Die Tote von der Maiwoche. Alida Leimbach
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Читать онлайн книгу Die Tote von der Maiwoche - Alida Leimbach страница 14
»Lassen Sie uns unseren Job machen, Herr Wagner«, bat Birthe ruhig, ohne auf seine voreilige Schlussfolgerung einzugehen, die sie ärgerte. »Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen.«
»Nichts deutet bisher darauf hin, dass es ein Asylbewerber ist«, kam Daniel ihr zu Hilfe.
Birthe atmete tief durch. »Kollegen von uns sind noch vor Ort. Sie machen ihre Arbeit gründlich und präzise und gehen erst, wenn sie alle verwertbaren Spuren gesichert haben.«
Christian Wagner streckte ihr seinen Zeigefinger entgegen. »Finden Sie das heraus! Beeilen Sie sich! Ich zahle eine große Summe für die Ergreifung des Täters. Er muss dafür büßen, was er getan hat, er muss seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Ich will ihn leiden sehen. Er soll begreifen, was er gemacht hat. Wenn Sie nicht schnell genug sind, werde ich Sie verklagen! Ich werde noch heute meinen Anwalt informieren.«
»Seien Sie unbesorgt, Herr Wagner«, sagte Daniel. »Die Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten liegt bei fast 100 Prozent.«
»Zahlen interessieren mich nicht. Es geht um meine einzige Tochter. Ich lasse Sie fortan nicht in Ruhe. Ich will wissen, was mit meiner Tochter passiert ist!«
»Wann haben Sie Jessica das letzte Mal gesehen?«, richtete sich Birthe an Frau Wagner.
»Oje, das weiß ich gar nicht genau«, sagte Elke Wagner tonlos. »Wir hatten immer engen Kontakt über das Handy. Gestern Abend haben wir noch miteinander geschrieben, kurz vor dem Konzert. Jessica wollte hinterher gleich berichten, wie es gelaufen ist, doch das hat sie nicht getan. Ich habe lange gewartet, aber es ist nichts gekommen. Ich habe sie in Ruhe gelassen, weil ich dachte, sie sei müde oder vielleicht noch mit ihren Kollegen ausgegangen. Das war unser letzter Kontakt. Ich hatte vor, gleich zu ihr zu fahren und ihr ein paar Brötchen vorbeizubringen.« Mit hilflosem Blick sah sie ihren Mann an.
Christian Wagner schüttelte den Kopf, als sei das alles für ihn unbegreiflich, als könne er es nicht fassen. »Vor einer Woche waren wir das letzte Mal bei ihr. Am Sonnabendvormittag. Wir haben ihr was zum Frühstücken vorbeigebracht.«
»Wie wirkte sie da auf Sie?«
Christian Wagner verschränkte seine Arme vor dem Körper. »Völlig normal. Wie immer. Sie hatte es eilig, sie wollte zu einer Probe.«
»Ganz so stimmt das nicht«, fiel ihm seine Frau ins Wort. »Sie hatte schon länger Probleme. Davon habe ich dir doch erzählt.«
»Zeigen Sie mir bitte mal den Chatverlauf von gestern Abend«, wandte sich Birthe an Jessicas Mutter. Die stand auf, um ihr Handy zu holen. Birthe wartete gespannt und las sich dann den Verlauf durch, um das Telefon anschließend an Daniel weiterzureichen. »Sie fühlte sich gemobbt«, sprach sie laut aus. »Von wem? Wissen Sie das?«
»Von allen Bandmitgliedern außer Carsten Tobecke. Fragen Sie mich bitte nicht, warum«, sagte Elke Wagner. »Ich weiß es nicht. Unsere Tochter fühlte sich leicht auf den Schlips getreten. Nicht immer haben wir den Grund erfahren, und wir wollten ihn auch nicht immer so genau wissen. Wir wollten nicht, dass sie sich in etwas hineinsteigert.«
»Sie sprachen eben von Problemen. Was für Probleme waren das?«
Elke Wagner öffnete ratlos ihre Hände. »Meine Tochter war sehr emotional. Sie hat sich alles zu Herzen genommen, jede Kritik, jede Zurückweisung. In der letzten Zeit ging es ihr nicht sonderlich gut. Aber oft hatte ich auch den Eindruck, dass sie übertreibt. Sie dachte immer gleich an Mobbing, wenn jemand nicht superfreundlich zu ihr war. Ich habe ihr gesagt, dass die Leute vielleicht ihre eigenen Probleme haben, aber sie hat alles immer nur auf sich bezogen.«
»Wissen Sie, was Ihre Tochter gestern nach ihrem Auftritt vorhatte? Wollte sie irgendwohin? War sie mit jemandem verabredet?«
Die Eheleute schwiegen. Birthe und Daniel ließen ihnen Zeit zu antworten.
