Reiner Kunze. Dichter sein. Udo Scheer

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Reiner Kunze. Dichter sein - Udo Scheer

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im Herbst 1956?

       Antwort: Was Ronald LÖTZSCH zur Einschätzung der Entwicklung in der Volksrepublik Polen im Herbst 1956 durch Presse und Funk der Deutschen Demokratischen Republik sagte, weiß ich nicht mehr.

       (…)

      Frage: Nach den Aussagen Ronald LÖTZSCHs hat er Sie über seine Verbindungen zu KUPIS [polnischer Journalist und Dozent an der Fakultät für Journalistik, zu dem Kunze den Kontakt vermittelt hat, d. Verf.] – unter anderem, daß er mit KUPIS zusammen den Schriftsteller Erich Loest aufsuchte – unterrichtet. Äußern Sie sich dazu!

       Antwort: Vielleicht hat Ronald LÖTZSCH mit mir über das Vorgehaltene gesprochen, ich weiß jedoch nichts mehr darüber. Andere Aussagen kann ich hierzu nicht machen.

       Frage: Sind bei Ihnen in der Wohnung Sendungen des Londoner Rundfunks, in denen der Renegat Wolfgang Leonhard sprach, abgehört worden?

       Antwort: Wenn mich Ronald LÖTZSCH besuchte, so hat er ständig nach irgendwelchen ausländischen Sendern gesucht. Da in diesen Sendern Fremdsprachen gesprochen wurden, die ich nicht verstand, weiß ich nicht, welche Sender das im einzelnen waren. (…) 18

      Reiner Kunze war als sozialistischer Idealist angetreten. Er selbst sagt dazu:

       Mit Kindern kann man alles machen. Ich war so ein Kind. Ich habe nie geleugnet, dass ich wirklich indoktriniert war. Ich kam aus einem Elternhaus ohne die geringste politische Bildung, wenn man so will, ohne Bildung überhaupt. Ich hatte keine Bibliothek, durch die ich mich hindurchlesen konnte. Ich wurde gefördert als Arbeiterkind, ein Schuljahr vorversetzt, dass muss man sich vorstellen! Ich komme in die Oberschule und komme in ein – nicht Internat, sondern ein Indoktrinat.

       In dem Augenblick, als mein Verstand mir sagte, was man mit uns gemacht hat, habe ich die Konsequenzen gezogen. Und ich habe den Kopf hingehalten.

      Spätestens 1956 beginnt Reiner Kunze darüber nachzudenken: Will ich überhaupt, was ich vor meinen Studenten öffentlich vertrete? Er beginnt Nein zu sagen. Und er stellt Fragen. Dass er einer Lüge gedient hat, kann er nicht rückgängig machen. Aber er darf sich hoch anrechnen, er hat niemanden denunziert, im Gegenteil, er versucht, soweit ihm möglich, andere zu schützen.

      Am 8. Februar 1959 spricht er auf einer FDJ-Versammlung vor 365 Studenten. Auch der Dekan ist anwesend. Diese Rede markiert die erste Zäsur in seinem Leben. Sie führt zum Ende seiner Universitätslaufbahn.

      Er kann nicht anders, als öffentlich seinen Einspruch gegen die allgemeine Schönfärberei an der Fakultät zu erheben. Zu vieles hat sich angestaut. Er sagt:

       Die Fakultät für Journalistik ist keine Fakultät von Schreibenden. Ich fragte sechs Studenten, die hier für viele andere stehen mögen, weshalb sie nicht ohne Auftrag schreiben und fand folgende Gründe:

      1. Zeit fehlt. Das heißt, die Zeit zum Atmen fehlt!

      2. Stoff fehlt. Stoff, das ist die ganze Welt, auch die, die nicht ins Schema passt!

      3. Schöpferische Disziplin fehlt. Man muß aber die Disziplin besitzen, sich hinzusetzen, um zu beschreiben, was vor einem lebt!

      4. Angst herrscht, sich zu offenbaren. Wer schreibt, schreibt aus sich selbst. Daraus resultieren die Hemmungen.

      5. Angst vor ideologischen Fehlern und den daraus resultierenden Rückschlüssen.19

      Diese Kritikpunkte rütteln an den Grundfesten des sozialistischen Journalismus. Allein Kunzes Forderung, seine Themen selbst zu setzen, die eigene Meinung zu artikulieren, steht diametral zum Auftrag jedes sozialistischen Journalisten. Der lautet: „Die allgemeine Absicht wird bestimmt von der Partei der Arbeiterklasse für den sozialistischen Journalismus, das sozialistische Bewusstsein des Volkes entwickeln zu helfen und Einflüsse der bürgerlichen Ideologie zu bekämpfen.“20 Das ist ihre Sprache. Dagegen wird der Anspruch „Wer schreibt, schreibt aus sich selbst“, zu einer Kampfansage. Zumal an diesem Ausbildungshort des Zentralkomitees.

