Die Pferdelords 09 - Die Nachtläufer des Todes. Michael Schenk
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Die Gruppe marschierte die alte Straße entlang, und Sebor-Mann und Gelbat-Mann fielen ein wenig hinter die anderen zurück. Das gab dem Jüngeren die Gelegenheit, den Älteren unbemerkt anzusprechen. Er war unsicher, ob er über seine geheimen Gefühle sprechen sollte, doch Sebor-Mann bemerkte, dass sich der Jüngere in einem Konflikt befand.
„Es war anders, als du erwartet hast, nicht wahr?“, eröffnete Sebor-Mann das Gespräch.
Gelbat-Mann errötete ein wenig und nickte zögernd. „Es war … seltsam. Diese Frau, die ich beschlief … sie war sanft und schön.“
„Anders, als du es erwartet hast?“
„Oh, man warnte mich davor, nicht der Schönheit der Frauen zu verfallen“, sagte Gelbat-Mann hastig. Dann zuckte er die Schultern. „Als ich den Hüterinnen begegnete, da ahnte ich nicht, dass eine Frau auch ganz anders sein kann. Weich und anschmiegsam und sanft.“ Der Jüngere erblasste ein wenig, und sein Blick wurde ängstlich. „Nicht, dass du denkst, ich würde einer Frau verfallen. Ich gehöre der Gemeinschaft der Männer an und …“
„Red keinen Unsinn“, unterbrach Sebor-Mann leise. „Ich weiß selbst, wie es ist, in sanfte Augen zu blicken, aus denen die Liebe spricht.“
Der Jüngere riss Augen und Mund auf. „Du … du hörst dich an, als würdest du eine Frau schätzen.“ Besorgnis sprach aus seinen nächsten Worten. „Du weißt, das ist gefährlich. Es ist Verrat an der Gemeinschaft und an der Übereinkunft. Wenn die anderen davon erfahren, werden sie uns einem Dorm vorwerfen.“
Sebor-Mann legte dem Jüngeren die Hand auf die Schulter. „Du bist, ebenso wie ich, dem Zauber tiefer Gefühle begegnet. Ja, es ist gefährlich, sich diesem Zauber hinzugeben. Und doch ist es ein wundervolles Empfinden, in die Seele einer Frau einzutauchen und sich ihr anzuvertrauen, nicht wahr?“
Gelbat-Mann nickte unwillkürlich und sah ängstlich nach vorne, wo die anderen Männer marschierten. Doch keiner von ihnen war in Hörweite, zumal sie beide ihre Stimmen gesenkt hielten. „Aber es ist nicht richtig. Ein Mann darf nicht für eine Frau empfinden.“
„Und eine Frau nicht für einen Mann.“ Sebor-Mann spuckte angewidert aus. „Ein Unsinn, der von hasserfüllten Menschen aufgebracht wurde. Wahre Liebe gibt es nur unter Männern, will uns die Übereinkunft weismachen, und für die Frauen gilt es umgekehrt. Nun, natürlich gibt es Liebe von Mann zu Mann und Frau zu Frau, doch hast du dich nicht schon einmal gefragt, warum es zweierlei Geschlechter gibt und warum diese sich vereinigen müssen, um das Volk zu erhalten?“
„Nun, das Gleichgewicht verlangt es so“, erwiderte Gelbat-Mann unsicher.
„So steht es in der Übereinkunft.“ Erneut spuckte der Ältere aus. „Erinnere dich der alten Legenden, in denen Männer und Frauen Seite an Seite lebten.“
„Es führte zum Untergang des Königreiches von Julinaash.“
„Nein. Der Zorn einiger Männer und einiger Frauen führte zum Hass. Die Übereinkunft besiegelte ihn schließlich.“
„Wenn die anderen dich so reden hören, werden sie uns töten“, murmelte Gelbat-Mann.
Sebor-Mann lächelte sanft. „Ich freue mich, dass du von ‚uns’ gesprochen hast. Ich weiß, in deinem Herzen empfindest du wie ich. Glaube mir, die Liebe zwischen Mann und Frau kann kein Unrecht sein. Doch die Übereinkunft verlangt, dass wir unsere Gefühle verborgen halten. Wenn du jene, die du liebst, wiedersehen willst, dann sorge dafür, dass du bei der nächsten Zusammenkunft wieder als Bulle erwählt wirst.“ Sein Lächeln vertiefte sich. „Das dürfte nicht schwer sein, denn die meisten Männer sind froh, wenn sie diese Pflicht nicht erfüllen müssen.“
„Das werde ich tun“, versicherte Gelbat-Mann.
