen Handelns Verständigungsbereitschaft, Offenheit, Selbstrelativierung und Neugierverhalten, welche zugleich als wichtige Bestandteile interkultureller Kompetenz anzusehen sind.

      Das Finden neuer Gemeinsamkeiten in Europa kann nicht allein durch das Aufspüren verbindender Traditionen in Kunst, Kultur und Religion gelingen, zumal damit neue Ausgrenzungen nahe gelegt werden können. Vielmehr bedarf die Zielsetzung, Einheit in der Vielfalt lebbar zu machen, des Ansetzens an der Erfahrung von Heterogenität. Erst wenn die Erfahrung von Heterogenität selbst als bereichernde Vielfalt erlebt wird, kann sie tragende Basis werden für neue offene und niemanden ausschließende Wertorientierungen.

      Dabei können Traditionen der europäischen Geistesgeschichte orientierend wirken, die die Idee eines kulturübergreifenden Humanismus formuliert haben.

      Einer solchen Tradition ist die Humanistische Psychologie zuzurechnen, aus der sich auch die Gestaltpädagogik herleitet. Ihre Begründer haben aus den Traumata von Tod, Verlust und Vertreibung die Idee einer kosmopolitischen Humanität gerettet und diese in das zerstörte Europa zurückgetragen. In der existentiellen Begegnung mit den Anderen, bzw. in der Bereitschaft zum rückhaltlosen Beziehungsangebot sahen sie die riskante, aber Erfolg versprechende Chance einer Überwindung kollektiver Vorurteile und erlebter Fremdheit.

      Diesem Ansatz fühlen sich auch die Initiatoren dieses Projekts verpflichtet. Aus diesem Grund wählten sie den mühevollen Weg, an Selbstwahrnehmung, Selbstausdruck und Selbstreflexion zu arbeiten als Basis und Voraussetzung für Offenheit und Verständigungsbereitschaft mit dem Anderen. Denn Verstehen und Akzeptieren des Anderen beginnt im Spüren und Annehmen von Fremdheit in der eigenen Person.

      2. Heterogenität als Aufgabe und als Bedingung der Arbeit im Projekt - Verständigung durch Begegnung

      Ein zentrales Ziel der transnationalen Lehreraus- und Fortbildungsprojekte der EU (Erasmus, Comenius u. a.) ist das in Beziehung Treten und die wechselseitige Bereicherung nationaler Lern- und Schulkulturen. Aus den Erfahrungen vielfältiger Heterogenität in den Schulklassen westlicher Großstädte (Deutschland, Österreich, Schweiz) haben wir in unserem Projekt von Anfang an „Heterogenität" nicht nur auf die unterschiedlichen Nationalitäten, Sprachen und Kulturen der beteiligten Länder - erweitert um die Sprachen und Kulturen von Zuwanderern, Kriegsflüchtlingen, Spätaussiedlern und deren teilintegrierte Nachkommen zweiter und dritter Generation - bezogen, sondern die z. T. damit verknüpften, z. T. davon unabhängigen Unterschiede in der sozialen Herkunft und in der Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Schüler mit einbezogen. Es konnte für uns daher nicht darum gehen, einzelne Aspekte der Problematik dieser Vielfalt auszugliedern und curricular zu bearbeiten mit dem Ergebnis, Methoden, Materialien und Medien für eine unterrichtliche Behandlung dieser Teilaspekte bereitzustellen. Dieser Weg führte uns allerdings in eine gewisse Spannung zu den formulierten Produkterwartungen an solche Projekte seitens der EU. Aus unseren langjährigen Erfahrungen mit gestaltpädagogischer Kompetenzentwicklung und deren Auswirkungen auf die Unterrichtsgestaltung, die Klassenführung und das Schulleben der beteiligten Lehrer hatten wir eine gewisse Skepsis gegen die geläufige Hochschätzung solch partieller methodischer Zugänge zur Veränderung von Unterricht und Schülerverhalten, da sie die Lehrer und Schüler zumeist nicht in ihrem subjektiven Erleben erreichen.

      Aus unserer Sicht schulischen Lernens und der Vielfalt seiner Bedingungen und beeinflussbaren Vorraussetzungen heraus, lautete für uns die Ausgangsfrage: Wie können Lehrer - in Ergänzung zu einer fundierten fachwissenschaftlichen und (fach-) didaktischen Qualifikation - solche persönlichen, interpersonellen und sozialen Kompetenzen erwerben, wie sie für einen Umgang mit ihren in vielen Dimensionen so unterschiedlichen Schülern nötig erscheinen. Wir verstehen darunter zu allererst die Fähigkeit, den einzelnen Kindern zuzuhören in ihren Nöten und Sehnsüchten, die unterschiedlichen Bedürfnislagen und Erwartungsstrukturen anzuerkennen und die Spannung auszuhalten zwischen den Bedürfnislagen und dem, was in der Schule möglich ist und was notwendig auch erreicht werden muss. Auf dieser Grundlage geht es dann um die Fähigkeit, Kommunikationsprozesse zu initiieren und Lernen zu ermöglichen in einer Form, dass -trotz zunächst unüberblickbarer Verstehens- und Verständigungsschwierigkeiten - Beziehungen zwischen den Schülern entstehen und allmählich ein Gefühl von Gemeinsamkeit und von Lust auf Lernen sich entwickeln kann. Es geht darum, die Lebensprobleme der Kinder zu sehen und sie soweit aufzugreifen, dass sie die gemeinsamen Lernprozesse nicht blockieren.

      Als Konsequenz aus einer solchen Sicht wollten wir in unseren Projekten Lehrer und Studenten einer analogen Erfahrungssituation aussetzen und am eigenen Leibe die Fremdheit und Unsicherheit einer kulturell und sprachlich heterogenen Gruppe erleben lassen. Sie sollten miteinander daran arbeiten, in dieser Situation neue Erfahrungen mit sich selbst und anderen zu machen, damit ein Lernen miteinander und voneinander möglich wird.

      Ergänzend zu einer zeitraubenden und Distanz schaffenden Sicherung von Verständigung durch Übersetzung war es uns vor allem wichtig, den Wunsch zu stärken, sich mit den anderen im direkten Kontakt zu verstehen. Wir wollten die Bereitschaft fördern, mit den anderen in der Gruppe in Hinblick auf kleine, spielerische Vorhaben zu kooperieren, bei denen Missverständnisse keinen Schaden anrichten, sondern eher zu Heiterkeit beitragen. Wir wollten die Neugier auf die anderen Menschen,

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