Rabenflüstern. Philipp Schmidt

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Rabenflüstern - Philipp Schmidt

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gefallen.

      ***

      Zur gleichen Zeit, viele Tagesmärsche südwestlich, saß Rhoderik, ein in die Jahre gekommener Krieger, an einem Teich. Gedankenverloren starrte er ins trübe Wasser und wieder einmal erschrak er über das Grau an seinen Schläfen. Der Teich war angelegt, ebenso wie der zu dieser Jahreszeit wenig erfreuliche Rosengarten um ihn herum. Er befand sich in Triberkh, seit Gründung des Reiches der Sitz der Könige. All die letzten Jahre hatte er sich gewünscht, noch einmal für seinen König Gunther in die Schlacht zu ziehen, und jetzt, da die Zeit gekommen schien, spürte er die Müdigkeit in seinen Knochen. Den ganzen Vormittag hatte er mit Schwertübungen verbracht und war erschrocken gewesen, wie viel an Kraft und Schnelligkeit er eingebüßt hatte.

      Seine Aufgabe war es, die zwei jüngsten Kinder Gunthers zu beschützen. Eine Ehre, wie der König dem alten Freund stets beteuerte, doch die Kriege waren weit entfernt, und es hatte keine Gefahr bestanden, vor der er Heikhe und den kleinen Gunther hätte bewahren müssen. Über Nacht hatte sich das geändert. Oder war es nur die Fantasterei eines alten Mannes, geboren aus Erinnerungen an bewegtere und ruhmreichere Tage?

      Nein. Die Stimme, die letzte Nacht im Traum zu ihm gesprochen hatte, war real gewesen. Er war nicht alt, sondern erfahren und sein König brauchte ihn, disziplinierte er sich. Er verkrampfte die Rechte zur Faust und begutachtete die weiß hervortretenden Knöchel.

      Im Stillen verabschiedete er sich von dem Garten, in dem er so viele ruhige Tage verbracht hatte, und machte sich auf den Weg in seine Kammer. Die Zeit drängte.

      Seine Miene war eisern, als er Orgflaed gürtete, was in der Sprache der Godi Orktod bedeutete. Unter Protest hatte er die breite Klinge von Gunther angenommen, mit dem Versprechen, sie einst jenem seiner Söhne zu geben, der König werden würde. Es kostete ihn Mühe, die Riemen seines Lederharnisches festzuziehen. Wenn die Frau in seinem Traum recht behielt, würde er seinen Freund und König niemals wiedersehen. Er verbot sich jedes Gefühl der Trauer, während er, schon im Gehen, einen abgetragenen Umhang überwarf.

      Er packte Tasche und Rucksack, die er bereits nach der Mittagsmahlzeit mit Proviant und einigen anderen nützlichen Dingen gefüllt hatte, und machte sich auf zu den Gemächern seiner Schützlinge.

      Die langen Gänge hindurcheilend überlegte er sich erneut, die Bediensteten und Krieger in der Burg zu warnen, schüttelte den Gedanken jedoch ab. Wer würde ihm Glauben schenken? Es würde zu nichts als Witzeleien über die Geilheit eines einsamen Mannes führen, dem eine halb nackte Frau im Traum erschienen war.

      In der Kammer angekommen, fand er die Kinder schlafend vor. Er lud den gerade mal sieben Sommer alten Knaben auf die Schulter, wovon die vier Jahre ältere Schwester erwachte. Die Augen weit aufgerissen, legte sie ohne Fragen ihre zierliche Hand in die entgegengestreckte des alten Kriegers.

      Wortlos huschten sie durch den beim Bau der Burg angelegten Fluchttunnel. An seinem Ende schob Rhoderik einen Busch beiseite.

      »Mir ist kalt«, greinte Heikhe, deren bloße Füße über den Waldboden tapsten. Über ihnen war Hufgetrappel zu hören. Hektisch kramte er zwei Wolldecken aus den Halterungen des Rucksacks. Auch Gunther war erwacht und hatte zu weinen begonnen. Doch sein Klagen ging unter in Kampfeslärm und Schmerzensschreien. Nachdem er die Kinder in die Decken gewickelt hatte, wies er sie an, sich festzuhalten. Den Knaben auf den Schultern, das Mädchen vor der Brust trugen seine schweren Beine sie in den dunklen Wald.

      »Wohin gehen wir?«, wollte Heikhe ängstlich wissen, wobei sich ihre Fingernägel in den Stiernacken ihres Entführers gruben.

      »An den Rhein. Dort werden wir einen Mann zu jung für sein weißes Haar finden«, wiederholte Rhoderik die Prophezeiung aus seinem Traum.

