Paracelsus. Erwin Guido Kolbenheyer

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Paracelsus - Erwin Guido Kolbenheyer

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umb Mitternacht wettert. Und sungen die Engel all, denen ist Sant Michel Fürsinger gsi. Geschähe alles, als sunst bi der Wihen. Und es brauset die Orgel von der Heiligen Hand gerührt. Sant Christofei aber hat den Balg treten mit aller Kraft, dann der ist der stärkist unter den Heiligen und hat ehedem das heilig Kind samen der Welt durchs Wasser tragen.“

      Theophrast lehnte an der Brust seiner Mutter, die beide Arme um ihn geschlungen hatte. Er sah unter gerunzelten Brauen in die Sterne.

      „Sänd die Engel all darbi gewest, Mammeli?“

      „Sie warend all darbi, darumb heißt es die Engelwih.“

      „Wer gstund dann bi denen Kinderen in derselbigen Nacht? Brauchet ein jeds zwölf Engel. Und sänd all uf Einsiedeln gewest.“

      „Vor die Nacht hat ihnen der liebe Gott Urloub geben.“

      „Das war nit guet von ihm. Es kunnt eins us dem Bettli fallen.“

      „Was der liebe Gott tuet, ist guet, Frästeli. Do darf keiner nit fragen.“

      „Warumb nit?“

      „Weils der liebe Gott ist.“

      Theophrast schwieg. Er konnte nicht weiter. Aber in seiner Brust glühte ein Zweifel, wenn er auch keinen Laut fand. Er war verstummt, doch nicht gestillt; und er wußte nicht, was ungestillt blieb.

      Hätte er das verhaltene Lächeln seines Vaters gesehen, vielleicht wäre er entbunden worden. Jenes Lächeln, das ihn so heftig reizte, weil es offenbar Erinnerung an Zweifel, Kämpfe, Siege und Niederlagen der Großen verhehlte. Dieses Lächeln sagte ihm: ich bin wie du gewesen, aber ich bin damit fertig geworden. Und unfertig zu gelten, trotz heißer Mühe und Schaffensnot, das quälte ihn mehr als die Großen begriffen.

      Doch Theophrast merkte das verhaltene Lächeln seines Vaters nicht, das zwischen Freude und Bitterkeit hing. Er sah den dunklen Himmel mit seinen hellen Sternen, fühlte die Arme der Mutter, das sanfte Wehen ihres Atems – er vergaß die kaum bewußte Bedrängnis, wie die sinkende Welle ihren Schwung vergißt.

      Sie kamen an. Die Lichter der steilen Gasse freuten Theophrast. Er hatte noch nie leuchtende Fensterreihen gesehen.

      Vor den Toren am Straßenrande standen Wagen und Karren, die meisten von Linnenblachen auf Holzreifen überspannt. Durch manches Wagendach schimmerte Laternenschein.

      Auch vor dem Tor des Pilgerspitals stand ein Wagen mit weitem Wetterdach, das bunt bemalt war und von einem Maste überragt wurde, der ein Fähnlein trug. Theophrast sah unter dem hellen Halbrund etliche Leute kauern. Ein Mann trat dicht an die schaukelnde Zugwaage, er reichte einen Krug, dann Brot und Speck hinauf. Die Leute sprachen sehr laut, sie lachten, Theophrast verstand sie nicht.

      Seine Mutter drängte, aber er bettelte, die Gasse zu sehen; da beschied Herr Wilhelm die Frau ins Haus und nahm das Söhnlein an di e Hand.

      Weit hinauf sahen sie flimmernde Lichter über den Weg tanzen. Aus den Toren, wenn sie da und dort geöffnet wurden, brach wie ein lauter Ruf der Schein. Die Stimmen der Männer und Frauen schwirrten wunderlich durch die Dunkelheit.

      Auf der Höhe des Weges lag ein Klumpen Finsternis und reckte zwei ungeheure scharfgespitzte Zähne in den mattdurchschimmerten Himmel.

      Theophrast umklammerte die führende Hand. Er kannte die Nacht groß und schweigend, vom ruhevollen Brausen der Sihl erfüllt. Hier fand er sie von unruhigen Lichtern und Stimmen angerührt. Obgleich er voll Neugier und Staunen das fremde Leben aufnahm, beklemmte es ihn.

