ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR. Eberhard Weidner

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ZAHLTAG IN DER MORTUARY BAR - Eberhard Weidner

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Nein!« Rita eilte zum Bett, als hoffte sie, ihren Sohn übersehen zu haben und doch noch irgendwo zwischen dem zerwühlten Bettzeug zu finden. Doch sie sah auf den ersten Blick, dass sich unter der zurückgeschlagenen Decke niemand verbergen konnte. In der Mitte der Matratze zeichnete sich sogar noch der Umriss des Kindes auf dem Laken ab. Und genau dort lag ein merkwürdiger kleiner Gegenstand, der nicht hierher gehörte und deshalb sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.

      Sie beugte sich vor und nahm den weißen Gegenstand, der sie unwillkürlich an Elfenbein erinnerte, in die Hand, um ihn genauer anzusehen. Sie konnte sich nicht erinnern, so etwas jemals in Kevins Händen gesehen zu haben. Es dauerte einen Moment, während sie das merkwürdige Ding von allen Seiten musterte, bis sie erkannte, um was es sich handelte.

      Augenblicklich ließ sie den menschlichen Fingerknochen angeekelt fallen und schrie gellend. Dann stürzte sie ans Fenster, riss es ganz auf und blickte in die Nacht.

      »Kevin!«, schrie sie den Namen ihres geliebten Sohnes in die Finsternis, immer wieder, doch sie erhielt keine Antwort und konnte keine Spur von ihm entdecken. Sie spürte einen stechenden Schmerz in der Brust, und ihr wurde instinktiv bewusst, dass Kevin zu einem schrecklichen Ort unterwegs war und sie soeben eines ihrer Kinder verloren hatte. Blicklos starrte sie in die finstere Nacht, die ihren Sohn verschlungen hatte und vermutlich nie mehr hergeben würde.

      MOVIETOWN

      WILLKOMMEN IN MOVIETOWN stand auf dem verwitterten Holzschild am Ortseingang der kleinen Stadt, die mitten im Nirgendwo des Südwestens der Vereinigten Staaten von Amerika lag. Und natürlich durften auch die obligatorischen Einschusslöcher – Günther machte sich die Mühe, sie zu zählen, und kam auf dreizehn – nicht fehlen.

      Silke und Günther Gerhards lachten noch immer darüber, als sie schon wieder in ihrem gemieteten Chrysler saßen und daran vorbeifuhren. So einen verrückten Namen konnten sich auch nur die Amerikaner ausdenken. Doch erst, als sie im Schritttempo die breite Main Street entlangrollten, realisierten sie, dass Movietown nicht nur so hieß, sondern tatsächlich wie eine kleine Filmstadt aussah. Die Häuser rechts und links der Straße bildeten eine knallbunte und total verrückte Mischung aus Westernkulisse, dem Chicago der dreißiger Jahre, einem modernen amerikanischen Vorort, wie man ihn aus zahllosen Filmen kannte, einer futuristischen Zukunftsvision und diversen anderen Stilarten, die sie auf die Schnelle gar nicht alle erfassen konnten.

      Das Ehepaar aus Bayern fuhr an einer Bank vorbei, die aussah, als wäre sie erst vor wenigen Augenblicken von Butch Cassidy und Sundance Kid überfallen worden. Daneben erhob sich ein zweistöckiges Gebäude, das aus dem letzten Star-Wars-Film zu stammen schien. Diesem wiederum schloss sich ein eindrucksvolles, fünfstöckiges Art-déco-Gebäude an, aus dem jeden Augenblick Eliot Ness und seine Untouchables kommen mochten, die Al Capone in Handschellen abführten.

      »Lass uns doch bitte hier anhalten«, schlug Silke begeistert vor. »Davon muss ich unbedingt ein paar Fotos machen.«

      »Okay«, stimmte Günther zu. »Aber erst müssen wir neue Filme kaufen.« Sie schworen noch immer auf ihre analoge Spiegelreflexkamera, eine Nikon F 6, und hielten nichts von neumodischen Digitalkameras.

