ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR. Eberhard Weidner

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ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR - Eberhard Weidner

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ins Bett gebracht, die zwei Jahre jünger als Kevin war. Sie protestierte und schrie, als würde man sie zum Schafott führen, so wie sie es jeden Abend tat, fügte sich dann aber, nachdem ihr Vater ihr einen tadelnden Blick zugeworfen hatte. Schmollend und mit zornesfinsterer Miene zog sie ab und ging ins Bad, um sich zu waschen und Zähne zu putzen.

      Kevin genoss das Privileg, länger als seine Schwester aufbleiben zu dürfen, doch dann war auch seine Zeit abgelaufen. Obwohl auch er sonst heftig, wenngleich chancenlos um ein paar zusätzliche Minuten feilschte, ließ er es für heute bleiben. Der Vater warf der Mutter einen fragenden Blick zu, als Kevin anstandslos aufstand und davonstapfte, doch diese hob nur ratlos die Schultern.

      Als Kevin im Bett lag, kämpfte er gegen die Müdigkeit, die ihn zu überwältigen drohte. Aber er durfte nicht einschlafen. Er hörte, wie seine Mutter zurück ins Wohnzimmer ging. Nun musste er nur noch warten, bis etwas Ruhe eingekehrt war. Da der Fernseher lief, würden seine Eltern nicht hören, wie er das Fenster öffnete und hinauskletterte. Und die doofe Katharina, deren Zimmer nebenan lag, schlief sicher schon tief und fest.

      Kevin hatte den Gegenstand, den Peter ihm gegeben hatte, vor dem Ausziehen heimlich unter sein Kopfkissen gesteckt. Nun holte er ihn hervor und rieb unter der Bettdecke mit den Fingern daran herum, als wäre es Aladins Wunderlampe und könnte Wünsche erfüllen.

      Er hörte, dass sich seine Eltern im Wohnzimmer unterhielten. Er konnte allerdings nichts verstehen, und es interessierte ihn auch nicht, worüber sie sprachen. Erwachsenensachen wahrscheinlich. Er ließ den geheimnisvollen Gegenstand durch seine Finger gleiten, ertastete seine merkwürdige, aber dennoch irgendwie vertraut wirkende Form und fuhr über die dicken Rundungen an beiden Enden und den dünnen, glatten Mittelteil.

      Bald würde es so weit sein. Er lächelte voller Vorfreude, als er sich vorstellte, dass er noch in dieser Nacht Peters Geheimnis kennenlernen würde.

      »Sag mal, was ist eigentlich mit Kevin los?«, fragte Stephan Bauer, als seine Frau ins Wohnzimmer zurückkam. »Kein Theater, kein Gejammer. Ist der Junge etwa krank?«

      Rita Bauer ließ sich seufzend auf die Couch sinken. »Ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist.«

      Durch den Tonfall seiner Frau alarmiert, wandte er den Blick von der Mattscheibe und sah sie fragend an. »Was ist passiert? Hat es wieder etwas mit … mit seinem Freund zu tun?«

      »Du meinst Peter?«, fragte Rita und zuckte mit den Schultern. »Ich fürchte schon.«

      »Er kommt wohl immer noch nicht darüber hinweg, oder?«

      »Ich glaube eher, dass er noch gar nicht realisiert hat, was geschehen ist«, widersprach sie.

      »Wie kommst du denn darauf?«

      »Als ich ihn fragte, wo er heute war, sagte er vollkommen überzeugt, er sei spielen gewesen. Aber nicht allein, sondern natürlich mit … mit Peter.« Sie wischte sich rasch eine Träne weg, die ihr aus dem rechten Auge und übers Gesicht gelaufen war. »O Gott, was ist bloß mit unserem Jungen los?«

      Stephan rückte näher und legte ihr mitfühlend und Trost spendend einen Arm um die Schultern. »Ich glaube, seine Reaktion ist in diesem Alter ganz normal. Er verdrängt einfach, was passiert ist. So ist es für ihn leichter zu ertragen.«

      »Aber er war doch selbst dabei, als es passierte!«, wandte Rita schluchzend ein. »Er hat doch alles mit eigenen Augen gesehen …!«

      In grausamer Deutlichkeit konnte sich Rita Bauer noch immer an den exakten Ablauf der Ereignisse erinnern, die erst vor vier Tagen ihr Leben erschüttert hatten. Zunächst hatte sie die Sirenen gehört. Wie jedes Mal beim Klang der Martinshörner war in ihr die Sorge um ihren Sohn erwacht, der mit seinem besten Freund draußen beim Spielen war. Doch zu ihrer Erleichterung kam Kevin schon kurze Zeit später wohlbehalten nach Hause.