      Ein Artikel in der Westberliner Zeitung Berliner Morgenpost vom nächsten Tag verschärft den Eklat. Der Bericht beginnt mit der Feststellung: „Der Stil der Zonenzeitungen kommt nicht von ungefähr.“21 Im Mittelpunkt stehen Kunzes Kritik und die vehementen Reaktionen aus dem Lehrkörper darauf. Der Beitrag zieht das Fazit: „Kein Wunder also, dass Reiner Kunze, wissenschaftlicher Assistent und politischer Lyriker, beinahe in Ungnade fiel, weil er sagte, was gar nicht in die Gloriole dieser Fakultät passen wollte.“22 Die Staatssicherheit notiert in einem Persönlichkeitsbild: „K. geriet also spätestens mit diesem Artikel in das Blickfeld des Feindes.“23

      1959 kommt Reiner Kunze an einen Tiefpunkt seines Lebens. Die Partei, in die er einmal mit Stolz eingetreten war, begreift er als dogmatisch und zutiefst ungerecht.

      Auch privat befindet er sich in einer Krise. Nach dem Studium hatte er geheiratet. Ingeborg, die ebenfalls an der Fakultät studierte, und er bekommen einen Sohn, Ludwig. Nach außen scheint die Ehe harmonisch. Dennoch werden sie sich trennen. Ein Journalist schreibt später, es sei aus politischen Gründen geschehen. Dem widerspricht Reiner Kunze. In politischen Auseinandersetzungen habe seine Frau zu ihm gestanden, selbst wenn sie anderer Meinung waren, sie habe ihn verteidigt.

      Als sie im April 1960 vor dem Scheidungsrichter stehen, geben beide an, Ingeborg könne für seine Arbeit als Dichter nicht die erforderliche Akzeptanz aufbringen, deshalb sei ihnen ein Zusammenleben nicht mehr möglich.

       Vor Gericht mussten wir unser Einvernehmen bekunden. Wir haben miteinander abgesprochen, keinem sollte ein Schaden seines Ansehens widerfahren. Deshalb einigten wir uns, uns wegen meines Berufes nicht zu verstehen. Es war die lächerlichste Begründung, die wir geben konnten. Dem Gericht hat sie genügt.

      Die tatsächlichen Gründe sind für Reiner Kunze etwas sehr Persönliches. Vieles habe zu ihrem Auseinandergehen beigetragen. Es sei so nicht mehr gegangen. Sohn Ludwig bleibt das Bindeglied.

      In den Februartagen 1959 ist er psychisch am Ende. Eine Nacht lang läuft er durch Leipzig. Vieles geht ihm durch den Kopf. Auch der Gedanke an Suizid. Der Druck, der auf ihm lastet, schlägt sich aufs Herz. Er erleidet eine Herzattacke. Vom Krankenbett aus bittet er den Dekan der Fakultät um Entlassung als wissenschaftlicher Assistent. Er schreibt, „Unterstellungen, Verdrehungen und Verleumdungen … wird unbesehen Glauben geschenkt“. Versuche der Richtigstellung vor der Parteigruppe „wurden von einigen Genossen verhindert … In dieser Atmosphäre kann ich nicht mehr die hohe Verantwortung tragen, Journalisten auszubilden“. Und er schließt: „Ich bin tief davon überzeugt, daß das, was mir im Augenblick an der Fakultät für Journalistik widerfährt, bitterstes Unrecht ist.“

      Doch noch wird er nicht entlassen. Dafür trifft es andere:

       Drei Studenten, die während meiner mehrwöchigen Erkrankung mit einem Blumenstrauß angetroffen worden waren, den sie mir bringen wollten, wurden deswegen für ein Jahr vom Studium relegiert und zur Bewährung in die Landwirtschaft geschickt.

      Doch er bekommt auch aufmunternde Zeichen, auch von den Kabarettisten der Leipziger Pfeffermühle:

       Lieber Reiner,

       kein Programm ohne Kunze-Text. Das war unsere Losung und wird sie hoffentlich auch bleiben. (…) Trotz Krankheit, Ärger und Verdruß hast Du immer zu uns gehalten. Weiter

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