Das Geheimnis des Gedenksteins. Hans Nordländer

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Das Geheimnis des Gedenksteins - Hans Nordländer

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war, als würde Heinrich aus zwei Identitäten bestehen, von denen einmal die eine, dann die andere die Oberhand gewann. Auch wenn er den Ausdruck noch nie gehört hatte, so wusste der Theo in ihm, dass es sich um die ersten Anzeichen einer Persönlichkeitsspaltung handelte. Aber wenn Theo nicht Heinrich war, warum gelang es ihm dann nicht, sich seiner wahren Existenz bewusst zu werden? Warum identifizierte sich Theo so vollständig mit dem anderen Dasein, dass er von seinem eigenen nichts in Erinnerung rufen konnte?

      Heinrich dagegen fragte sich, ob sein beunruhigender Zustand der inneren Zerrissenheit etwas mit der Vorfreude auf die Geburt seines Kindes zu tun hatte, oder – hastig sprach er ein lautloses Gebet – ob sich ihm auf diese Weise der Teufel näherte.

      Stimmte doch, was die Kirche behauptete, dass sich die Sinne verwirrten, wenn die Abgesandten der Hölle die Menschen zu verführen versuchten? Jetzt bekam er es mit der Angst zu tun und sprach in seiner beginnenden Verzweiflung noch ein Gebet. War am Ende sein Kind, das an diesem Tag geboren werden sollte, in Gefahr?

      Dieser zunehmende und ungewohnte Seelenkampf fand in Theo-Heinrichs Innerem und vor aller Welt lautlos statt. Die beiden anderen Holzfäller bemerkten nur, dass ihr Gefährte bei der Mittagspause noch wortkarger war als sonst, und er die meiste Zeit finster in die Gegend starrte. Seinen breitkrempigen Filzhut hatte er tief ins Gesicht gezogen, um sich vor den inzwischen in Schneefall übergangenen Niederschlag zu schützen. In seinem Vollbart hatten sich Eiskristalle eingenistet.

      Tatsächlich war sein morgendliches Hochgefühl verschwunden, seit er sorgenvoll die Veränderungen in seinem Denken und Fühlen festgestellt hatte. Heinrich war keineswegs ein eifriger Denker, und er konnte eine ganze Weile vor sich hinarbeiten, ohne sich durch Gedanken ablenken zu lassen, bis es seine Arbeit erforderte, irgendwelche neuen Überlegungen anzustellen. Aber für seine Verhältnisse hatte er an diesem Morgen erstaunlich viel nachgedacht. Dieser Umstand war ihm kaum bewusst geworden. Wäre er ihm deutlicher aufgefallen, dann wäre seiner Verwirrung noch größer gewesen.

      Genauso wenig bemerkte er, wie in ihm eine geistige Rangelei zwischen Theo und Heinrich stattfand, bei der Theo versuchte, Heinrich loszuwerden. Das waren die Zeiten, in denen er das Gefühl hatte, neben sich zu stehen. Aber je länger dieser Kampf andauerte, desto mehr bekam Heinrich die Oberhand, und bis zum Abend war von Theo nichts mehr zu bemerken. Heinrich stellte erleichtert fest, dass auch seine Verwirrung verschwunden war. Daran, dass er am Morgen noch überzeugt gewesen war, Theo und niemand anderes zu sein, konnte er sich jetzt nicht mehr erinnern, genauso wenig an den Zustand, in dem Theo sein Dasein verwirrend fremdartig vorgekommen war, und er, wenn Heinrich stärker wurde, das Gefühl hatte, nicht dorthin zu gehören. Aber alle diese beunruhigenden Empfindungen waren jetzt vorüber.

      Dass Heinrich jetzt wieder mehr mit Hans und Jost sprach und sich sein finsteres Schweigen in eine heitere Gemütsverfassung verwandelt hatte, schoben die beiden auf seine erwartungsvolle Spannung wegen der Geburt seines Kindes. Und sie würden ihm nicht allein die Freude überlassen. Natürlich würden sie Heinrich nach Hause begleiten, und wenn das Kind schon da sein sollte, musste Heinrich ihnen tüchtig einen ausgeben. Und diese Aussicht hob auch ihre Stimmung, allerdings nicht genug, um heitere Gesänge anzustimmen. Dafür hatten sie am späteren Abend vielleicht mehr Grund.

      Die drei Holzfäller waren mit ihrem Tagwerk zufrieden. Der Stoß mit den aufgearbeiteten Baumstämmen und der Haufen mit den Ästen zeugten davon, dass sie nicht müßig gewesen waren. Wenn sie selbst auch kaum mehr als ein Lob dafür erhoffen konnten, dass sie mehr geleistet hatten, als von ihnen erwartet wurde, ihr Lohn würde deswegen nicht höher ausfallen, so konnten sie zumindest mit einem gewissen Wohlgefallen auf ihre Arbeit schauen.

