Gestaltpädagogik im transnationalen Studium. Группа авторов

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Gestaltpädagogik im transnationalen Studium - Группа авторов EHP-Edition Humanistische Psychologie

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unserem Leitungsteam wie auch in den drei jeweils gemischtnationalen Gruppenleitungen ging es darum, einander kennen zu lernen, Missverständnisse auszuräumen und in gemeinsamer Arbeit zueinander zu finden. Wir bemühten uns darum, Heterogenität als Bereicherung erleben zu lernen und dabei zugleich in allen Dimensionen anzuschauen:

      • Beteiligt waren im Laufe der Jahre sehr viele Länder; die drei kulturellen und sprachlichen Großräume Europas (der romanische, der slawische und der germanische - soweit wir diese Begriffe heute noch gebrauchen möchten) wie die Türkei waren dabei vertreten;

      • Es ging um einen Brückenschlag zwischen West und Ost (viele der beteiligten Länder gehörten für fünfzig Jahre zu den sozialistischen Staaten Europas);

      • Die Wunden zweier Kriege galt es zu sehen und zu überwinden (alle beteiligten Länder hatten sich in Kriegen gegenüber gestanden, auch Väter und Großväter der Teilnehmer) und auch an den Orten unserer Seminare waren die Spuren des Krieges unübersehbar;

      • Die beteiligten Regionen waren im Hinblick auf den Stand der wirtschaftlich-technischen Entwicklung, die Arbeitsbedingungen und den Lebensstandard der Bevölkerung extrem verschieden; dies erfuhren wir auch im Projekt: was für die einen „spottbillig" war, war für die anderen ein seltener „Luxus";

      • Die Schulsysteme und Bildungsvorstellungen der Länder wurzelten in ganz unterschiedlichen Traditionen;

      • Die beteiligten Studierenden hatten unterschiedliche Studienziele und die Lehrer kamen aus allen Formen des Bildungswesens (vom Kindergarten bis zur Universität);

      • Die Teilnehmer selbst gehörten unterschiedlichen Generationen an (z. T. mehr als 30 Jahre Altersunterschied), sie waren jung und ledig, Mütter oder Großmütter;

      • Projektmitarbeiter wie Teilnehmer hatten unterschiedlichen beruflichen Status: Studierende, Lehramtsanwärter, Lehrer, Schulleiter und Lehrerausbilder; Hochschullehrer und ihre Studenten saßen in einer Gruppe beieinander.

      Bei so viel Trennendem stand für uns das Kennenlernen, die Verständigung und Wertschätzung sowie die Beziehungspflege unter den Projektmitgliedern stets im Vordergrund gegenüber einem möglichen Streit über die „wirklichen" Probleme heutiger Schulen oder das „richtige" Konzept zur Problemlösung. Der Wunsch, das Vorhaben gemeinsam zu wagen, das Risiko des Projekts nach innen und außen gemeinsam zu verantworten, erleichterte das Finden pragmatischer Kompromisse und die Konzentration auf den jeweils nächsten Schritt.

      Die vorgängige Freundschaft einiger Projektmitglieder und ihre z. T. gemeinsamen Erfahrungen mit der Gestaltpädagogik erleichterten diese Vorgehensweise und waren eine gute Basis, die neu hinzukommenden Projektmitglieder und Teilnehmer in diesen Kreis mit aufzunehmen.

      Die offene Aussprache über unsere Ideen und Erwartungen, über Enttäuschungen und Beglückendes, über Ansprüche der Institutionen „in unserem Rücken" wie über eigene Ängste, Grenzen und biografische Verletzungen erleichterte es uns, gemeinsam das Wagnis und die erhebliche finanzielle Verantwortung zu tragen, oft in Vorleistung zu gehen und evt. Finanzierungslücken in Kauf zu nehmen, da z. B. die entsprechenden Bewilligungsbescheide aus Brüssel weit hinter den verbindlich zugesagten Terminen und den bereits festgelegten Projekttreffen bei uns eintrafen. Das Modell der offenen Verständigung, getragen von Wertschätzung des anderen und dem gemeinsamen Interesse, dass es keine Verlierer geben möge, das Prinzip der Einigung auf kleine pragmatische Schritte mit der Bereitschaft jederzeit um- oder gegenzulenken, wenn es nötig erschien (d. h. ein Prinzip der „Fehlerfreundlichkeit") sowie die Verlässlichkeit, „die Suppe gemeinsam auszulöffeln", deren Zutaten wir gemeinsam ausgewählt hatten, haben uns geholfen, das Projekt schließlich zum Erfolg zu führen. Bedauerlicherweise wird die Fähigkeit in einem Streitgespräch seine Position zu behaupten, uns nicht nur in Politik, Wissenschaft und Medien weit stärker präsentiert und wohl auch in den Bildungssystemen mehr gefördert, als die Bereitschaft und die Haltung, im „Gespräch" miteinander den Erfahrungsaustausch über Perspektiven auf die Welt und den Erkenntnisfortschritt in der Sache mit der Stärkung der Beziehungen der Beteiligten im Dialog zu verbinden.

