Gestaltpädagogik im transnationalen Studium. Группа авторов

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Gestaltpädagogik im transnationalen Studium - Группа авторов EHP-Edition Humanistische Psychologie

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ist die Gedankenfigur, die ich dabei im Auge habe. Dieser Anspruch lässt sich in unterschiedlicher Ausprägung zwar und nur bei genauem Hinsehen bei allen Autoren der Humanistischen Psychologie aufspüren – allerdings besonders dort, wo der Dialog mit der Wissenschaft gesucht und nicht für obsolet erklärt wird.

      Wahrnehmungsoffenheit nach innen und außen ist nicht nur für die intersubjektive Beziehung, sondern auch für die Kunst des Unterrichtens von Bedeutung. Ich habe dies in meiner Arbeit über bildendes Lehren und Lernen8 am Beispiel Wagenscheins und an Ansätzen aus der Grundschulpädagogik herausgearbeitet und sie zugleich als das Herzstück des gestaltpädagogischen Ansatzes beschrieben, dem ich mich besonders verbunden fühle.

      4.4 Was ich vom Ansatz der TZI gelernt habe - ich hatte das Glück, ihn durch Ruth Cohn persönlich als Teilnehmerin eines ihrer ersten Seminare in Deutschland kennen zu lernen - ist demgegenüber etwas bescheidener, aber von großer pragmatischer Bedeutung. Es ist das Gespür für die Dynamik einer Lerngruppe, das Vertrauen in ihre Selbstorganisationsfähigkeit, die Bereitschaft, Macht abzugeben und ein Gefühl für das, was sie dynamische Balance nennt. Hüter der dynamischen Balance zu sein, wie Ruth Cohn die Funktion des Gruppenleiters beschreibt, habe ich für mich in der Universität vor allem darauf bezogen, den Dualismus von Personenorientierung einerseits und Sachorientierung andererseits, von Erfahrungs- und Theoriebezug, aber auch von persönlicher Begegnung mit Menschen und des ebenso erforderlichen bewertenden Distanzverhältnisses in Vorstellungen von der Möglichkeit eines fluktuierenden Wechsels einzubetten. Um diese begrifflich zu erfassen bedurfte ich persönlich allerdings auch des Weges oder Umweges über erkenntnistheoretische Grundfragen. Das Kernstück der Theorie der TZI, das berühmte Dreieck in der Kugel, lädt nämlich m. E. allzu sehr dazu ein, mit einem einfachen Bild und griffigen Formeln die schwierigen Fragen des Lehrens und Lernens für beantwortet zu halten.

      5. Gedanken zur Aktualität der Humanistischen Psychologie für die Pädagogik

      Wenn ich nun abschließend versuche, die allgemein als charakteristisch dargestellten wie die mir persönlich besonders bedeutsamen Aspekte der Humanistischen Psychologie mit Blick auf die Pädagogik zusammenzuschauen, erscheinen mir folgende drei Punkte zentral:

      1. Für die pädagogische Forschung, auch zur Zeit der neuen Blüte der Entwicklung und Verwendung qualitativer Methoden zur Erforschung des Subjekts und seiner interdependenten Bezüge bleibt die Warnung der Humanistischen Psychologen aktuell, dass die notwendige methodische Sicherung der Erkenntniswege immer auch der Gefahr ausgesetzt ist, als ein raffiniertes Instrumentarium einer Bemächtigungshaltung verwendet zu werden. Forschungsmethoden, auch qualitative, sind doppelgesichtig. Sie dienen dazu, den Erkenntnisweg transparent und nachvollziehbar zu machen, und zugleich legen sie dem Forscher mit der Notwendigkeit der Distanznahme auch immer nahe, sich von dem erforschten Gegenüber nicht selbst berühren zu lassen. Die Forscher schneiden sich damit aber allzu leicht von der Wahrnehmung ihrer eigenen subjektiven Resonanz ab, die in der Sicht der Humanistischen Psychologen als eine Erkenntnisquelle ersten Ranges zu werten ist und auch in Forschungszusammenhängen ihren Stellenwert behalten muss -durchaus in Analogie zu dem, was Gadamer für das hermeneutische Verstehen eindrücklich herausgearbeitet hat. Wahrheit und Methode stehen zueinander nicht in einem Kausalitätsverhältnis. Vor allem müssen wir bereit bleiben, uns von den Erlebnisweisen der erforschten Subjekte „etwas sagen zu lassen“.

