Sitten, Strolche & Strategen. J. J. Juhnke
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Drachenburger Nächte
Alfredo glaubte an die alte französische Bordellphilosophie der vier Säulen des zivilisierten Lebens:
Familie, Kirche, Geschäft und Puff. Seine Unternehmen waren in Kategorien eingeteilt. Da gab es den bekannten tingel tangel Teil, mit dem normalen Geschäftsbetrieb der Bars und Kneipen in der Rotlichtwelt am Überseehafen. Für das grobe Bordellwesen, am Fischereihafen, konnte er sich nicht erwärmen. Das war die Spielwiese von Kongo Kalle und Kater Karlo. Mehr Freude hatte Alfredo an gehobenen Dienstleistungen und Darbietungen. Solvente Herren luden erstklassige Mädchen zu sich ein. Ins Hotel, auf ein Schiff, oder ins ganz private Umfeld. Herren, verschiedener Nationalitäten und Seilschaften, nahmen diesen diskreten Service in Anspruch. Nach Bonn, ins Ruhrgebiet oder auf eine Insel, ließ der wählerische Mann mit Geschmack sein Objekt der Begierde kommen. Eine besondere Kunstform stellten die begehrten “Motto Shows" in der Drachenburg, Feingeister sagten Engelsburg, dar. Vielleicht ist so ein Burgfräulein ein aus dem Himmel gefallener Engel. Manchem kamen sie so vor. Rex war Alfredos erster Kontaktmann zu den Passagierschiffen die die Stadt am Meer regelmäßig anliefen. Genauer gesagt waren es 1968, von ihrer Funktion her, bereits überwiegend Vergnügungsdampfer. Getriebene nahmen das schnelle Flugzeug. Damit das Vergnügen nicht an der Hafenmole, für potente und zahlungskräftige Zeitgenossen, aus dem In -und Ausland, wie: Militärs, politisches Personal, Direktoren, Leitende Angestellte, Fabrikanten und Firmen-inhaber, vermögende Müßiggänger, Schauspieler, Glücksspieler, Playboys und Frauen, mit und ohne Begleitung, abrupt endete, wurde Rex zum Vertrauensmann der Bord- Animateure und Gigolos. Gegen Provision, versteht sich. Heute würde man von einem win-win Geschäft sprechen. Die Offiziers Crew der Handelsschiffe war durch die Anzahl der anlaufenden Schiffe eine feste Größe. Dann gab es noch die betuchten Geschäftsleute mit Zeit und einem Faible für kultivierte, erotische Animation, als Belohnung für ihr schaffen. Der Kontakt mit diesen Kunstliebhabern, für die Drachenburg, oder dem Traveller Service, lief ausschließlich über Alfredo, Rex und Bootsmann. Sie kümmerten sich um ein Verhältnis das Verschwiegenheit zu den Klienten garantierte. Die richtige Wahl der Künstlerinnen. Die Kleidung, Einweisung und Training der Mädchen. Dekoration und Ausstattung der Zimmer. Eine Moderation zu dem gewünschten Event. Verlässliche Mittelsmänner und Abwicklung von Zahlungen. Diskrete Anwerbung junger, gesunder Mädchen. Die besonderen Mädchen, das wertvollste Kapital! Loyalität und Disziplin waren unverzichtbare Voraussetzung. Sie sollen in der Lage sein die Phantasien der Männer stundenlang zu steuern. Das richtige Mädchen muss Talent für die Inhalte der Shows mitbringen. Für die Rollen in der Drachenburg kamen nur intelligente Mädchen in Frage, mit schauspielerischem Talent, entsprechender Naturgeilheit und großem Durst nach Sex. Alles ist so schick und originell dekoriert wie möglich, auch das Personal. Alles fröhliche Kätzchen, die Schwung in den Abend bringen. Kein Platz für dumme Gänse unter den Mädchen und Geizhälse unter den Verehrern. Gelassenheit und Wollust, das muss in diesen Räumen vorherrschen, denn der Rubel soll ja schließlich immer weiter rollen. Pure angewandte Psychologie. Eine Zigarette, oder einen Drink, in der einen Hand und einen Arsch, oder Busen, in der anderen Hand – das ist genehmigte Entspannung, an diesem Ort der Freiheit. Die Mädchen kamen überwiegend aus gut bürgerlichem Hause und waren ohne Vorerfahrung aus der Szene. Keine abgenudelten Bräute die sich müde gefickt haben. Nur frische Mädchen, mit guten Umgangsformen und Begeisterung für die Abenteuer in jeder neuen Show. Sie müssen es wollen, sich inkognito durchvögeln zu lassen um dafür sehr gut bezahlt zu werden. Weil, nach dem Sex, ist bekanntlich, vor dem Sex. Alkohol, eine Pille und andere Extras, machten den Abend noch geschmeidiger. Bei den Preisen haben Kunden Anspruch auf Qualität. Sie gehen ohne Hemmungen ran, bleiben aber dabei das anständige Mädchen, das sie sind