Gestaltpädagogik im transnationalen Studium. Группа авторов

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Gestaltpädagogik im transnationalen Studium - Группа авторов EHP-Edition Humanistische Psychologie

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mit Blick auf die experimentelle psychologische treatment-Forschung, in der Affen in die Psychose getrieben wurden, einmal so formuliert:

      „Man kann das Wesen der Dinge untersuchen, indem man ihnen etwas antut, aber über die eigentliche Natur lebender Wesen kann man nur etwas lernen, wenn man etwas mit ihnen oder für sie tut“4

      Ein positives Beispiel aus der Tierforschung dafür, dass eine solche Auffassung zu einer höchst produktiven Erkenntnishaltung führen kann, sind Konrad Lorenz’ Forschungen an Graugänsen, zu denen er in eine ernsthafte und respektvolle soziale Beziehung trat. Für die dabei gewonnene bahnbrechend neue Sicht auf das Verhalten von Tieren wurde er Ende der 60er Jahre mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

      Die Pioniere der Humanistischen Psychologie, denen selbst in ihrer Mehrzahl direkt oder indirekt Schlimmstes angetan worden ist, reagierten auf diese Erfahrung, indem sie einen radikal anderen Beziehungsmodus dem je einzelnen Menschen gegenüber nicht nur einforderten, sondern selbst zu leben und in ihr berufliches Handeln zu integrieren suchten. Sie haben damit einen wegweisenden Impuls gegeben.

      4.2 Ein weiteres Moment, das mir persönlich an diesem Ansatz wichtig ist, ist der Mut zur ungeschützten Offenheit für den in der eigenen konstruktiven Entwicklung blockierten Anderen. Das setzt voraus, dass der veränderte Beziehungsmodus zunächst und vor allem sich selbst gegenüber realisiert werden muss. Ungeachtet der Notwendigkeit einer sekundären Einbettung in eine professionelle Methodik besteht hierin meines Erachtens ein entscheidendes Kernstück des humanistisch-psychologischen Ansatzes. Dies ist eine Aufgabe von so hohem Anspruch an die personale Integrität, dass gerade dieses Moment sich der Trivialisierung - wie aber auch der Sicherung durch Methode - entzieht. Fasst man die von Rogers herausgearbeiteten Grundelemente einer hilfreichen Beziehung - also Wertschätzung, Empathie und Kongruenz - auf als Aspekte einer Begegnungshaltung im Buberschen Sinne, so wird deutlich, dass es sich um Haltungen handelt, die ihre Wirksamkeit in der existentiellen Aufrichtigkeit eines Subjekts haben, das sich selbst körperlich, seelisch und geistig wahrnimmt und ungeschützt in die Beziehung einbringt. Ich zitiere zur Veranschaulichung eine Ausführung des späten Rogers zur Kongruenz, die er als wichtigste Bedingung für eine entwicklungsfördernde Beziehung ansieht.

      „Je mehr der Therapeut in der Beziehung er selbst ist, d.h., kein professionelles Gehabe und keine persönliche Fassade zur Schau trägt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich der Klient äußern und auf konstruktive Weise wachsen wird. Das bedeutet, daß der Therapeut offen die Gefühle und Einstellungen darbietet, die ihn im Augenblick bewegen. Der Begriff der Transparenz wird diesem Sachverhalt gerecht:

      Der Therapeut macht sich dem Klienten gegenüber transparent; der Klient kann ohne weiteres sehen, was der Therapeut in der Beziehung ist; der Klient erlebt kein Zurückhalten seitens des Therapeuten. Was den Therapeuten betrifft, so ist das, was er oder sie erlebt, dem Bewußtsein zugänglich, kann in der Beziehung gelebt und, falls angebracht, kommuniziert werden. Es besteht also eine genaue Übereinstimmung zwischen dem körperlichen Empfinden, dem Gewahrsein und den Äußerungen gegenüber dem Klienten.“5

      Die Bereitschaft zur ungeschützten Transparenz ist, wie auch im Zitat angedeutet, selbstverständlich nicht identisch mit hemmungsloser Selbstoffenbarung des Therapeuten in der Kommunikation mit dem Klienten. Ruth Cohn hat in diesem Zusammenhang treffend von „selektiver Authentizität“ gesprochen, die sie auch als pädagogische Haltung versteht. Sie ist gegründet in der Offenheit der Selbstwahrnehmung und ist von der bloßen Attitüde der Menschenfreundlichkeit gerade durch ein Zulassen auch „unerwünschter“ Regungen wie durch verantwortliche Auswahl und Differenziertheit ihrer Mitteilung zu unterscheiden. Auch ist, obgleich dies oftmals nicht genügend betont wird, im Konzept der Empathie nicht nur die menschliche Möglichkeit angesprochen, sich selbst im Anderen wieder zu erkennen, sondern Empathiefähigkeit impliziert auch, den Anderen im Anderen zu erfahren und dieses auszuhalten. So wird auch die Grenze zum Anderen transparent, d. h. zugleich durchlässig und wahrnehmbar.