      Die entscheidende Voraussetzung dafür, das „Andere" und den „Anderen" nicht als Gefährdung der eigenen Identität zu erleben und es/ihn daher zu bekämpfen, scheint uns zu sein, durch positive Erfahrungen die Hoffnung der Beteiligten zu stärken, das Fremde als mögliche Bereicherung sehen zu lernen.

      3. Die Herrschaft der Vernunft, ihre psychoanalytische Relativierung und die gestalttherapeutische Sicht der Beziehungen zwischen Rationalität und innerer Erfahrung

      Der Rationalismus der Aufklärung hat alle Menschen aufgefordert und gestärkt, sich von der „selbstverschuldeten Unmündigkeit" zu befreien und damit zugleich die Entwicklung demokratischer und wirtschaftlich prosperierender Verhältnisse in Europa gefördert. Er hat indirekt Europa und der Welt aber auch den Weg in die Nationalstaaten und ihre neuartigen, totaleren und entritualisierten Territorialkriege geebnet und er hat die Menschen einsam, auf sich gestellt und überanstrengt hinterlassen.

      Emanzipation bedeutet stets auch eine Preisgabe, - einen Verlust an Geborgenheit, an geteilter Verantwortung, an Integration in kollektive Vorstellungen und religiöse Weltdeutungen. Die in neuerer Zeit als fortschreitende „Individualisierung" beschriebene Entwicklung stellt schließlich selbst familiäre Strukturen in Frage und lässt den Einzelnen zurück mit unbegrenzter Verantwortung für die Verwirklichung seines Lebensentwurfs in der prinzipiellen Entscheidungsoffenheit seines Daseins.

      Das Individuum verantwortet sich selbst - und es wird auch von ihm erwartet, dass es seine Entscheidungen, sein Verhalten, sein Sosein erklären kann und zwar mit guten Gründen. Hieraus resultiert ein besonderer Zwang, sich nicht nur zu zeigen (wie man ist), sondern sich darzustellen und zu rechtfertigen.

      An der Schwelle von Außen und Innen, zur Außendarstellung in Rede und Handeln erwarten wir von einander Eindeutigkeit; Zögern gilt als Unentschlossenheit, Ambivalentes, Diffuses, Widersprüchliches gilt als unerwachsen.

      Treten wir einander aber als Individuen gegenüber mit gefestigten Ansichten von der Welt und begründeten Meinungen zu dem, was getan werden sollte, mit dogmatischen Wahrheiten oder gar „wissenschaftlich gesicherten" systematischen Theorien, ist „Streit angesagt": wer hat Recht, wer hat die besseren Gründe? - Es geht um Überlegenheit und Minderwertigkeit, um Sieg und Niederlage, um existentielle Angst und sich bedroht fühlende Ich-Identität.

      In der „Selbstbehauptung" ringt das Ich um die Anerkennung seiner Einzigartigkeit durch die anderen, von ihm verschiedenen - um den Platz des Besonderen im Allgemeinen. Das nicht öffentlich Anerkannte, das nicht Sprachfähige bleibt ausgegrenzt und bedroht das Ich von Innen. Die doppelte Verteidigungsaufgabe des Ichs - nach Innen und nach Außen -‚ die ich als „Wehrstruktur des Ichs" bezeichnen möchte, wird verstärkt durch den aufklärerischen Rationalitätsanspruch des moderneren Subjekts, den es verinnerlicht hat und gegen sich selbst, seine Träume, Wünsche, Gefühle und Ängste zurückwendet.

      Im Bemühen um psychische Gesundheit und um das - dafür erforderliche - Gefühl, sich als aktiv gestaltender Mittelpunkt seiner Welt zu erleben, ist das Ich zu allerlei Einseitigkeiten, spezifischen Akzentuierungen, Wahrnehmungsverweigerungen und interpretierenden Umdeutungen des Wahrgenommenen bereit, um seine Muster des Wahrnehmens und Handelns, seine „Übertragungen" früher Beziehungs-Erfahrungen und seine Art, die Welt zu sehen, zu bewahren - voller spezifischer Chancen und voll allerpersönlichster Gefahren.

      Dieses Bild der Welt verteidigt der Mensch - als einzelner oder in Gruppen; seine Art, die Welt zu sehen, ist Teil seiner Identität, die er von den anderen anerkannt und bestätigt sehen möchte. Je mehr er sich bedroht, angegriffen oder auch nur durch

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