und bleiben. Die Burg ist ja keine Gauner Spelunke im Hafen. Zwangsläufig werden sie lockerer beim Sexbomben-Geschäft, auch weil der Rubel, überwiegend in Form von Dollar, mächtig rollt. Soviel kam man gar nicht in einer Fischfabrik arbeiten um das Einkommen zu realisieren. Zur Höchststrafe würde alles über eine Steuerkarte laufen. Vom Fischgeruch, den man nur schwer wieder los wird, ganz zu schweigen. Entsprechend angezogen, geschminkt und lächelnd, waren sie bereit ihre Gäste zu empfangen. Diese süßen Puppen wirkten aufreizend naiv zurecht gemacht, was im Widerspruch zu ihrem Verhalten stand. Wie sie es dir besorgen konnten, dich in eine Welt der schönen Körper und Sprache ohne Worte gleiten ließen. >Freudenhäuser, ohne Freude, sind keinem etwas wert. Bei den erhobenen Preisen haben Kunden Anspruch auf Qualität und Niveau. Die Drachenburg ist schließlich keine Gauner Spelunke im Hafenvierte<, so der Chef. Jede Künstlerin wurde von Alfredo zu völliger Verschwiegenheit gegenüber Behörden, Ehemännern, Freunden, Verwandten und Fremden, "vereidigt". Natürlich: keine privaten Kontakte mit Gästen. Zusätzlich versorgte Alfredo sein berufliches Umfeld gerne mit klugen Bemerkungen, wie: "Nichts hat mehr einen Wert ohne Erwartung", oder "Wenn alle viel Geld haben, hätte das Geld keinen Wert Mehr" und das die Welt wild bleiben wird "solange einer heiß begehrt, was der andere besitzt!" Selbst wenn man glaubt alles geplant zu haben gibt es schwierige Momente, die nicht vorhersehbar sind. Rex erzählte von einer Vorstellung an deren Beginn eines der Mädchen zu ihm gelaufen kam und um Ablösung bat. Sie hatte ihren Vater an der Garderobe erkannt. Warum auch nicht? Wird der aufgeklärte Zeitgeist hier einwenden. Es war durchaus Sitte und über die Jahre gute Tradition geworden, einen erfreulichen Geschäftsabschluss in der Drachenburg zu besiegeln. Nach einer Feier, mit den Engeln, hatte das Geschäft sozusagen sein Wachsiegel erhalten. Vertreter der Reedereien, Werften, Industrie und Handel, Inhaber von Speditionen, Abgesandte aus Demokratien, Diktaturen, Bananen-republiken und Schurkenstaaten – viele wollten über die Häfen was bewegen. So eine normale Geschäftsabschlussfeier war das, an diesem Abend, für bestimmte Personen, sicher auch. Das Mädchen war für den Themenabend gut kostümiert, sodass er sie nicht sofort erkannt hatte. Also wurde sie geräuschlos ausgewechselt. Alfredo hielt ständig Ersatzmädchen in Reserve, falls eines, im Laufe der Nacht, schlapp machte. Fällt ein Mädchen in einem laufenden Programm aus, kann es stressig werden. Die Gäste dürfen sich nicht alleine gelassen fühlen und trotzdem so etwas wie Privatsphäre genießen Jeder Gast sollte wie ein südamerikanischer General behandelt werden. Eiserne Regel der Geschäftsführung: Keiner bleibt unberührt! An diesem Abend bekam der Vater des Mädchens Töchter anderer Väter zur Gesellschaft und alles lief ruhig und gesittet weiter. Es ist lange her, doch wer erinnert sich nicht gerne an die babylonischen Sündennächte. Wie es damals war, was alles geschah und möglich gewesen ist. Der Zauber aus Showeinlagen, tanzen, lachen, Schminke, Parfüm, Musik, Alkohol und Sex. Diese Nächte, in denen man ausschweifende Momente zu flüchtiger Bedeutung erheben konnte. Die Engelsburg sich in eine schamlose Hölle verwandelte. Saufen, feiern, tanzen und ficken bis zur Ekstase war hier der Weg Erlösung zu finden. Und keiner kriegt genug, um so öfter er kommt. Sie wollen mehr und mehr, weil die Wirkung nachlässt. Wie bei Drogen ist es auch beim Sex und der Liebe: sie suchen nach Brandbeschleunigern ihrer Lüste. Die Drachenburg, mit seinen selektierten "Tanzmädchen", lieferte bunt lackierte Träume für Männer, aus allen Herren Ländern, denen es gar nicht zu bunt werden konnte. Die Burg war, in jenen Jahren, die bunteste und hochwertigste Adresse, weit und breit. Pariser Adressen gab es ja so leider nicht mehr. Ein Dschungel erlebbarer Triebe und Phantasien war gerade bunt genug um in die Nähe ihrer Vorstellung vom Paradies zu gelangen. Die keine Probleme damit hatten das diese Schönen der Nacht, für den Preis den man ihnen zahlte, sehr in sich selbst verliebt sein konnten. Die tingel tangel Beschallung war in den Anfangsjahren noch