Das Erbe der Ax´lán. Hans Nordländer
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„Und wie lange soll er in diesem Zustand bleiben?“, fragte Meneas. „Wir können ihn doch nicht für immer in dieser Lage lassen.“
Tjerulf lächelte und das, fand Meneas, war in diesem Augenblick unangebracht, denn weder ihm noch Idomanê war nach Frohsinn zumute. Tjerulf strahlte dagegen eine Gelassenheit aus, die nur in geübtem Umgang mit solchen Dingen entstanden sein konnte.
„Das habe ich auch nicht vor“, versuchte er die beiden zu beruhigen. „Wir, das heißt Durhad, Trywfyn und ich, werden versuchen, den Geist wieder auszutreiben. Er ist noch nicht lange in Frenos Körper und seine Bindung zu ihm noch nicht gefestigt. Daher sollte es verhältnismäßig leicht sein. Ihr könnt uns dabei nicht helfen. Das Einzige, was ihr tun könnt, um uns zu unterstützen, ist, uns mit den Taschenlampen zu leuchten. Wir werden es gleich hier versuchen. Ihn zuerst ins Wirtshaus zu bringen, hieße Zeit zu verlieren und außerdem würden wir dort unnötiges Aufsehen erregen. Seid ihr bereit?“
Alle nickten, obwohl Meneas und Idomanê nicht wussten, was sie erwartete. Trywfyn und Tjerulf gaben den beiden ihre Taschenlampen. Durhad hatte keine mitgenommen, da seine außerordentliche Sehfähigkeit sie in so hellen Nächten wie dieser überflüssig machte.
Die drei räumten den Fußboden in der Mitte des Raumes frei und schoben den Körper des Entführers an die Seite. Er war bereits spürbar leichter geworden, seit er sich aufzulösen begonnen hatte. Dann drehten sie Freno wieder auf den Rücken. Er versuchte sich zu wehren und blickte die Herumstehenden mit einem wütenden und entsetzlichen Gesichtsausdruck an. Seine weißen Augäpfel mit den winzigen Pupillen traten unnatürlich weit hervor und er versuchte jeden zu beißen, der in seine Nähe kam. Ein unheimliches und hohles Knurren kam aus seiner Kehle.
Meneas und Idomanê erschauderten bei diesem Anblick und Idomanê spürte, wie sie zu zittern begann.
Tjerulf wickelte einen festen Knebel um den Mund Frenos und Trywfyn, der gewiss über beachtliche Kräfte verfügte, hatte alle Mühe, seinen Kopf festzuhalten.
„Ihr werdet jetzt einige fremdartig wirkende und zweifellos abstoßende Dinge sehen“, bereitete Tjerulf Meneas und Idomanê auf das Kommende vor. „Was wir auch immer tun, es ist zur Rettung eures Freundes und keiner von euch darf einschreiten, weil er glaubt, dass wir Freno etwas zuleide tun wollen. Es würde nicht nur unseren Erfolg verhindern, sondern Freno wäre endgültig verloren und wir alle in größter Gefahr. Habt ihr mich verstanden?“
Meneas und Idomanê lösten ihren Blick von Freno und nickten. Zu einer anderen Antwort waren sie nicht fähig. Beide glaubten, auf das Schlimmste gefasst zu sein, doch das, was kam, war schlimmer.
Trywfyn beugte sich wieder nach vorn über den Kopf von Freno. Durhad kniete sich vor seine Füße. Beide zückten ihre Messer und ritzten die Haut an den Schläfen und den Innenseiten der Knöchel ein, bis die ersten Blutstropfen hervortraten. Der Geist in Freno wehrte sich immer heftiger gegen die Misshandlung seines neuen Körpers und durch den Knebel gab er tierische Laute von sich. Idomanê glaubte, ein kurzes Aufleuchten seiner Augen gesehen zu haben. Es mochte aber auch die Spiegelung des Lichtes ihrer Taschenlampen gewesen sein.
Durhad legte unter jedem Schnitt, den er getan hatte, eine Ader frei, schob jeweils ein Holzstäbchen, die er bei sich getragen hatte, unter sie und verhinderte so, dass die Blutgefäße wieder unter die Haut rutschten. Das gleiche tat Trywfyn mit den Schläfenadern. Die waren jedoch ungleich dicker als die an den Füßen und schienen unter den schnellen Herzschlägen zu pulsieren. Nachdem diese Vorbereitungen getroffen waren, lehnten sich Durhad und Trywfyn wieder zurück und warteten darauf, dass Tjerulf seinen Eingriff begann. Und es wurde einer im Sinne des Wortes. Auf das, was Meneas und Idomanê nun erlebten, war keiner von ihnen vorbereitet und sie hatten Mühe, ihre Fassung zu wahren.
