Von keltischer Götterdämmerung. Die Kelten-Saga. Band 1-3: Anation - Wodans Lebenshauch / Völva - Wodans Seherinnen / Brictom - Wodans Götterlied. Die komplette Saga in einem Bundle. Astrid Rauner
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Rowilan scheuchte die Gruppe, die überwiegend aus Frauen bestand, mit einer kurzen Bemerkung beiseite, bevor er sich Zutritt zum Haus verschaffte und die Schaulustigen draußen aussperrte.
Moribe hatte sich immer noch nicht beruhigen können. Man hörte deutlich, dass ihre Kräfte nachließen. Unverständliche Worte schwangen immer wieder in ihren Schreien mit, die jedoch weder Aigonn noch Rowilan wirklich verstanden. Der Schamane sank neben ihrem Schlaflager auf die Knie, Aigonn kurz hinter ihm, und befühlte sorgenvoll ihre schweißnasse Stirn. „Sie hat Fieber, immer noch.“
Er fasste nach ihrem Puls. Seine Miene verdunkelte sich. „Ihr Herz rast. So geschwächt wie sie ist, wird sie das nicht mehr lange durchhalten.“
Aus Aigonns Ahnung wurde Schrecken. Obwohl der Schamane nach einem der Töpfchen langte, die sie mitgebracht hatten, erkannte Aigonn an dessen Ausdruck, dass auch er nicht viel tun konnte.
„Bring mir Wasser und eine flache Schale!“
Aigonn stolperte davon, brachte kurz darauf aber einen kleinen Krug und das gewünschte Geschirr mit sich. In die Schale kippte Rowilan einen Schuss Wasser, vermischte dieses mit einigen Kräutern zu einer breiigen Paste, bevor er Aigonn den Krug in die Hände drückte. „Du musst mir helfen“, wies er ihn an. „Sie wird die Paste nicht einfach schlucken. Du musst vorsichtig versuchen, Wasser hinterher zu gießen, damit sie es nicht ausspuckt. Ihr Körper wird Flüssigkeit brauchen!“
„Was ist das?“ Aigonn blickte zweifelnd auf den Brei, den Rowilan in der Schale in seinen Händen hielt. „Baldrian. Normalerweise verwende ich ihn nicht pur. Aber das hier ist eine Ausnahme. Also hilf mir!“
Aigonn nickte. Zusammen mit dem Schamanen beugte er sich vor. Rowilan hatte gerade die Schale an Moribes zuckende Lippen gesetzt, als diese auf einmal erschlafften. Der Körper der Frau entspannte sich. Als hätte der Schamane einen Zauber gesprochen, verstummten ihre Schreie, verlangsamte sich ihre Atmung. Die Erschöpfung schien wie ein Tuch auf sie niederzufallen.
„Was geschieht mit ihr?“ Mit schreckensweiten Augen sah Aigonn zu seiner Mutter hinab. Rowilan stellte verwirrt die Schale beiseite, legte stattdessen das Ohr direkt über ihr Herz und stockte, als ihn Gewissheit überkam.
Aigonn sah den Ausdruck in seinem Gesicht – eine Miene, die deutlich machte, dass es nichts mehr zu tun gab. Ein Gedanke – nicht ausgesprochen, aber gegenwärtig – schnürte ihm die Kehle zu. Obwohl er sie zurückhalten wollte, brach die Panik in seiner Stimme durch, als er Rowilan abermals fragte, noch lauter als zuvor: „WAS GESCHIEHT MIT IHR?“
„Sie stirbt.“ Rowilans Stimme war nicht zu deuten. Es gab kein Gefühl in ihr, keine Trauer oder Verzagen – nur die Gewissheit, die Aigonn die Luft zum Atmen raubte. Ein Schrei, ein Vorwurf, lag ihm auf den Lippen. Er wollte ihn bereits ausstoßen, als eine andere Stimme alles vergessen machte, das er hatte sagen wollen.
„Aigonn!“
„Mutter?“
Sie war es. Sie erinnerte sich an seinen Namen. Sie war zurück, so kurz vor dem Ende! Aigonn ließ den Tonkrug achtlos zu Boden fallen. Leise klirrend splitterte ein wenig Ton, der Henkel brach ab. Doch diese Sinneseindrücke erreichten Aigonns Bewusstsein nicht mehr. Er beugte sich weiter vor – sodass sein Ohr dem Mund seiner Mutter ganz nahe war. Und dann hörte er, wie sie sagte: „Aigonn …, ich bin angekommen.“
Auf einmal waren sie wieder da – die Erinnerungen, seine Kindheit. Ein Bilderfluss strömte auf ihn ein, den er nie vergessen hatte, der aber seit Jahren niemals so wirklich gewesen war wie in diesem Moment. Seine Mutter erschien vor seinem inneren Auge, zusammen mit Derona. Eine Mutter und ihre Tochter, kaum zwölf Jahre alt. Die namenlosen Gefühle, die damit verbunden waren, schmerzten Aigonn, dass er glaubte, auseinander zu brechen. Doch für die Gewissheit, die in allzu naher Zukunft lag, war es bisher noch nicht an der Zeit.
