Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer

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Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer

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der Hiebe. Sie hatten den Rücken entblößt und schwangen den Bußriemen über die Schultern. Je vier Nadeln waren in die drei Knötchen eingeknüpft und rissen die entzündeten, schwärenden Rücken auf. Das Blut floß schon nach den ersten Streichen. Ein Seufzen und Lallen, aber gedeckt, als käme es nicht von den Lippen lebender Menschen, hing an dem Zuge.

      Zu beiden Seiten der blutrünstigen Schar schritten Edelleute in glänzender Gewandung. Sie trugen gewundene Kerzen. Ungrische, böhmische, sächsische, französische, welsche, flandrische Kleidung. Gekrauster und glatter Brokat, Satin, Karmoisinseide, Kamelot, Damast. Viel Gold in Ketten und Ringen. Stein und Perlen überall. Durch die Menge schauerte eine dumpfe Erregung, als sie das rinnende Blut der blassen Menschen sah, die wie eine Herde in beide Reihen der farbe- und glanzstrotzenden Herren eingepfercht waren. Wo die Geißler hinkamen, vernahm man halbunterdrückte Rufe.

      Aber diese Erregung wurde fast plötzlich niedergeschlagen. Hinter den Geißlern gingen die Frauen der Vornehmen. Sie übertrafen ihre Männer an Üppigkeit der Tracht. Ein anderes Feuer flackerte aus den Augen unter den Pilgerhüten. Neid, Habsucht, stumpfe Bewunderung, blödes Staunen, hastig schlürfende Gier. Wie sie ihre Weiblein ausstatteten! Fast konnten die zierlich beschuhten Beine den Faltenwust des Kittels und der Schleppe nicht weiter bringen. Und die Brüste zitterten auf dem Leibchenrand, von einem kostbaren Vorstecktuch schmiegsam und dünn bedeckt, daß die dunklere Farbe des Warzenhofes zu sehen blieb. Auf dem Kopf der Damen wehte meist die französische Hennin, ein geflochtener Turm mit Äugelnden Behängen. – Eine befreiende Äußerung fand unter dem Landvolk zuweilen jauchzenden Schall und Widerhall. Die Ordner, die den Zug der Frauen begleiteten, mußten mit quergehaltenen Hellebarden gegen den Menschenring andringen. Man konnte gewärtig sein, daß ein betrunkener Lümmel, dessen Blut durch die Geißler in Wallung geraten war, sich an den Entblößten vergriffe.

      Auf die Damen folgten Schwyzer im Küraß, und hinter ihnen schwenkten die Pilger ein, bis auch der ganze Kranz von dunklen Menschen in die Bewegung aufgenommen war, während die Kleriker, Geißler und Vornehmen wieder in die Basilika eintraten.

      Theophrast hatte sich, als die Kirche leer stand, durch die Reihen der nachdrängenden Pilger gezwängt und war eingetreten. Burschen rissen an den Glockensträngen, die zu beiden Seiten in das Atrium herabhingen. Und da die Stränge im Gleichmaß des Geläutes durch die Löcher der Decke auf und nieder schlüpften, ahnte Theophrast den Zusammenhang. Er wollte ihn ergründen, fehlte jedoch die richtige Treppe und kam auf das Orgelchor, wo Männer und Knaben um einen hageren Kleriker standen, der halblaut auf sie einsprach.

      Theophrast schlich an die Brüstung. Er konnte nicht darüber hinwegsehen. So zog er einen Schemel in die Ecke, erkletterte ihn und setzte sich rittlings auf die Brüstung.

      Tief unten lag die Gnadenkapelle, ein unheimlichs Funkeln und Glimmen. Rings an den Wänden vor düsteren Bildern zitterten zahllose Flämmchen. Je weiter in der Tiefe, desto lichter wurde der Raum, und das blinkende Gedränge der Brandopfer mußte vor dem Sonnenschein verblassen, der sein schräges Goldgebälk durch die Fenster schlug. Aber ganz hinten im hohen Chor, wo neben dem Hauptaltare die schenkeldicken Standeskerzen herrisch über dem flimmernden Heere flackerten, konnte auch der helle Tag die Flammenwoge nicht schlagen. Der Altar glich einem sprudelnden Feuerquell, von dem aus zwei Funkelströme längs der Wände flössen. Sie versanken im Halbdunkel der Vorhalle und verglommen geheimnisvoll in der Gnadenkapelle.

      Theophrast glotzte in das Wunder. Die dicke Luft, die schwer nach Wachsdampf, Ruß und erkaltetem Weihrauch roch, legte sich auf seine Brust. Ihm war, als würde sein Atem von einer ehrfurchtheischenden Macht unterdrückt. Und ehe er noch sein Auge an dem Gefunkel sattgeweidet hatte, ging eine Bewegung durch die Leute des Orgelchors, auch tief unten vernahm er das Geräusch der Sohlen. Mit einem Jubellaute setzte die Orgel ein. Theophrast schmiegte sich in den Schatten einer Holzfigur, deren Schultern und Kopf über die Brüstung heraufragten.

