Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer

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Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer

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gesehen hätten.

      Dann umschlug sie der heiße, düstere Dunst, weihrauchgesättigt, vom Qualm der unzähligen Lichter verdichtet. Ein Schleier lag vor ihren Augen, sie meinten mit den Händen weitertasten zu müssen. Um sie her schallte es, keinem Sturm vergleichbar, unbändiger als alle Laute, die sie je vernommen hatten. Sie schrien, um ihre eigenen Stimmen zu hören, um sich am eigenen Schrei wiederzufinden. Eines jeden Lebensgefühl drohte zu zerschellen, aufgelöst in dem zersprühenden Bewußtsein der anderen, willenlos, hingerissen, vernichtet und erhöht.

      So wußten sie nicht mehr, daß sie weitertrieben. Nur an dem stechenden Schmerz ihrer Kehlen fühlten sie, daß es aus ihnen verlaute.

      Und sie sahen, wie die Seitenwand der Gnadenkapelle zurückwich. Jedem erschiens, als offenbare sich das Geheimnis für ihn allein.

      Silberglanz, Goldgarben, zahllos zitternde Flämmlein. Inmitten: ein Mantel, gepanzert von Gold, Perlen, Steinen, er glich einer Glocke. Ein Schleier, der, faltenlos gefroren vor Kostbarkeit, vom goldbelasteten Scheitel bis zum Mantelsaum starrte. An der Krone glimmte es kalt und funkelte. Unter der Krone: ein rosiges, lebloses Antlitz. Die kleinen Schlitzaugen von hochmütigen Brauenbögen überglitten, eng aneinandergeschoben, halb verschleiert, jenseits von Liebe und Erbarmen. Das Mündlein mit den üppigen Lippen, satt, gleichgültig geschlossen. Das runde, willenlose Kinn glänzte wie eine große Perle. Augen, Mund, Kinn waren so eng an die lange, dünne Nase gerückt, daß die Wangen der Gesichtsscheibe fetter erschienen. Die Stirn schimmerte glatt, gedankenlos. An den Ohren glitzerten Gehängebüschel. Der kurze Hals war vom Geschmeide gedrosselt.

      Das Kindlein hing an der linken Schulter des Bildes in einer Mantelglocke von gleicher Üppigkeit, sein winziges, feistes Köpflein war unbeweglich zwischen Krone und Halsschmuck eingezwängt.

      Die rechte Hand des Bildes war von Juwelen, Ketten und Bändern bedeckt, sie hielt ein schlankes Zepter. Zwischen ihr und der Mantelglocke des Kindes sprühte ein großes, loderndes Diamantenherz die Farben des Regenbogens.

      Die Augen gingen über, klärten sich und verschwammen. Keiner hatte je solch lastenden Reichtum gesehen. Sie wagten kaum zu blinzeln. Da sie näher und näher trieben, verstummten sie. Der heiße Qualm genügte den Lungen kaum. Sie ächzten aus offenen Lippen. Einigen schwand das Bewußtsein für die Zeit eines Herzensschlages. Sie konnten nicht sinken, sie verloren beinahe den Boden unter den Füßen, schwebten, da sie näher kamen. Die Hände zitterten auf der Brust. Keiner wagte zu flehen. Dumpf schwelte es in ihnen, sie müßten erhört sein. Niemand wußte, weshalb er vor diesen maßlosen Prunk getrieben wurde.

      Erst in der Nähe der Gnadenkapelle, da die Harzwolken und der Dampf des Wachses unerträglich wurden, züngelte es durch ihr Bewußtsein: Gold, Edelstein, Perlen … opfern … auch ich …

      Die Finger hasteten unter den Mantel in Koller und Mieder. Dort ruhte das Beutelchen mit dem Opferpfennig seit ihrem Auszug aus der Heimat auf dem Herzen.

      Durch das brusthohe Gitter der Gnadenkapelle streckten die Opferstöcke ihre Trichter und schlürften ein. Es klapperte unaufhörlich.

      Nicht jeder Pilger konnte zu seinen Münzen gelangen. Er warf dann irgend etwas über das Gitter: Hut, Paternoster, eine Kette, den Gürtel, seinen Ring. Zwei Knechte standen im Heiligtum zu beiden Seiten, sie gruben den stets wachsenden Haufen der Opfer von Zeit zu Zeit ab und ebneten ihn.

      Etliche klammerten sich an das Gitter, um vor dem Unerhörten ein paar Atemzüge länger bestehen zu können. Auch war in einige beim Geklapper des Geldes ein kalter Strahl Ernüchterung gefallen. Sie vermuteten ein Recht auf eine demütige Bitte und wollten sich besinnen. Aber sie wurden fortgeschoben, ihre krallenden Finger rissen sich an den Stäben und Ranken, sie taumelten in den Wirbel zurück, der vor dem Heiligtum kreiste, ohne einen letzten Blick auf das Gnadenbild geworfen zu haben.