      In der Ausarbeitung eines Verständnisses der hilfreichen Beziehung, die nicht bemächtigend und objektivierend, sondern offen und begegnend ist, verbunden mit einer genauen Beschreibung von Grundhaltungen, die diese ermöglichen sowie des Aufweisens methodischer Wege zu ihrem Erwerb, liegt für mich die Hauptbedeutung des personenzentrierten Ansatzes von Rogers. Dessen Relevanz für das Verständnis der pädagogischen Beziehung ist meines Erachtens offenkundig und unbestritten, wenngleich natürlich nicht alle Aspekte des Pädagogischen darin aufgehoben sind.

      Es bestehen im Übrigen Übereinstimmungen nicht nur mit Martin Bubers philosophischem Konzept der Begegnung, sondern auch mit Otto Friedrich Bollnows Bemühungen, die „gefühlsmäßigen Grundlagen der Erziehung“ genauer zu beschreiben, wie er es in seinem Buch „Die pädagogische Atmosphäre“ von 1964 getan hat. Viele Pädagogen meiner Generation konnten in den 1970er Jahren Rogers leichter und besser rezipieren als die existenzphilosophischen Texte zur Pädagogik in ihrer spezifischen Sprache der Schwere und Bedeutsamkeit.

      4.3 Demgegenüber ist es der von Fritz und Lore Perls entwickelte und in Zusammenarbeit mit Paul Goodman theoretisch fundierte Ansatz der Gestalttherapie, der das dritte für mich wesentliche Moment der Humanistischen Psychologie besonders ins Zentrum stellt.

      Das ist die Betonung des Gewahrseins, der „awareness“, der phänomenologischen Wahrnehmungsoffenheit. In ihm wird letztlich auch Erkenntnis als Begegnung aufgefasst. Heik Portele hat einmal die Gestalttherapie in Abgrenzung von anderen therapeutischen Richtungen nach ihrem jeweiligen sprachlichen Grundgestus folgendermaßen zu fassen gesucht:

      „Der Freudsche Therapeut sagt: ‘Assoziiere, ich werde Deine geheimnisvollen Triebmechanismen aufdecken.’ - Reich: ‘Befreie Dich von Deinem Panzer!’ - Rogers: ‘Ich versteh Dich, ich weiß, wie das ist.’ - Und Perls: ‘Schau doch richtig hin.’“6

      Das klingt vielleicht trivial, erweist sich aber immer wieder als hochbrisant, denn das „genaue Hinschauen“ im Sinne von Perls verlangt uns ab, unsere habituellen Wahrnehmungsroutinen hinter uns zu lassen, die objektivierende und analysierende Distanznahme eine Zeitlang auszusetzen und uns dem zu überlassen, was dann geschieht. Perls und Goodman prägten für eine solche phänomenologische Erkenntnishaltung den Begriff des Einlassens auf den mittleren Modus, einen Zustand zwischen Tun und Erleiden, mit dem sie das Phänomen basaler Spontaneität des lebendigen Organismus verbunden sehen.

      „Spontaneität ist das Gefühl, den gerade ablaufenden Organismus Umwelt-Prozeß handelnd zu erleben, nicht nur Gestalter oder das Gestaltete zu sein, sondern darin zu wachsen. Spontaneität ist nicht gelenkt oder selbstlenkend, noch ist sie ein Dahingetragenwerden, wobei man im Grunde unbeteiligt wäre, sondern sie ist ein Entdecken und Erfinden, während man unterwegs ist, sich einlässt und anerkennt. Das Spontane ist zugleich aktiv und passiv, sowohl das, wozu man bereit ist, wie auch das, was einem zustößt. Oder besser, es ist ein mittlerer Modus zwischen Tun und Erleiden, eine schöpferische Unparteilichkeit, ein Desinteresse, nicht in dem Sinne, dass man nicht erregt oder nicht schöpferisch wäre, denn Spontaneität ist dies beides in außerordentlichem Maße, sondern als Einheit vor (und nach) der Trennung von Aktivität und Passivität, die beides einschließt.“7

      Mit der Bemühung um die Beschreibung und Realisierung nicht bemächtigender Grundvorgänge der Wahrnehmung wie des Erkennens verknüpft sich bei Perls eine Tendenz zur polemischen Abwertung der kulturell-dominanten Haltung der reflexiven Distanznahme als einer habitualisierten Form der Kontaktvermeidung, deren Beweggrund die Angstabwehr sei.

       Diese Sicht enthält meines Erachtens ein sehr wahres, aber genauso ein vereinseitigend falsches Moment. Soweit der Modus der reflexiven Distanznahme Herrschaft über den anderen ausübt, ist auch der Perlssche Rebellionsimpuls legitim. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass das Zulassen des mittleren Modus nicht in eine Alternative zur reflexiven Distanznahme verwandelt werden darf, sondern dass es gilt, das

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