      »Nanu, was machst du denn schon hier, Kevin?«, fragte Rita. Einerseits war sie erleichtert, dass es ihrem Sohn gut ging. Andererseits kam er sonst nie vor dem vereinbarten Zeitpunkt nach Hause, sondern nutzte jede freie Minute, um mit Peter in der Umgebung herumzustromern und zu spielen.

      »Peter musste … Er ist nach Hause gegangen.«

      »Wieso das denn? Gab es etwa Ärger oder so?«

      »Keine Ahnung«, meinte Kevin und schenkte sich ein Glas Apfelsaftschorle ein.

      Erst anderthalb Stunden später, als die Polizei vor ihrer Tür stand, erfuhr sie, was an diesem Nachmittag tatsächlich geschehen war.

      Die beiden Jungen hatten trotz mehrfachen ausdrücklichen Verbots beider Elternpaare an der Bahnstrecke gespielt. Sie hatten Ein- und Zwei-Cent-Münzen auf die Schienen gelegt, damit die Räder der vorbeifahrenden Züge sie platt walzten. Und dabei war das schreckliche Unglück geschehen. Aufgrund bisher ungeklärter, höchst tragischer Umstände war der siebenjährige Peter von einem Interregio-Express erfasst und förmlich in Stücke gerissen worden.

      Kevin musste direkt danebengestanden und das Unglück mitangesehen haben, konnte sich allerdings an nichts erinnern. Vehement und nach Ritas Ansicht sehr überzeugend bestritt er, überhaupt in der Nähe der Bahnstrecke gewesen zu sein. Stattdessen erklärte er immer wieder, Peter sei nach Hause gegangen. Sie bedrängten den Jungen schließlich nicht weiter, da er standhaft bei seiner Geschichte blieb, sondern schickten ihn zu Bett.

      Nachdem die Kinder im Bett und die Polizisten wieder gegangen waren, brachte Rita noch rasch die Wäsche in den Keller, um sie in die Maschine zu stecken. Sie war noch zu aufgewühlt, um sich vor den Fernseher setzen und auf das Geschehen auf dem Bildschirm konzentrieren zu können. Stattdessen musste sie sich bewegen und etwas tun. Als sie die Wäschestücke sortierte, stellte sie voller Entsetzen fest, dass die Flecken auf Kevins T-Shirt und Jeans, die sie auf den ersten Blick für Dreckspritzer gehalten hatte, unzählige kleine Blutstropfen waren, die die Kleidungstücke an der Vorderseite von oben bis unten bedeckten. Peters Blut!, hatte sie angewidert gedacht. Sie hatte die Sachen gar nicht mehr gewaschen, sondern umgehend in die Mülltonne vor dem Haus gesteckt.

      »Vielleicht hätten wir ihn doch mit zur Beerdigung nehmen sollen«, meinte Rita nun.

      »Ich glaube immer noch, dass es so für ihn besser war«, widersprach ihr Mann. »Die Beisetzung seines besten Freundes hätte ihn vermutlich nur verwirrt und zu sehr aufgewühlt.«

      »Vermutlich hast du ja recht. Aber er hat sich heute Abend so merkwürdig benommen.«

      »Das legt sich mit der Zeit wieder. Wirst schon sehen.«

      Rita schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich hab schon die ganze Zeit so ein komisches Gefühl.« Sie straffte sich und erhob sich von der Couch. »Ich sehe besser noch mal nach dem Jungen. Vorher finde ich einfach keine Ruhe.«

      »Wenn es dich beruhigt, dann tu das. Wirst schon sehen, dass alles in Ordnung ist.«

      Rita verließ das Wohnzimmer und ging über den Flur zum hinteren Teil des Hauses, in dem die Schlafzimmer der Familie lagen. Vor dem Zimmer ihrer Tochter blieb sie stehen, öffnete die Tür und spähte hinein. Im Schein des Nachtlichts sah sie, dass Katharina im Bett lag, ihren Teddy fest umklammert hielt und schlief. Mit einem Lächeln um die Lippen schloss Rita wieder leise die Tür.

      Sie ging weiter, öffnete auch die nächste Tür möglichst lautlos und blickte ins Zimmer ihres Sohnes. Ihr Herz setzte aus, als sie das verwaiste Bett sah. Sie stieß die Tür ganz auf, machte Licht und stürmte hinein. Von Kevin war jedoch nichts

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