      2. Hinsichtlich der Gestaltung von Lehr-/Lernprozessen ist die mit dem humanistisch-psychologischen Ansatz verbundene Vorordnung der Haltungen des Lehrenden vor die von ihm verwendeten didaktischen Methoden m. E. eine weiterhin aktuelle und überaus anspruchsvolle Position. Sie rückt die Entwicklung der Persönlichkeit des Lehrers aus dem Status einer „auch noch“ hinzukommenden Komponente oder eines Zufallsfaktors an eine wichtige, ja zentrale Stelle auch in Ausbildungszusammenhängen. Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung müssen dabei nicht unbedingt selbst zum Thema gemacht werden, aber es ist sicherlich hilfreich, wenn Themen von Lehrveranstaltungen sich auch auf biographisch relevante Zusammenhänge richten wie Kindheit, Wandel der Familie, weibliche und männliche Adoleszenz, Alter, Fragen des Lebenslaufs und der Entwicklungspsychologie, Umgang mit Fremdheit und Differenz sowie last but not least natürlich Grundfragen der Erziehung und Bildung.

      Persönlichkeitsentwicklung wird aber auch dann mitgefördert, wenn in unseren Lehrveranstaltungen nicht nur der Stoff, die Sache oder die Wissenschaft im Zentrum stehen, sondern immer zugleich auch Achtsamkeit auf die Wahrnehmung des jeweiligen Gegenübers, der Lernenden als Personen gerichtet wird. Personenorientierung kann m. E. in die wissenschaftliche Lehre besonders gut eingehen, wenn dialogische Formen des Lehrens und Lernens gepflegt werden und wenn neben der Vermittlung von Sachzusammenhängen das Denken- und Verstehenlernen mitgelehrt wird, d. h. die eigenständigen Suchbewegungen der Lernenden unterstützt werden und das aufrichtige lernende Interesse des Lehrenden finden.

      3. und letztens: Das alles ist wahrlich nichts Neues. Aber die Pointe des phänomenologischen Akzents in der Humanistischen Psychologie - und das, was zugleich ihre Grundpositionen weiterhin aktuell hält - ist auch nicht so sehr die Entdeckung von „Neuland“, sondern der fragende und unvoreingenommene Blick auf Bekanntes. Dieses wird ermöglicht durch die mit diesem Ansatz verbundene Haltung der Offenheit gegenüber der jeweiligen Situation in ihrer Einzigartigkeit. Pädagogen mit humanistisch-therapeutischen Erfahrungen entwickeln besondere Kompetenzen dafür, in einer konkreten Situation den rechten Zeitpunkt und die angemessene Art pädagogischen Tuns oder Lassens zu finden - ich verzichte hier bewusst auf den technisch klingenden Begriff der Intervention. D. h. sie entwickeln die Kunst, sich mit dem Nicht-Machbaren einzulassen und die Mischung von Verursachung und Widerfahrnis zuzulassen und auszubalancieren, die pädagogische Situationen auszeichnet. Die mit dem phänomenologischen Ansatz verbundene Offenheit macht auch das Betreiben von Wissenschaft und die intersubjektive Verständigung darüber immer wieder neu zur Aufgabe mit offenem Ergebnis und nötigt uns, aus der gesicherten Ruhe von Wissensbeständen, methodischer Kontrolle der Erkenntniswege und Handlungsroutinen herauszutreten und alte Fragen nicht für erledigt zu erklären.

      In diesem Sinne ist Humanistische Psychologie und die von ihr angeregte Humanistische Pädagogik keine „Pädagogik light“, sondern eine andere mögliche und optimistischere Perspektive auf den Mythos von Sisyphos, die m. E. neben der Perspektive des großen Siegfried Bernfeld ihre Berechtigung hat. Nicht nur die Vergeblichkeit und das Immergleiche ist darin zu sehen (der Stein, den wir den Berg hinaufbewegen, rollt immer wieder herunter); man kann den Mythos auch auffassen dahingehend, dass uns immer wieder von neuem der Stein entgegenrollt, den wir die Chance haben, neu zu bewegen. Jede Situation ist wie jedes Individuum einzigartig. Wie wir uns von Fortschrittsillusionen zu verabschieden haben und uns, wie uns Bernfeld belehrt hat, mit den Grenzen der Erziehung auch den Grenzen der Pädagogik und unseren eigenen Grenzen stellen müssen, so bedeutet das „immer wieder neu“ auch: immer wieder neu zu beginnen und immer wieder neu zu lernen.

      So stellt sich mir die Humanistische Psychologie nicht nur dar als historisch bedeutsamer Reformanstoß, sondern als bleibende Herausforderung für den einzelnen Pädagogen zur fortwährenden Aktualisierung ihrer Einsichten und Grundhaltungen in seinen pädagogischen Theorie- und Praxiszusammenhängen.

      Jörg Bürmann (DE)

      Gestaltpädagogik als Brücke zum Fremden

      1. Europa im Wandel und die schwierige Suche nach neuen Gemeinsamkeiten.

      Wir leben in einer Zeit, in der Veränderung zur Normalität wird. Der technisch-wirtschaftliche Wandel hat in den letzten fünfzig Jahren nicht nur Produktion und Handel in den großen Städten wie nachfolgend auch in den ländlichen Bereichen Europas tiefgreifend verändert, sondern er hat auch die Lebensweise der Menschen, die familiären Strukturen, das Verhältnis der Geschlechter und die Situation von Kindern und Jugendlichen radikal umgestaltet.

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