      ***

      Hinter dem Thronsaal Brisaks befand sich ein Beratungsraum. Das einzige Möbelstück war ein Tisch mit vier Stühlen. Die übermannshohen Fenster tauchten die Wandmalereien neben und über der schmalen Tür in das dunkle Rot der Abendsonne. Beinahe schienen die Fabelwesen aus den Jagdszenen zum Leben zu erwachen. Bran stand vor den Bildern, seine Fürstenkrone lag schwerer als sonst in seiner Hand. Schon seit Stunden hatte er kein Wort gesprochen und doch war er nicht allein. Im einzigen Winkel des Raumes, in den kein Licht fiel, stand der Seher. Mit verschränkten Armen harrte er düster auf eine Reaktion des Fürsten. Er hatte ihm mitgeteilt, wie der König gefallen war und auf welche Weise weiter vorzugehen war. Seiner Miene war die Verachtung für all jene menschlichen Schwächen abzulesen, die Bran wie hunderttausend Nadelstiche quälten. Treue, Mitgefühl, Ehre – alles Zeichen der Mittelmäßigkeit, und gerade gefährdeten sie seinen Plan.

      Die Krone fiel zu Boden.

      Bestürzt trat der Seher aus dem Halbdunkel und hob sie auf.

      Er lehnte sich an die marmorne Tischplatte und schnaubte missgelaunt. Er verspürte den Drang, Leid zuzufügen, zwang sich aber, seine Lust später auszuleben. Tief unter den Mauern der Stadt wartete ein ganzer Käfig voller Waisenkinder auf seine Zuneigung; sie würden sich gedulden müssen, Bran durfte jetzt nicht umkippen.

      »Mein Fürst«, begann er unterwürfig, »all unsre Wünsche sind in Erfüllung gegangen: Eure Armee war siegreich, Theodosus ist geschwächt.« Den Zynismus jedoch konnte er sich nicht verkneifen, als er fortfuhr: »Nach dem ach so tragischen Tod des Königs seid Ihr nun der mächtigste Mann in diesen Landen. War es nicht das, was Ihr immer wolltet?«

      Bran kämpfte innerlich mit sich selbst, er war zu weit gegangen, um umzukehren.

      »Und die Orks?«, sann er. »Sie würden lieber zu Hunderten vor unsren Mauern sterben, als einen neuen Hochkönig auf dem Thron zu sehen.« Sein Blick glitt über ein Gemälde, auf dem ein Ritter mit seiner Lanze nach einem geflügelten Dämon stieß. »Und was ist mit Kraeh? Er ist anders als Berbast. Es wird nicht leicht, ihn von unsrer Sache zu überzeugen …«

      »Ich kenne sein Schicksal«, warf der Schwarzgekleidete ein. »Kein Wort zu ihm«, setzte er mahnend hinzu.

      Bran fröstelte. »Er ist wie ein Sohn für mich.«

      Langsam kam sein Gesprächspartner auf ihn zu. Die Bewegungen wirkten bedrohlich. Kurz vor ihm blieb er stehen und warf seine Kapuze zurück. »Wir alle bringen Opfer, um das große Ziel zu erreichen.« Der Fürst wusste nicht, was ihn mehr beunruhigte: das reptilienhafte, gelb schimmernde rechte Auge oder die leere Höhle in der linken Gesichtshälfte.

      »Kraeh wird schon bald zu uns stoßen. Er braucht Zeit, sein wahres Wesen zu entdecken. Sorgt Euch nicht um ihn, ich werde mich seiner annehmen, wenn es so weit ist. Doch zuerst wird er uns darin nützlich sein, den Stein der Macht zu beschaffen.« Wie bitterer Honig träufelten seine Worte in Brans Gewissen. »Ihr müsst jetzt stark sein, König Bran.«

      Brans Gesichtsausdruck fand bei der bloßen Erwähnung des sagenumwobenen Relikts beinahe seine gewohnte Entschlossenheit wieder.

      Es klopfte an der Tür. Als der Fürst sich nicht regte, rief der Seher ärgerlich: »Herein!«

      Zwei wie Jäger gekleidete Männer betraten mit gesenktem Haupt den Raum.

      Der jüngere von beiden ergriff das Wort: »In Triberkh ist niemand mehr am Leben außer …«

      »Außer?«, hakte der Seher mit gefährlichem Unterton nach.

      Dem Angesprochenen wurde zusehends unwohl. »Zwei Kinder«, stammelte er, »die jüngsten Gunthers, sie waren nicht dort.«

      Jetzt

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