      Die Dämmerung hatte schon eingesetzt, als sie sich auf den Heimweg machten. Sie waren noch nicht weit gekommen, als Heinrich bemerkte, dass er etwas verloren hatte. Es war eine Art Talisman, ein kleiner Beutel mit einer Brosche seiner Frau, den er ständig an seinem Gürtel trug, wenn er zur Arbeit ging. Zum Unwillen seiner beiden Kompagnons, die der Meinung waren, dass er den Beutel in der Helligkeit des nächsten Tages wohl eher wiederfinden würde, und sie ihm dann auch bei der Suche helfen wollten, kehrte er trotzdem noch einmal um, mit der Begründung, dass der Beutel mit der Brosche morgen gewiss unter dem Schnee lag und sie ihn bestimmt nicht wiederfinden würden. Er wollte ihn aber wiederhaben. Die beiden blieben, wo sie waren, um auf Heinrich zu warten. Und in dem kalten Wind, der durch die Bäume rauschte, und dem zunehmenden Schneefall wurde es ein sehr ungemütliches Warten.

      Als Heinrich nach einer angemessenen Zeit noch nicht wieder zurückgekehrt war, verwandelte sich ihr Unmut in Ärger, und sie beschlossen, ihn zu suchen. Inzwischen war es schon ziemlich finster geworden, und zu ihrem Ärger gesellte sich die Feststellung, erst in der Dunkelheit wieder nach Hause zu kommen.

      Von Heinrich gab es nirgends eine Spur. Sie hörten keine Zweige brechen, wo er hätte umherstapfen müssen, und auf ihre Rufe antwortete er nicht. Für einige Zeit stolperten sie durch den Wald, ohne ein Lebenszeichen von ihm entdecken. Zu allem Ärger über seinen Dickkopf kam jetzt die Sorge, dass ihm etwas zugestoßen war. Allerdings konnten sie sich kaum vorstellen, was das sein konnte. Wölfe, und nur die konnten einem Menschen gefährlich werden, waren in dieser Gegend sehr selten geworden. Wenn sie Heinrich aber nicht bald fanden, dann mussten sie zurück ins Dorf und mehr Männer zusammentrommeln, um ihn zu suchen. Heinrich würde erfrieren, wenn er über Nacht im Wald blieb.

      Dann, sie hatten schließlich den Entschluss gefasst, doch endlich eine Suchmannschaft auf die Beine zu stellen, stolperte Hans Güldner über ein Hindernis am Boden und kam zu Fall. Schimpfend rappelte er sich wieder auf und gab dem Hindernis einen wütenden Tritt, um erstaunt festzustellen, dass er weich nachgab, wie ein Tierkadaver. Sie hatten kein Licht dabei, und so mussten sie den Gegenstand mit ihren Händen untersuchen. Sehr schnell und mit wachsendem Schrecken stellten sie fest, dass da ein Mensch vor ihnen lag, und die klebrige Flüssigkeit an ihren Händen fühlte sich an und roch wie Blut. Sie fanden schnell heraus, dass es sich um Heinrich handelte. Vielleicht lebte er noch, aber er war nicht bei Bewusstsein. Unter den gegebenen Umständen konnten sie kaum herausfinden, was ihm zugestoßen war. Sie hatten nichts gehört, was angesichts der Geräusche des heftigen Windes in den Baumkronen auch nur schwer möglich gewesen wäre.

      Nach einem anstrengenden Marsch zurück nach Wiedling, auf dem sie Heinrich die ganze Strecke tragen mussten, kamen sie endlich bei ihm zu Hause an, brachten ihn dort in die Küche und legten ihn auf die Bank. In der ganzen Zeit war er anscheinend nicht mehr zu Bewusstsein gekommen, denn er hatte kein Lebenszeichen von sich gegeben. Und jetzt, im trüben Licht der Öllampen, stellten sie fest, dass er tot war. Woher er die Verletzung an seinem Kopf hatte, konnten sie sich nicht denken. Sie rührte auf keinen Fall von einem Sturz. Sie war ihm eher mit einem eisernen Hilfsmittel beigebracht worden, und wahrscheinlich war er schon tot gewesen, als sie ihn fanden. Der Gedanke, dass Heinrich nur ein kleines Stück von ihnen entfernt umgebracht worden war, erfüllte sie mit Entsetzen, aber so musste es gewesen sein. Hans deckte ihn mit einem Laken zu, das ihm von einer der Frauen, die bei der Geburt halfen, gegeben wurde. Das geschah, als die Wehen bei Heinrichs Frau einsetzten.

      Der Holzfäller verließ das Haus, um den Pastor und den Dorfschulzen zu benachrichtigen, wie es in einem solchen Fall üblich war. Der Dorfschulze würde nach der Polizei schicken. Ein Arzt wurde jetzt nicht mehr benötigt. Aber bis er da gewesen wäre, er hätte aus dem entfernten Brelingen kommen müssen, wäre auf jeden Fall viel Zeit vergangen und seine Ankunft vielleicht ohnehin zu spät erfolgt.

      Zu ihrem Glück hatte die Ehefrau Heinrichs von all dem nichts mitbekommen. Sie lag in einem Raum nebenan und war sehr mit sich selbst beschäftigt, während die Hebamme und die drei anderen Frauen Vorbereitungen für die Geburt ihres Kindes trafen. Dass zwischendurch eine der Hilfsfrauen mit einem Laken das Geburtszimmer verließ, blieb ihr verborgen, und trotz der Trauer, die in der Küche herrschte, verhielten sich die Anwesenden andächtig still, damit Heinrichs Frau in ihrem Zustand ja nichts davon erfuhr. Sie würde es früh genug tun, und ihr seelischer Schmerz würde größer sein als der

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