Killerwitwen. Charlie Meyer

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Killerwitwen - Charlie Meyer

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und sie fand sich nur wenig später auf einem Operationstisch wieder, wo ihr ein mitleidloser Anästhesist eine lange Betäubungsspritze in die Schläfe jagte.

      Emmi stand vom Toilettendeckel auf und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Ach du meine Güte, der grüne Lidschatten leuchtete viel zu stark. Sie rubbelte mit der Zeigefingerkuppe über die Lider. Ein dezentes Grünlich sollte ausreichen. Es war ja auch nur, damit die Augen nicht so in den Höhlen verschwanden. Auch ein Zeichen des Alterns. Die Augen zogen sich in ihre beinernen Höhlen zurück. Verabschiedeten sich langsam aber sicher von der Welt und sahen aus größerer Distanz.

      Die Kinder behaupteten natürlich später, das sei Quatsch und sie habe nur geträumt damals auf dem OP-Tisch. Das Beruhigungsmittel sei wahrscheinlich so stark gewesen, dass sie trotz der örtlichen Betäubung ab und an mal wegduselte. Was die schon wussten, die Kinder. Wollen Sie keine Lupe nehmen?, hatte der Assistenzarzt zaghaft gefragt und vom Oberarzt die unwirsche Antwort bekommen: Lupe? Unsinn. Ab der hundertsten Operation braucht man keine Lupe mehr. Und dann war irgendetwas schiefgegangen mit dem Stechen des Stars und die Linse verletzt worden. Natürlich bestritten beide Ärzte energisch diesen Dialog, ja, sie drohten ihr sogar mit Klage, sollte sie ihre Zunge nicht in Zaum halten, aber Emmi wusste genau, was sie gehört hatte, und woher sonst sollten die massiven Sehstörungen kommen, die nach der Operation ihr Leben veränderten? Schwarzer Buchstabensalat in den Büchern, doppelte Zeitungsüberschriften und das Gesichtsfeld links so eingeschränkt, dass sie erschrocken zusammenzuckte, wenn sie auf dem Gehweg von einem Passanten überholt wurde. Von plötzlich vorbeirasenden Autos mal ganz zu schweigen.

      Was für schreckliche Monate. Nicht einmal bei Christinas unerwarteter Rückkehr aus ihrem fernöstlichen Grab konnte sie der allgemeine Begeisterungssturm mitreißen. Und als das Mädchen ein paar Tage zu Besuch kam, im Lotossitz auf dem Wohnzimmerteppich hockte und mit geschlossenen Augen und offenen Händen Ommmm – Ommmmm – Ommmm murmelte, waren ihre Blicke nicht ganz so freundlich auf die Jüngste gerichtet gewesen, wie es der Anlass der Auferstehung vielleicht gefordert hätte.

      Nichts ging mehr in jener Zeit. Nicht einmal die Volkshochschule, und sie saß hinter verschlossenen Türen mit ihren verquer blickenden Augen und dem klingelnden Tinnitus, und eine vage Ahnung stieg in ihr auf, wie der Anfang vom Ende aussehen könnte.

      Emmi fand die Wattestäbchen in dem Karton mit dem Schuhputzzeug ganz unten im Regal, bohrte sich energisch eins ins Ohr und betrachtete missmutig den braunen Schmalz an der Watte.

      Nach der zweiten Operation, die Ärzte sprachen nach dem verpfuschtem Starstechen beschönigend von postoperativen Korrekturen und pflanzten ihr eine neue Linse ein, entwirrte sich der Buchstabensalat wieder zu einigermaßen geordneten Zeilen, dafür aber trat ein anderes irritierendes Phänomen auf. Sie vertrug kein Licht mehr und hockte stundenlang im Dämmer und dachte an Christina und ihren Guru. Egal, aus welcher Quelle das Licht kam, ob von oben, unten, rechts oder links, es BLENDETE. Sogar das Tageslicht, und beim Versuch zu lesen, verquirlte das Auge die Reflexion der weißen Seiten mit den schwarzen Buchstabenreihen zu einem grieseligen Muster ohne erkennenswerte Konturen, und morgens knabberte sie appetitlos an ihren Brötchenhälften und starrte missmutig die jungfräulich zusammengefaltete Zeitung an.

      Sie lernte Straßenlaternen, Sonne, Lampen und sogar den Fernseher zu hassen und wenn eines ihrer Kinder kam, um sie zum Essen auszuführen, pustete sie dem Kellner die Kerze unter den Fingern aus und hoppelte mit ihrem Stuhl um den Tisch, bis sie den Platz fand, an dem es am wenigstens blendete und die Kinder vor Verlegenheit rot anliefen.

      „Ich werde die Kleine heute Abend anrufen“, murmelte Emmi und schloss die Badezimmertür hinter sich. „Und Hermann könnte ich eigentlich auch mal wieder begießen.“

      2.