      Er fragte leise: „Was gangend die all nit schlafen?“

      „Die werden auch schlafen, die habend viel vor. Dann diese Täg sollen die Beutel ründen. Es seind die mehristen Kramervolk und fahrend Lüt. Die wollend wohlversehen sin.“

      Weiter oben standen leere Bretterbuden in mehreren Zeilen dicht gedrängt. Bei ihnen lagen, unordentlich, verschlossene Kisten. Vor den Mauern des Stifts plätscherte der vielstrahlige Frauenbrunnen, dessen Mündungen nach dem Feste von Pilgerlippen blankgescheuert sein werden. Die meisten Waller werden aus allen Rohren trinken, um auch an dem einen heiligen Strahl die Lippen zu netzen, von dem der Heiland getrunken hat, da die Gnadenkapelle geweiht wurde.

      Das Stift lag lautlos hinter den Mauern, seine Dächer ruhten unter dem mächtigen Schatten der Basilika, die das Heiligtum der Gnadenkapelle barg. Die beiden kühngehelmten Türme verstärkten das drohende Schweigen.

      Theophrast schlief diese Nacht unruhig, er träumte:

      Der finstere Kirchenkörper wächst höher als die Mythen, wächst und schwillt. Sprengt die Klostermauern. Zerknittert Bretterbuden. Malmt Häuser nieder, löscht ihre Fensterreihen und alle Strahlenbüschel der offenen Hausfluren unter lautlos stürzenden Wänden aus. Vertilgt die kleinen Lichter, die über die Straße tanzen. Die Räder unter den erleuchteten Blachen rollen eilig die Straße herab. Das Ungeheuer quillt schneller, bäumt sich an einer Bodenwelle, stößt, wirft, zermalmt die Wagen im Räderwirbeln. Kein Laut, kein Licht. Theophrast fühlt nur, wie der Schatten wächst und schwillt.

      Am andern Morgen war Herr Wilhelm hastig ins Kloster gerufen worden. Ein Züricher Münzknecht hatte einem andern das Messer in den Leib gerannt. Frau Eis huschte noch vor Tags die vielen Treppen des hochgiebligen Hauses hinunter: das Pilgerhospital erwartete seinen Teil an Klostergästen zu früher Stunde. So blieb Theophrast allein in der Giebelkammer, von der man jenseits des Brühls das Türmlein der St. Gangolfkapelle und den Galgen sehen konnte. Er wußte, der Galgen stand leer. Der Änderle war abgefallen.

      Von der Straße herauf schwärmte das Stimmengewirr, raunte das erste Pilgerlied derer, die in der Nacht schon aufgebrochen waren, um über das Fest einen sicheren Unterschlupf zu erlangen. Und mit dem ersten Wallerkreuz und Fähnlein, das dem Türmer sichtbar wurde, begann die Predigtglocke ihr winkendes Geläute. Sie sollte an diesem Tage kaum verstummen.

      Theophrast gürtete sein gutes Schwert um, entleerte den Brotsack bis auf den Plappart und die Schelle, ehe er ihn umnahm, kletterte die finsteren Treppen hinunter. Das Neue und Bunte auf eigene Faust zu bestehen.

      Den bemalten Wagen mit seinem Mast und Fähnlein fand er nicht mehr. Auch alles andere Fuhrwerk hatte seinen Nächtigungsplatz geräumt. Die Gasse war von Fußgängern, Reitern, Handkarren lebhaft durchströmt, ein größeres Gefährt drang nur langsam, unter lautem Geschrei des Lenkers durch.

      Mit der Terzenglocke sollte der Wechsel des Klosters aufgetan werden. Ihm liefen die Kaufleute und Landesfremden zu. Es war untersagt und wurde scharf gehütet, Wallfahrtszeichen, Druckwerk, Kerzen und wächserne Weihbilder einzuführen, alles mußte aus dem Zeichenamt und von den Kerzenbänken des Klosters erstanden sein. Beide Kaufstellen gehörten zum Wechsel, wo auch die einzige Geldbank aufgeschlagen war. Wer sein Geld eingetauscht und seine Warenkisten gefüllt hatte, konnte in Ruhe die Bretterbude ausstatten und die ersten Käufer locken. Doch viele Krämer trugen noch das Kaufgeld vom gestrigen Tage her im Säckel, und es brannte ihnen, als hätten sie es gestohlen. Überdies war mit sinkender Nacht ein großer Nachschub eingetroffen.

      Sie drängten mit ihren leeren Säcken und Koffern vor dem geschlossenen Tor, stießen einander, fluchten, schlugen zu und gaben der geharnischten Wache zu schaffen. Herr Diebold hatte geboten, daß nicht mehr als je ein Dutzend zugleich eingelassen würde.

      Die Pilger waren bald zurückgeschoben, das fremde Geld sollte warten, bis die Krämer ihre Waren hatten. Wer eher mit vollem Sack und Pack kam, erlangte die bessere Bude. Es gab etliche, die einen Platz

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