Ohne Vorwarnung ging mit Tjerulf eine unheimliche Veränderung vor sich. Er kniete mit nach vorn geneigtem Kopf neben Freno und schien in Gedanken versunken. Plötzlich legte sich ein silberner Schimmer um seine Gestalt. Sein Kopf fuhr ruckartig in den Nacken und seine Augen starrten wie geistesabwesend nach oben. Doch dieser Eindruck war genau das Gegenteil von seinem Zustand. Es war nicht mehr Tjerulfs Kopf, den sie sahen. Vollkommen übergangslos hatte er sich in den Schädel eines alten, kahlköpfigen Mannes verwandelt, dessen Gesicht vor lauter Falten und Furchen beinahe wie grau versteinert wirkte. Langsam senkte sich dieser fremdartige Schädel wieder nach vorn und in dieser Bewegung hoben sich seine Arme bis in Gesichtsmitte empor. Mit keinem Blick aus seinen dunkelbraunen Augen streifte er Meneas und Idomanê. Sie hätten ihm nur mit Mühe standgehalten. Die Lichtkegel der Blendlaternen zitterten deutlich.
Der Alte, es konnte unmöglich noch Tjerulf sein, blickte starr auf seine Arme und murmelte Worte in einer unbekannten Sprache. Der Geist in Freno wehrte sich immer stärker, denn er wusste, was ihn erwartete. Es war fast unglaublich, dass die Stricke noch hielten, so bäumte er sich gegen sie auf. Meneas und Idomanê befürchteten, dass er sich im nächsten Augenblick Hände oder Füße abreißen würde, doch weder das eine noch das andere geschah.
Dann begannen sich die Hände des Alten zu verformen. Waren es vorher noch menschliche Hände gewesen, wenn auch steinalt und schrumpelig, so wuchsen an jeder Hand die fünf Finger jetzt zusammen und es bildeten sich drei unförmige, hornbewehrte Krallen, jeweils zwei Finger und ein Daumen. Damit begann der Fremde, die Kleidung über Frenos Bauch hochzuschieben und die nackte Haut freizulegen. Mit einer heftigen Armbewegung durchbrachen die Krallen der rechten Hand die Bauchdecke. Blut quoll hervor und Frenos Körper erbebte vor Qualen, doch er fiel nicht in eine gnädige Bewusstlosigkeit. Der Geist in Freno warf wie wahnsinnig seinen Kopf hin und her und trat mit den Füßen. Schaum bildete sich vor seinem Mund und unirdische, höllische Geräusche drangen durch den Knebel. Beiden, Meneas und Idomanê, wurde übel. Als ihr dann auch noch schwindelig wurde, ahnte sie, dass sie kurz vor einer Ohnmacht stand. Verzweifelt stützte sie sich an der Wand ab.
Was der Alte in den Eingeweiden Frenos in diesen Augenblicken veranstaltete, konnten sie nicht erkennen und sie waren dankbar dafür. Dafür mussten sie mit ansehen, wie Trywfyn und Durhad zur gleichen Zeit die freigelegten Adern durchtrennten und ihnen das Blut entgegenspritzte. Das war zu viel für Idomanê. Ohnmächtig sank sie zu Boden und polternd fielen die beiden Taschenlampen aus ihren Händen. Gespenstisch leuchteten sie zwei Ecken des Raumes aus. Tjerulf, Durhad und Trywfyn ließen sich jedoch nicht stören. Während der Alte seinen Arm weiter in die Richtung des Herzens vorschob, lehnten sich der Morain und der Ogmari wieder zurück.
Frenos Wunden hätten unter gewöhnlichen Umständen ausgereicht, ihn zu töten. Nicht so in diesem Fall. Seine Bewegungen waren nicht schwächer geworden. Der fremde Geist klammerte sich mit verzweifelter Wut an seinen Gastkörper und versorgte ihn mit schier grenzenloser Lebenskraft. Der Strom des Blutes, der aus der Wunde trat, verfärbte sich von rot zu grau, wurde dann schwarz und schließlich wieder rot. Es schien zu kochen, denn weißer Schaum mischte sich bei. Jetzt erst erstarben Frenos Bewegungen und schließlich hörte der Blutstrom auf. Mit einem Geräusch, das sich wie ein tiefer, erleichterter Seufzer anhörte, fiel der Körper in sich zusammen und lag bewegungslos da. Im gleichen Augenblick hallten die Wände des Kellerraumes zum zweiten Mal in dieser Nacht von einem unirdischen Kreischen wider. Dann herrschte im Sinne des Wortes Todesstille.
Meneas stand wie versteinert da. Nur seine Hände zitterten. Er verstand nicht, was vor seinen Augen stattgefunden hatte. Sein Geist weigerte sich einfach, es zu verstehen. Hatte Tjerulf, oder wer immer er jetzt war, Freno letztlich doch umgebracht, entgegen seines Versprechens? Meneas war unfähig zu handeln oder etwas zu sagen.
Der Alte zog seinen Arm wieder aus dem Bauch des offensichtlich leblosen Freno. So wie sich die Hände in Krallen umgewandelt hatten, wurden wieder fünffingrige Hände aus ihnen. Der kahle Schädel nahm wieder die Form des Kopfes von Tjerulf