Reiner Kunze. Dichter sein. Udo Scheer

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Reiner Kunze. Dichter sein - Udo Scheer

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jungen Mannes, der dazu erzogen wurde, Menschen nicht nach ihren Qualitäten zu beurteilen, sondern danach, welcher Klasse sie angehören.

      Sein Lyrikdebüt gibt Reiner Kunze 1955 in einem schmalen Gedichtband gemeinsam mit Egon Günther, dem späteren DEFA-Filmregisseur. Schon wenig später wünscht der Dichter, er hätte die Texte besser nicht veröffentlicht.

      Aber das Bändchen unter dem Titel DIE ZUKUNFT SITZT AM TISCHE ist in der Welt. Im hohen Ton des Parteipathos schwelgen nicht alle, doch die meisten der versammelten Versuche. Nur einige wenige Liebesgedichte entziehen sich. Das besondere Lob der Genossen findet eins, in dem Parteilichkeit und Liebe Hand in Hand gehen. Und so steht man bei dem frühen Kunze auch vor diesem Gedicht:

       „MOHR“

      (Die Karl Marx am meisten liebten, nannten ihn „Mohr“)

      „Mohr … mein Mohr“ –

      So nannte ihn Jenny.

      Das Wort war so warm wie ihr Herz

      Und so zart wie ihr Leib,

      Und ihr Mohr war verliebt

      In das Wort, in das Herz, in sein Weib,

      Und hat uns die Liebe gegeben,

      Liebe –

      Jahre vom Leben.

      „Mohr … Vater Mohr“ –

      So riefen ihn zärtlich die Kinder.

      Er hat sie geküsst und hat sie geherzt;

      Denn so war seine Art.

      Er sang ihnen Lieder

      Und hatte ein prächtiges Lachen im Bart –

      Und das Glück, er hat’s uns gegeben,

      Glück –

      Das sind Jahre vom Leben.

      „Mohr … Freund Mohr“

      So sagte sein treuer Genosse zu ihm.

      Ihre Freundschaft, die schönste,

      Die jemals gewachsen,

      Die gab ihm die Kraft,

      Und so hat er unbändigen Willens geschafft –

      Und hat uns die Siege gegeben,

      Siege –

      Sein ganzes Leben.

      „Mohr … unser Mohr“ –

      Für sich

      Nahm er nur seine Sorgen –

      Und dachte die Sonne

      In unseren Morgen.29

      Reiner Kunze sagt mit Blick auf dieses Gedicht:

       Ich lese den Text, geschrieben Anfang der fünfziger Jahre, heute mit Scham und Entsetzen. Er ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Unter Hitler haben wir Gedichte auswendig lernen müssen wie dieses:

      Mein Führer, sieh, wir wissen um die Stunden,

      in denen du hart an der Bürde trägst –

      in denen du auf unsere tiefen Wunden

      die liebevollen Vaterhände legst

      und noch nicht weißt: wie wirst du uns gesunden.

      (…)

      Darum ist unsere Liebe auch so groß,

      darum bist du der Anfang und das Ende –

      Wir glauben dir, treu und bedingungslos,

      und unser Werk des Geistes und der Hände

      ist die Gestaltung unseres Dankes bloß.

       Anfang der Fünfziger Jahre wurden uns in den Vorlesungen Gedichte gepriesen wie Johannes R. Bechers „Danksagung“ an Stalin:

      In seinen Werken reicht er uns die Hand.

      Band reiht an Band sich in den Bibliotheken,

      Und nieder blickt sein Bildnis von der Wand.

      Auch in dem fernsten Dorf ist er zugegen.

      (…)

      In Dresden sucht er auf die Galerie,

      Und alle Bilder sich vor ihm verneigen.

      Die Farbtöne leuchten schön wie nie

      Und tanzen einen bunten Lebensreigen.

      (…)

      Dort wirst du, Stalin; stehn in voller Blüte

      Der Apfelbäume an dem Bodensee,

      Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,

      Und winkt zu sich ein scheues Reh.

      (…)

      Und kein Gebirge setzt ihm eine Schranke,

      Kein Feind ist stark genug, zu widerstehn

      Dem Mann, der Stalin heißt, denn sein Gedanke

      Wird Tat, und Stalins Wille wird geschehn.

       Da stand der Bergarbeitersohn, dem in der Oberschule Namen wie Franz Kafka nie zu Ohren gekommen waren, mitten im politischen Kitsch.

      Das Gedicht der „Mohr“ ist ein Spiegel seiner Zeit und des manipulierten Denkens. Karl Marx’ Theorie ging im doppelten Wortsinn um als Gespenst in Europa. Dabei war vor den zu erwartenden Folgen – der Zerstörung selbst liberalkapitalistischer Strukturen – durch linke Intellektuelle wie Georges Sorẹl bereits Ende des 19. Jahrhunderts unüberhörbar gewarnt worden. Spätestens jedoch mit Wolfgang Leonhards Die Revolution entlässt ihre Kinder und kurz darauf mit Nikita Chruschtschows Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU konnte man auch in der DDR das zerstörerische Potenzial dieser Lehre ahnen.

      Bei Reiner Kunze setzt 1956 ein Umdenken ein. Doch noch Jahre später, schon in Greiz, wird ein Genosse der SED-Kreisleitung ihn auf sein Gedicht „MOHR“ ansprechen und fragen, warum er nicht mehr Gedichte dieser Art schreibe. Er antwortet, dieses Gedicht sei eines seiner schlechtesten.30 Und aus heutiger Distanz sagt er:

       Von mir gibt es frühe Texte, die zu meiner Biografie, aber nicht zur Literatur gehören. Damals war ich gewiss ein politischer Autor, denn ich hatte geglaubt zu wissen, wie man die Welt verändern kann. 31

      Und

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