»Wir ermitteln vorrangig in Jessicas persönlichem Umfeld. Vielleicht können Sie uns bei den folgenden Fragen weiterhelfen«, sagte Birthe. »Mit wem hatte Ihre Tochter in der letzten Zeit Kontakt? Ist sie mit jemandem in Streit geraten?«
Elke Wagner zuckte stumm mit den Schultern. »Gestern Abend hatte sie sich über die anderen Musiker geärgert, weil sie sich nicht beachtet gefühlt hat. Das hat Jessica besonders gehasst: wenn man sie ignoriert hat.« Sie faltete ihre Hände und legte sie in den Schoß.
»Ich verstehe«, antwortete Birthe. Kurz dachte sie daran, dass auch ihr Verhältnis zu ihren Eltern längst nicht mehr so innig war wie vor einigen Jahren und dass sie manchmal regelrecht vergaß, sich bei ihnen zu melden. »Eltern wissen nicht alles von ihren Kindern. Aber Sie können ja mal darüber nachdenken. Sie müssen nicht sofort antworten. Sobald Ihnen etwas einfällt, melden Sie sich einfach bei uns.«
»Dazu wird uns nichts einfallen«, sagte Herr Wagner kurz und knapp. »Jessica hat nicht viel mit uns geredet. Über ihr Privatleben wissen wir wenig. Wir vermuten, dass sie in der letzten Zeit eine Beziehung hatte, das ist auch schon alles. Vor etwa einem Vierteljahr war sie noch gut gelaunt, fast euphorisch, und in der letzten Zeit war sie wie ausgewechselt – eher deprimiert und sehr still.«
»Ich hatte schon engen Kontakt mit Jessica«, antwortete Elke Wagner. »Sie hat sich täglich bei mir gemeldet. Wir haben telefoniert oder kurz gechattet. Trotzdem hatte ich den Eindruck, sie wollte mir nicht alles sagen. Ich habe es so hingenommen, wollte nicht in sie dringen. Das mochte sie nämlich nicht. Dann hat sie dichtgemacht und mich nicht mehr an sich herangelassen.«
»Gab es jemanden, vor dem sie Angst hatte?«, fragte Birthe.
»Sie war sehr sensibel«, sagte Christian Wagner. »Ängstlich nicht, aber sensibel. Oder?« Er suchte Bestätigung bei seiner Frau.
»Sie hatte Angst vor Menschen. Vor Menschenmengen«, fügte Elke Wagner hinzu. »Sie brauchte den Applaus, war regelrecht süchtig danach, aber kurz vor einem Auftritt wäre sie jedes Mal fast gestorben vor Angst. Entschuldigen Sie mich bitte für einen Moment.« Sie ging aus dem Raum und kam wenig später mit einer Flasche Mineralwasser und zwei Gläsern zurück. Während sie die Gläser füllte, entstand eine Redepause.
*
Am Steuer des neuen weißen Mercedes saß Alwin Müller. Vorsichtig rangierte er das Fahrzeug aus der Hofeinfahrt. Angelina ärgerte sich, dass ihr wie gewöhnlich nur der Part der Beifahrerin zukam. Sie schaltete das Radio ein und wechselte den Sender, um nicht während der Fahrt Alwins Musikgeschmack ausgesetzt zu sein.
»Mach’s wenigstens nicht so laut«, brummelte Alwin. »Bin lange kein Automatik-Auto mehr gefahren, muss mich erst wieder umgewöhnen.«
»Ich habe dir angeboten, die Strecke zu übernehmen, kenne mich mit Automatik aus, aber du wolltest ja nicht.«
Er verzog keine Miene, blickte stur geradeaus. »Imposanter Straßenkreuzer, oder?«, sagte er nach einer Weile. »Man sitzt wie in einer Badewanne, nur gemütlicher. Ich fahre den echt gerne.«
»Ich mag die weichen Ledersitze. Man versinkt förmlich darin. In diesem Auto könnte ich bis nach Italien fahren und würde frisch und ausgeruht aussteigen. Hast du schon mal nach oben geschaut?«, fragte Angelina.
Er grinste nur.
»Ein Sternenhimmel im Wagendach, geil, oder? Wie ein Ami-Schlitten. Fehlt nur noch eine Getränkebar im Fond, dann könnte man Party machen.«
Erneut