Reiner Kunze. Dichter sein. Udo Scheer
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… daß der Dekan … auch in der Folgezeit seine Hand schützend über K. gehalten (hat) und damit die ganze Lage komplizierte. Er [Kunze, d. Verf.] ist in seinen Augen ein Wissenschaftler, der außerordentliche Leistungen vollbringe und sich demzufolge auch etwas leisten könne.25
Als Reiner Kunze einigermaßen wiederhergestellt ist, bestellt der Dekan ihn zu sich in die Wohnung:
Die Tür ging auf, und er, sehr beleibt, drängte mich mit dem Bauch hinaus. Möglicherweise wusste er, dass er abgehört wurde. Wir gingen spazieren in der Nähe der Pferderennbahn. Erst mal hat er mich fertiggemacht, so wie ein Vater einen Sohn fertigmacht. Denn ich hatte gekündigt, also aufbegehrt gegen das Kollektiv. Das war ein Unding. Dann sagte er, jetzt machen Sie um Gottes willen nicht noch den Fehler und treten aus der Partei aus. Sie schaden allen, die sich für Sie eingesetzt haben. Sie schaden auch mir. Und es gäbe eine Reihe Leute, auch in Berlin, die sich wiederholt für mich eingesetzt hätten, denen würde ich schweren Schaden zufügen. Das war der Grund, weshalb ich erst 68 ausgetreten bin. Bei diesem Gespräch habe ich zu ahnen begonnen, was ich später in den Stasiakten bestätigt fand: Sein Eintreten für mich hatte ihn ins Visier der Staatssicherheit gebracht.
Erster und kostbarster Literaturpreis
Wieder zurück an der Fakultät folgen weitere Parteiaussprachen. Anfang Juni 1959 finden die Gegner ihre lang gesuchte Gelegenheit. Der Berliner Rundfunk hatte eine Sendung mit Liebesgedichten von Reiner Kunze gebracht.
Darunter sind Gedichte wie „DAS MÄRCHEN VOM FLIEDERMÄDCHEN 1954“. Gebaut wie ein Volkslied erzählt es in sieben Strophen von Liebe, Trennung im Krieg und Tod:
Unterm Mond, unterm Mond,
hei! Da bläht sich der Mantel
von einem, der lebengeblieben,
der lebengeblieben.
Doch fällt da, doch fällt da der Mantel zusammen?
Der Hastende stieß nur, ach
An einen Stein, der liegengeblieben,
der liegengeblieben.
(…)
Als ich siebzehn war,
warst du achtzehn Jahr
und schenktest mir Flieder.
Gingen hin zehn Jahr,
was dazwischen war,
ruht unterm Flieder.
Unter den Steinen kam ich um.
Zehn Jahre machen stumm.
Du schenkst einer anderen Flieder.
Sieh auf die Trümmer rings. Weißt du,
warum ich unter ihnen ruh? –
Wir dachten immer nur an Flieder.26
Dieses intime, tragisch-traurige Lied passt nicht in die verlangte sozialistische Lyrik des „Bau auf, bau auf, Freie Deutsche Jugend bau auf! Für eine bessre Zukunft richten wir die Heimat auf“ oder zu Fürnbergs Agitationssound im Marschrhythmus: „Du hast ja ein Ziel vor den Augen.“
Bislang hatte Reiner Kunze politische Gedichte veröffentlicht, wie man sie von einem Genossen an dieser Fakultät erwartet. Auch er dichtete im Sog des gefeierten Monuments Wladimir Majakowski, der in seinem revolutionären Duktus schmetterte:
(…)
In unserer Zeit
ist nur der
ein Dichter,
ein Mann der Feder
nur der
– der nützt.
Hinweg
mit dieser Sorte
von Torte!
(…)27
Majakowski lässt die Verse tanzen auf der Tribüne des Kommunismus und begeistert Generationen junger Sozialisten. Er wird aufgebaut zur sowjetischen Dichterikone. Doch er hält sich in der Wirklichkeit selbst nicht aus. 1930 begeht er Suizid.
Verfangen in jenem Weltbild, in dem die Feder als schärfste Waffe gilt, dichtet auch Kunze:
AM RANDE BEMERKT
Ich Arbeiterjunge
Nahm Platz.
Am Wirtshaustisch saßen,
Seelisch leidend,
Eine Dame
(Korpulent,
Mit schwarzen Börstchen auf den Lippen),
Schnitzelschneidend
Ein Herr.
Ihm quollen über Kragenklippen
Das Genick und Backenfleisch:
„Ich war früher auch nicht reich,
Das heißt … direkt
War ich es nicht.
(…)
Doch das Proletarische …
Ist nicht unsre Gegenwart.“
– Die Dame kaute. –
(…)
Und sie schaute,
Daß keiner höre,
Als sie fragte,
Ob wohl die Vergangenheit
Nochmals wiederkehre.
(…)
Ach, mir taten diese Menschen leid,
Hatten nicht die Gegenwart,
Nicht die Vergangenheit,
Und auch die Zukunft
War nicht mehr die ihre,
Weil sie lächelnd schon
Am Tische saß.28
Sein Kommentar