„Und halte deine Gefühle bedeckt. Prahle mit deinen Fähigkeiten als Bulle und damit, mit welchem Widerwillen sich die Frau besteigen ließ. Das macht es dir leichter, wieder angenommen zu werden.“
„Aber ich liebe sie“, seufzte Gelbat-Mann. „Und sie empfand keinen Widerwillen.“
Sebor-Mann nickte verständnisvoll. „Ich weiß. Doch das muss unser Geheimnis bleiben.“
Bald darauf trennten sich ihre Wege.
Während Sebor-Mann und die meisten anderen Männer weiter in Richtung der Stadt Ataraan nach Norden gingen, folgte eine Handvoll, darunter auch der junge Gelbat-Mann, dem Anführer auf eine Straße, die zu einem kleinen Dorf im Nordwesten führte.
Sespiru war eine bescheidene Siedlung, deren Bedeutung einst darin bestanden hatte, den wenigen Händlern, die zwischen den Reichen von Julinaash und Rushaan verkehrt hatten, als Haltepunkt zu dienen. Hier hatte man sich auf die Reise durch das Kaltland vorbereitet oder nach ihr ausgeruht. Der größte Teil der Handelswaren war weiter zu den großen Städten transportiert worden, doch die Bewohner von Sespiru hatten einen kleinen Teil davon für sich beansprucht. Das hatte dem Ort einen bescheidenen Wohlstand gebracht, von dem nur wenig geblieben war.
Hier waren die Temperaturen gemäßigt, und die großen Räuber, die den heißen Dschungel so gefährlich machten, tauchten nur selten auf. Dennoch war Sespiru befestigt, und zwar auf eine Weise, die für Julinaash eher ungewöhnlich war. An diesen Befestigungen wurde noch immer gearbeitet, und als die Handvoll Männer unter Herdur-Mann ihr Heimatdorf erreichte, war man gerade dabei, scharfe Metallspitzen auf die Palisaden zu montieren.
Borsik-Mann, der Herdur-Mann als Anführer vertreten hatte, begrüßte den Narbigen freudig. „Es tut gut, dich wiederzusehen, alter Freund. Ein Besuch bei den Weibern ist immer ein Wagnis.“
Herdur-Mann lächelte kalt. „Man tut seine Pflicht. Doch wir beide wissen, dass die Frauen nicht die größte Gefahr sind, die uns bedroht, nicht wahr? Ich sehe, ihr seid mit den Metallspitzen fast fertig.“
Das Gesicht des anderen wurde ernst. „Die Palisaden sind nun um das ganze Dorf gezogen und hoffentlich hoch genug, damit niemand sie bezwingen kann. Für jeden Pfahl haben wir eine scharfe Spitze geschmiedet. Wer versucht, sich daran emporzuziehen, schlitzt sich die Hände oder Pfoten auf.“
„Jene anderen, von denen die Legende berichtet, sind durch Eisen und Stahl nicht zu verletzen“, knurrte Herdur-Mann. „Die Spitzen werden nichts nützen, es sei denn, du warst auch in anderer Hinsicht erfolgreich.“
Borsik-Mann lachte auf. „Das will ich meinen. Komm mit, ich zeige dir, was wir heimgebracht haben.“
Das Dorf war ursprünglich entlang der Straße erbaut worden. Zwei Reihen von Häusern, zwischen denen der Dorfplatz lag. Alles beherrschend war die ehemalige Herberge, in deren Häusergeviert einst die Handelskarawanen rasteten. Sie war inzwischen befestigt worden und glich einer bescheidenen Festung innerhalb einer noch bescheideneren Wehranlage. Als Sespiru im Verlauf der Jahre gewachsen war, waren weitere Häuser hinzugekommen, doch nach dem großen Krieg gegen die Finsternis war der Handel zum Erliegen gekommen und die Zahl der Menschen geschrumpft.
Borsik-Mann und Herdur-Mann betraten das große Hauptgebäude der ehemaligen Handelsstation und kletterten in den Aussichtsturm hinauf. Von dort hatte man einen guten Ausblick über die Siedlung und einen Teil des umliegenden Geländes.
„Während du fort warst, haben wir viel geschafft“, sagte Borsik-Mann nicht ohne Stolz. „Alle Leute leben nun in der inneren