„Aigonn … Derona hat es gewusst. Sie wusste, wer die Tochter des Sängers ermordet hat. Sie selber hat es ihr gezeigt, aber Derona wollte es mir nicht sagen. Sie hat gesagt, dass es niemand wissen darf …“
Moribes Blick flackerte. Aigonn fühlte ihren flachen, warmen Atem auf seiner Haut, wie er immer schwächer wurde. Er verstand nichts von dem, was sie gesagt hatte, auch wenn er wusste, dass es wichtig war.
„Wer ist die Tochter des Sängers?“, fragte er. Doch Moribe war nicht mehr im Stande dazu, dieses Thema weiterzuführen. Mit müden Augen sah sie ihn an, lange, eindringlich, voller Kummer – und in diesem Moment wusste er, dass sie wieder die alte war. Die, die einmal seine Mutter gewesen war.
„Verzeih mir, Aigonn! Verzeih mir, dass ich nicht für dich und Efoh da war!“
Er wollte etwas antworten, doch die Worte kamen nicht über seine Lippen. Als er die Hand seiner Mutter neben sich spürte, die zitternd nach seiner tastete, nahm er sie, hielt sie so sachte, als ob sie in seinen Händen zerfallen würde. Binnen der vergangenen Tage war sie unendlich gealtert – das sah er erst jetzt. Wie bei einer Greisin wirkte ihr ausgemergeltes Gesicht mit den hohlen Wangen, das von schlohweißen Haaren umgeben war. Sie hatte kaum mehr Fleisch auf den Rippen, wirkte mehr wie ein Skelett mit Haut.
Dann sprach Moribe weiter, immer leiser: „Glaube niemals, dass ich dich und deinen Bruder verlasse! Das werde ich nicht. Wenn du willst, wirst du mich sehen, das hast du schon früher getan!“ Bei diesen Worten lächelte sie geheimnisvoll, bevor sie langsam die Augen schloss. „Du wirst mich immer sehen können!“ Einen Augenblick lang fühlte Aigonn ihren Atem auf seiner Haut, den Lebenshauch, das letzte, was zurückblieb, wenn die Zeit eines Lebens vollendet war. Dann verflog er. Aigonn konnte ihr Herz wie Trommeln in seinen Ohren hören, bevor es schwächer wurde. Der letzte Schlag. Verklungen. Aus.
Aigonn war versteinert. Sein Kopf arbeitete gegen ihn, wollte ihn dazu zwingen, zu begreifen. Doch er ließ es nicht zu. In seinem Kopf stand die Zeit still. Er vergaß seinen eigenen Atem, bis Rowilan ihn behutsam an der Schulter fasste und wider Willen kam, was er nicht hören wollte.
„Aigonn, sie ist tot.“
„Nein.“ Es lag keine Überzeugung in diesem Wort, nur der Wille, etwas Unbegreifliches mit allen Mitteln zu ändern. Doch es würde zwecklos sein, das wusste er, auch wenn er sich in diesem Moment daran nicht erinnern wollte. Der Trotz war stärker als das Begreifen. Er erfüllte jede Ritze in Aigonns Kopf und machte ihn unverwundbar gegen die Realität.
„Aigonn!“
„NEIN!“ Was machte es für einen Sinn zu reden? Der Geist seiner Mutter leuchtete silbrig neben ihrem Körper, der mit jedem Moment mehr die Wärme des Lebens verlor. Voll Trauer und Mitleid sah sie ihn an. Er wusste, dass sie ihm helfen wollte. Doch in diesem Moment war dies kein Trost. Sie würde fort sein, bald schon. Sie würde in der Anderen Welt verschwinden und als eine Person wiedergeboren werden, der er wohl niemals wieder begegnen würde. Sie war fort. Schon jetzt. Es war gewiss. Gewiss.
Der Trotz verlor den Kampf gegen die Wirklichkeit. Mit einem Krampf brachen die Tränen aus seinen Augen hervor, als Aigonn alle Trauer aus sich herausschrie und sich auf die Beine rappelte. Schreiend stolperte er aus dem Haus heraus. Ohne auf die Einrichtung seines Onkels zu achten, schlug er gegen Regale, gegen die Tür. Die übrigen Dorfbewohner, die noch immer draußen in der Dunkelheit gewartet hatten, wichen ihm erschrocken aus, während er in die Nacht hinausrannte.
Die