      Der Anzeiger für‘s Koppstedter Land brachte auf der ersten Seite Dramatisches. Tragischer Todesfall überschattet Endspiel zwischen SV Achternhausen und TUS Bienstock. Ein verwirrter Rotfuchs, der am Vorabend aus dem Wald gehetzt kam, über den Rasen wetzte und zwischen den Beinen der ebenfalls hin- und herwetzenden Fußballspieler die Orientierung verlor, war so unglücklich unter die Spikes eines Stürmers geraten, dass er noch auf dem Spielfeld seinen schweren Verletzungen erlag. Allerdings erst, nachdem er wild um sich geschnappt und diverse Waden erwischt hatte, was im Nachhinein zu einer allgemeinen Panik führte, als man am Maul des Fuchses grünlichen Schaum entdeckte.

      Der Hundertjährige Kalender verkündete für den zweiten Tag im Heumond:

      Regnet’s am Tag unsere lieben Frauen,

      da sie das Gebirg tät beschauen,

      so wird sich das Regenwetter mehren

      und 40 Tage nacheinander währen.

      „Ach du liebes Bisschen“, murmelte Emmi Nichterlein und spähte aus dem Esszimmerfenster in den blauer Himmel, über den noch ein paar zerzauste Wölkchen huschten; die Nachboten des Orkans, der tags zuvor recht halbherzig über Koppstedt gefegt war. Es würde ein schöner, trockener Sommer werden, mochten die Wetterfrösche auch noch so unken. Die Schafskälte Anfang Juni war ausgeblieben, der Siebenschläfer knochentrocken gewesen und oben am Ribbenkopp, dem Koppstedter Hausberg, blühten seit zwei Wochen die Winterlinden. Der mickrige Sturm zählte nicht.

      Später am Vormittag beugte sich Emmi über die wuchtige Emaillebadewanne im hinteren Kellerraum - dem einzigen Erbstück ihrer Mutter - und ließ Wasser in die grüne Gießkanne laufen. Das übrige Mobiliar aus dem Elternhaus war, samt Charlotte Nichterlein selbst, durch eine als Ballast über Koppstedt abgeworfene Bombe eingeäschert worden, während Emmi in einer Göttinger Munitionsfabrik am Fließband stand und ihr kleiner Bruder die bayerische Verwandtschaft in den Bergen heimsuchte.

      Wie immer ärgerte sie sich angesichts der Wanne im Keller. Dieser Hermann! Wenn er damals bloß gleich zum Wohnungsamt gefahren wäre, als im Anzeiger der Artikel über die neu erbaute Reihenhaussiedlung Am Birkenpfuhl erschien, vielleicht hätten sie dann noch eines der Eckhäuser mit den großen Badezimmern ergattern können. Aber nein, Hermann musste natürlich erst einmal seinen heroischen Entschluss, Hausherr zu werden, in der nächstbesten Eckkneipe feiern, und als sein Kater endlich aufhörte, so kläglich zu miauen und die Augen wieder aufschwollen, da waren die Eckhäuser bereits an Ausgeschlafenere wie Sauerbachs und Woitzacks vergeben.

      Typisch!

      Und dann dieses dämliche Getue und all das verlogene Theater, als er mit den Papieren für eines der Mittelhäuser vor ihrer wütenden Nase herumwedelte und sich als Held feiern lassen wollte. Wie er beim Einzug am 1. Juli alles in den Himmel lobte. Die hellhörigen Pappwände zu den Nachbarn, die knarrenden Holztreppen, die Leitungen, die nicht einmal unter Putz verlegt worden waren und sogar diese quadratische kleine Abstellkammer hinter der Haustür, zu der sie fortan Badezimmer sagen sollte. Und abends betrank er sich, weil Lübke Bundespräsident geworden war und nicht Carlo Schmid von den Sozialdemokraten.

      Wie oft träumte sie in jenen Tagen, am Arm Cord von Herkensteins in atemberaubendem Ballkleid die große Freitreppe des Gutshauses hinunterzuschweben, umtost von frenetischen Beifallsrufen Hunderter geladener Gäste, ein kleines silbernes Krönchen in der Lockenpracht, während Kindermädchen mit sanften Liebkosungen die Herkenstein’schen Erben in den Schlaf wiegten.

      Was für ein Traum!

      Stattdessen schnarchte ihr besoffener Hermann so laut seinen Rausch aus, dass die Nachbarn gegen die Wand klopften, und in den provisorisch hergerichteten Dachkammern stritten sich drei quengelnde Gören über kindliche Nichtigkeiten. David ging zum Zeitpunkt des Einzuges bereits in die dritte Klasse, Stefan wurde nach den Sommerferien eingeschult, Julia war zwei und von dem

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