      Sie führten feierlich die glitzernden Heiltümer an der Gnadenkapelle vorbei. Das breite Schiff der Basilika lief von bunten Menschen voll, die alle gegen den Hauptaltar zudrängten. Ihnen nach schob die dunkle Masse der Pilger. Zwischen dem Chorgestühl warfen sich die Geißler auf die Fliesen, ein Purpurstreif in dem weißen Felde der Chorhemden. Die Heiltümer säumten mit ihrem Glanz den Purpurstreifen. Auf dem Bischofssitze saß der Legat in seiner strahlenden Dalmatika. Der Fürstabt weihte den Altar für das Hochamt. Er trug jetzt das veilchenfarbene Meßgewand.

      Theophrast sah weiße Wolken durch die schrägen Sonnenbalken rollen. Des Chores Stimmen drangen fern her und wurden brausend von Orgel und Kantorei beantwortet. Da fiel ihm die Erzählung der Mutter ein. Er wartete und hoffte auf die Engel Gottes.

      Aber nur schwüler stieg der Menschendunst auf. Zuweilen meinte Theophrast, er müsse entschlafen. Er ritt auf der Brüstung, hing an der Schulter des hölzernen Heiligen und wartete, wartete auf die Engel Gottes.

      Da hörte er durch das Dämmern seiner Sinne den Silberton der Meßschellen. Ein Brausen ging durch das Schiff. Als sei der Sturm in ein Saatfeld gefallen und halte die Ähren unter seinem Hauche gebeugt, so sank die Menschenflut. Und über sie hinweg schrillte der Silberton, ein sanftes, herzdurchdringendes Gellen.

      Theophrast saß aufgereckt und spähte. Die alle mußten es sehen, er sah es nicht. Eine tiefe Bangigkeit beklemmte ihn. Seine Augen irrten durch den heißen, erstarrten Raum.

      Dann hob sich das Brausen wieder. Die Menschenflut staute empor. Helles Jauchzen aus Orgel und Kehlen.

      Sie hatten es gesehen! Vielleicht waren die Engel herabgestiegen, und er, er wußte nichts davon.

      Er rieb die Augen und fühlte, daß er am Wams festgehalten werde. Ein Männlein, dessen Schultern kaum über die Brüstung ragten, stand bei ihm. Es trug lange weiße Haare. Das Männlein sah lächelnd auf, seine Augen waren licht und klar wie der Himmel in den ersten Lenztagen. Theophrast sah die Augen und den weißen Scheitel, auf dem ein goldiger Schimmer lag, und fühlte keine Furcht. Er neigte sich herunter und flüsterte:

      „Seind die Engel do g’si?“

      „Ünser Herr Heiland ist do gewest.“

      „Wo ist der hin?“

      „Er ist ufgeopfert und ingenommen.“

      „Ich hab ihn nit gsehn.“

      „Bis gueten Muets, Kind, die mehristen hänt ihn nit gsehn. Aber kumm. So ich nit hinter dir gestund, lägest erschlahen unt in der Kirch. Siehe, der hülzern Heilig do stoht nit meh fest.“

      Das Männlein berührte den Hals des hölzernen Heiligen, auf dem Theophrast halb und halb gelegen war, und das Bild schaukelte leise.

      Dann zog das Männlein den Knaben herab und führte ihn durch das Gedränge in und vor der Kirche so leicht und unaufhaltsam, als wäre es ein großer Herr, vor dem die Leute eine Gasse bilden.

      Es schob Theophrast sanft vor sich her, und Theophrast meinte, er würde getragen. Da die Menschenreihen lockerer wurden und das Rauschen des Frauenbrunnens den Orgelton und den Meßgesang übertönte, fühlte Theophrast einen geringen Schlag auf seine rechte Schulter. Er sah um, aber das Männlein war verschwunden.

      Die Mutter stand nicht weit von ihm bei anderen Frauen. Sie wollte ihn schelten. Er mußte sie beschwichtigen und redete von dem weißgelockten Mann zu ihr, der ihn gehalten und durch die Menge geleitet hatte. Die Mutter fragte, und ihr Herz zitterte, da sie mehr und mehr erfuhr, in welcher Gefahr ihr Kind gehangen habe. Immer wundersamer kam ihr die Rettung vor, und sie wagte kaum, der Ahnung Sinn und Wort zu verleihen, die ihr mit frommen Schaudern die Brust schwellte. Im Pilgerspital zog sie ihn vor das Kreuz an der Flurwand.

      „Knie

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