      Unnahbar und starr hing das Bildnis, von tausendfältigem Schimmer überhuscht. Sein kalter Blick stand tot in der Dunkelheit und achtete der Menschen nicht. Das Bildnis schien zu lauschen. Das Wirrsal der Schreie, des Stöhnens, des Lallens und des unaufhörlichen Klapperns der Opferkästen schien es zu sättigen. Was vermochte die kälteste Herrschergeste eines Herrn der Welt gegen diese lauschende Ungerührtheit, gegen diese lauernde Sattheit!

      Und gerade der Widerspruch einer hoffnungslosen Kälte, die durch den heißen Qualm, das Gedränge, Edelsteinsprühen, Goldflimmern, Lichterflirren gehoben wurde, mit der inbrünstigen Erwartung der Gnade, Milde, des sanftmütigen Erhörens überwältigte die Massen. Sie wagten ihre Kleinheit nicht mehr ans Ungeheure. Ihre Sünden zerrannen in ein klägliches Gerinnsel, das von einem einzigen Strahl des kleinsten Geschmeides der Unnahbaren aufgetrocknet wurde. Und sie waren alle durch Garben des Glanzes hindurchgeschritten!

      Vor den Toren stürzte das Sonnenlicht lästig auf sie ein. Sie sammelten mühsam ihre Sinne, versuchten stehen zu bleiben, wurden weitergestoßen. Erst als der Schwarm sich lockerte, zwang sie ein fieberndes Unbehagen, nach den Fahrtgenossen Umschau zu halten. Sie suchten ihre Fahne und das Kreuz, dem sie gefolgt waren. Dann schleppten sie wortlos, in der gewohnten Reihenfolge dem Führer nach.

      Erst an den Tischen oder auf dem Rasen bei Bier und Wein erwachten sie.

      Noch vor der Mittagsstunde erwartete Einsiedeln den Legaten des Papstes. Seinetwegen war in der Abtei mancher Gänsekiel verschnitten worden. Diebold von Geroldseck hatte mit aller Linguistik auffahren und das Stift hatte jeden seiner Buchstaben mit einem Dukaten behängen müssen. Papst Alexander verweigerte länger einen besonderen Ablaß, als man trotz aller Kenntnis seiner Geldgier voraussetzte. Das römische Jubeljahr stand bevor, es durfte durch die Gnadenmutter zu Einsiedeln nicht geschmälert werden. Die Todsünden sollten zwei Jahre noch auf Zinsen liegen, dann gutgeprägt und vollwichtig der Kurie zurollen.

      Nach eifrigem Bemühen des Mutterhauses – die Pilger erhofften ein sichtbares Zeichen von Petri Stuhl – wurde der Assistent des Papstes, Protonotar Onofrio de Nartia, durchgesetzt. Auch dieser nur, weil es die Kurie für nützlich hielt, zuverlässig zu erfahren, welcher Stimmung die Eidgenossen gegen Maximilian wären.

      Alexander änderte seine Politik. Er hatte im Mai der Totenmesse seines Feindes von ehedem, weiland König Karls VIIL, in der Hauptkapelle zu St. Peter, von achtzehn Kardinälen umgeben, beigewohnt, dabei ein Gebet gesprochen und Absolution erteilt. Er wünschte seinen ältesten Sohn, den Kardinal Cesare Borgia, zu verehelichen und mußte dabei auf die Hilfe Ludwigs XIL bedacht sein.

      Herr Diebold stand mit dem Allerheiligsten an der Biberbrücke. Der Damasthimmel wurde von acht Schwyzern in blanken Kürassen und Gewändern, die auf die Farben des Stifts gelb und schwarz geteilt waren, über ihn gehalten, und der Kranz von Kaplänen, Evangeliern und Epistlern umgab ihn. Es ruhte das Volk in weitem Ringe auf dem Rasen bei den aufgepflanzten Kreuzen und Fahnen.

      Ein Ruf reckte alle auf. Sie sahen die erwartete Staubwolke und begannen zu singen. Der Legat sprang in angemessener Entfernung vom Pferde und eilte, nur von einem jungen Kleriker begleitet, in kurzen, hastigen Schritten dem Allerheiligsten entgegen. Sein Pluviale, das mit zierlichen Stickereien gesäumt war, wehte wie ein abgeflautes Segel, und die violetten Quasten seines Hutes schlugen ihm um die Schulter. Er leistete dem Allerheiligsten die Ehrenbezeugungen und erteilte nach allen Seiten hin den Segen.

      Der Empfang kam unerwartet. Weil die Abtei für unwohnlich galt, war im „Weißen Wind“ sein Quartier ausbedungen worden. Er hatte-schon seiner Begleitung wegen-gewünscht, dorthin ohne Geleit zu gelangen. Allein die Nachricht, in der man alles Zeremoniell vorgesehen hatte, schien verloren gegangen zu sein. Herr Diebold war aus Rapperswil gegen Morgen hin verständigt worden, aber nicht vom Legaten, sondern vom Wirte des Nachtlagers. Eine Auseinandersetzung angesichts des Heiligtums wagte der Protonotar nicht, ebensowenig konnten die liturgischen Gewänder aus dem Wagen und

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