      »Irgendwo werden wir schon welche kriegen. Aber das muss ich einfach fotografieren, denn es ist zu verrückt hier.«

      Günther lachte. »Nach anderthalb Wochen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten dürfte dir eigentlich nichts mehr verrückt vorkommen.«

      »Da hast du auch wieder recht. Aber nach allem, was wir in den letzten zehn Tagen schon gesehen und erlebt haben, kommt trotzdem immer wieder etwas Neues, wo ich mir dann denke: Mannomann, das ist ja noch abgefahrener als alles andere.«

      »Geht mir genauso.«

      »Lass uns doch da vorn anhalten.« Silke deutete mit dem Zeigefinger durch die Windschutzscheibe. »Vor diesem Saloon

      Günther grinste. »Gute Idee. Ich hab sowieso einen Riesendurst. Und außerdem muss ich mal für kleine Jungs.«

      »Ich auch, ganz dringend sogar, seit ungefähr zwei Stunden.«

      »Seit zwei Stunden? Wieso hast du dann nichts gesagt?«, fragte Günther, während er den Wagen vor den Saloon lenkte und am Straßenrand zum Stehen brachte. »Wir hätten doch jederzeit anhalten können.«

      »Schon. Aber ich wollte nicht in die Wüste machen.«

      Günther stellte den Motor ab und zog den Zündschlüssel. »Wieso denn nicht? Da war doch genug Platz.«

      »Na ja«, druckste Silke herum. »Da wächst doch kaum was. Also kann man sich auch nirgends verstecken, um in Ruhe sein Geschäft zu verrichten. Wenn nun aber jemand vorbeikommt, während ich gerade mit heruntergelassener Hose im Sand hocke?«

      »Wer hätte denn bitteschön vorbeikommen sollen?«, fragte Günther lachend. »Wir sind jetzt fast vier Stunden auf dieser gottverlassenen Straße unterwegs gewesen, ohne auch nur einer einzigen Menschenseele zu begegnen.«

      »Hast du eine Ahnung. Wenn ich meine Shorts heruntergelassen hätte, dann wäre garantiert genau in diesem Augenblick jemand vorbeigekommen. Wahrscheinlich sogar ein ganzer Bus voller Leute, die ihre Nasen an den Scheiben platt gedrückt hätten, um einen Blick auf meinen blassen Po zu erhaschen«, beharrte Silke. »Außerdem gibt es in der Wüste keinen Schatten. Ich hätte wahrscheinlich schon einen Sonnenbrand auf dem Hintern bekommen, bevor ich ihn überhaupt ganz aus der Hose gehabt hätte.«

      »Ich hätte ihn dir mit Vergnügen eingecremt, meine Liebe.«

      »Das kann ich mir vorstellen, du alter Lüstling. Aber denk doch nur mal an all die Viecher, die in der Wüste krabbeln und kriechen: Klapperschlangen, Skorpione, Spinnen – und dann diese riesigen giftigen Eidechsen, wie immer die auch heißen …« Silke verzog angewidert das Gesicht, während sie die Tierarten an den Fingern ihrer rechten Hand abzählte, ehe ihr keine mehr einfielen.

      »Gila-Krustenechsen«, half Günther aus. »Aber lass gut sein, langsam kapiere ich ja, warum du nicht in die Wüste machen wolltest. Zum Glück sind wir ja wieder in die Zivilisation – oder zumindest in eine merkwürdige Form davon – zurückgekehrt. Also lass uns in den Saloon gehen, bevor wir am Ende noch beide in die Hose machen.«

      Als sie die Türen des klimatisierten Mietwagens öffneten, traf sie die Hitze wie ein Faustschlag. Sie beeilten sich daher, in das kühlere Innere des Gebäudes zu kommen, aber als sie die stilechten Schwingtüren des Saloons erreichten, waren sie längst nassgeschwitzt. Günther schob eine der beiden hölzernen Türklappen zur Seite und ließ seiner Frau den Vortritt.

      Das Innere des Saloons war ebenfalls klimatisiert und angenehm kühl. Im Hintergrund lief leise Countrymusik, die gegen das laute Summen der Klimaanlage allerdings einen schweren Stand hatte.

      »Bestell mir bitte irgendetwas Eisgekühltes zu trinken«, bat Silke ihren Mann, ehe sie eilig eine Tür im Hintergrund des Raums ansteuerte, hinter der sich, nach dem Schild mit der Aufschrift Ladies & Gents zu urteilen, die Toiletten befinden mussten.

      Günther wählte einen kleinen, runden Tisch am Fenster, so weit wie möglich von der lärmenden Klimaanlage entfernt, und setzte sich. Die Main Street war menschenleer, was bei der momentanen mörderischen Hitze allerdings kein Wunder war. Es war früher Nachmittag, und die Sonne stand noch hoch am Himmel. Jeder, der nicht unbedingt nach draußen musste, verkroch sich wahrscheinlich im Schatten und nahm kühle Getränke

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