Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Der Blick seiner glasigen, silbrig schimmernden Augen war herumfahrend, aber schrecklich, wenn er ihn direkt auf sein Opfer richtete. Seine Stimme klang matt, wie die eines Mannes, der lange Zeit geredet hat. Seine schmalen Lippen waren nicht ohne Anmut; aber seine spitze Nase, seine leicht gewölbte Stirn verrieten einen Fehler der Rasse. Sein Haar endlich, das wie schwarz gefärbt erschien, wies auf ein Bastardgeschöpf hin, das seinen Geist einem liederlichen Grandseigneur und seine niedrige Gesinnung einer verführten Bauernmagd, seine Kenntnisse einer unvollendeten Erziehung und seine Laster seiner Verwahrlosung zu verdanken hatte. Birotteau sah mit großem Erstaunen, daß sein Kommis sehr elegant gekleidet ausging, sehr spät heimkehrte und Bälle bei Bankiers und Notaren besuchte. Diese Gewohnheiten mißfielen Cäsar; nach seiner Meinung mußten die Kommis die Geschäftsbücher studieren und an nichts als an ihr Geschäft denken. Der Parfümhändler ärgerte sich über Kleinigkeiten, hatte an du Tillet auszusetzen, daß er zu feine Wäsche trug, daß er Visitenkarten besaß, auf denen sein Name so gestochen war: »F. du Tillet«, was nach seinem kaufmännischen Rechtsempfinden ausschließlich für die Mitglieder der vornehmen Gesellschaft paßte. Ferdinand war zu diesem Orgon mit den Absichten eines Tartüff gekommen; er machte seiner Frau den Hof, versuchte sie zu verführen und beurteilte seinen Dienstherrn, wie sie selbst es tat, aber mit erschreckender Schnelligkeit. Obwohl diskret, zurückhaltend und nie mehr sagend, als er aussprechen wollte, ließ du Tillet doch seine Anschauungen über die Menschen und das Leben in einer Weise klar werden, daß eine Frau mit Gewissensängsten, die die religiöse Überzeugung ihres Mannes teilte und es als ein Verbrechen ansah, ihrem Nächsten auch nur das geringste Unrecht anzutun, darüber entsetzt sein mußte. Trotz der Gewandtheit, mit der Frau Birotteau ihre wahre Meinung verbarg, ahnte du Tillet doch, welches Gefühl der Verachtung er einflößte. Konstanze, der Ferdinand mehrere Liebesbriefe geschrieben hatte, bemerkte bald eine Veränderung im Wesen ihres Kommis, der sich einen übermütigen Ton ihr gegenüber herausnahm, als ob sie mit ihm im Einverständnis wäre. Ohne ihrem Manne etwas von ihren geheimen Gründen zu sagen, riet sie ihm, Ferdinand zu entlassen. Birotteau war damit einverstanden und es wurde beschlossen, dem Kommis zu kündigen. Drei Tage vor dem Kündigungstermin machte Birotteau den Monatsabschluß der Kasse und stellte fest, daß dreitausend Franken fehlten. Seine Bestürzung war furchtbar, weniger um des Verlustes willen, als weil sein Verdacht sich auf alle, auf drei Kommis, eine Köchin, einen Hausdiener und mehrere angenommene Arbeiter richten mußte. An wen sollte er sich halten? Frau Birotteau ließ das Kontor nie allein. Der Kassierer, ein Neffe Ragons, namens Popinot, ein junger Mann von neunzehn Jahren, der bei ihnen wohnte, war die Ehrlichkeit selbst. Seine Zahlen, die im Widerspruch mit der Summe in der Kasse standen, zeigten ein Defizit an und bewiesen, daß die Unterschlagung nach der Feststellung des Saldos gemacht worden war. Die Eheleute beschlossen, über die Sache Schweigen zu bewahren und die Angestellten zu beobachten. Am nächsten Tage, einem Sonntage, empfingen sie ihre Freunde. Die Familien, die zu diesem Gesellschaftskreise gehörten, bewirteten einander der Reihe nach. Beim Hasardieren nach Tisch legte der Notar Roguin alte Louisdors auf die Tischdecke, die Frau Cäsar wenige Tage vorher von einer Neuvermählten, Frau d’Espard, erhalten hatte.
»Haben Sie eine Armenbüchse bestohlen?« sagte lachend der Parfümhändler.
Roguin erwiderte, daß er das Geld von einem Bankier du Tillets erhalten hätte, was dieser auch, ohne zu erröten, bestätigte. Der Parfümhändler aber wurde dunkelrot. Als die Gäste fort waren und Ferdinand schlafen gehen wollte, nahm ihn Birotteau noch einmal in den Laden mit, weil er mit ihm etwas Geschäftliches zu besprechen hätte.
»Du Tillet,« sagte er, »es fehlen mir dreitausend Franken in der Kasse, und ich kann auf niemanden meinen Verdacht richten; die Sache mit den alten Louisdors spricht aber so sehr gegen Sie, daß ich mit Ihnen darüber reden muß; wir werden deshalb nicht schlafen gehen, bis sich der Irrtum aufgeklärt hat, denn schließlich kann hier doch nur ein Irrtum vorliegen. Sie werden vielleicht einen Vorschuß auf Ihr Gehalt genommen haben.«
Du Tillet erwiderte, er hätte in der Tat die Goldstücke genommen. Der Parfümhändler sah im Hauptbuch nach, aber das Konto seines Kommis war noch nicht belastet.
»Ich war zu beschäftigt, sonst hätte ich von Popinot die Summe eintragen lassen«, sagte Ferdinand.
»Jawohl,« meinte Birotteau, der über den kühlen Gleichmut des Normannen außer Fassung geriet, welcher die guten Leute, zu denen er gekommen war, um ein Vermögen zu erwerben, recht gut kannte.
Der Parfümhändler und sein Kommis verbrachten die Nacht mit Nachforschungen, von denen der ehrenhafte Kaufmann wußte, daß sie überflüssig waren. Im Aufundabgehen steckte Cäsar schließlich drei Banknoten von tausend Franken, indem er sie zwischen die Leisten der Schublade klemmte, in die Kasse, stellte sich darauf sehr müde, tat, als ob er schliefe, und schnarchte. Dann weckte ihn du Tillet triumphierend auf und äußerte die größte Freude, daß sich der Irrtum aufgeklärt habe. Am nächsten Tage schalt Birotteau vor allem mit dem kleinen Popinot und seiner Frau und äußerte sich zornig über ihre Nachlässigkeit. Vierzehn Tage später trat Ferdinand du Tillet bei einem Wechselmakler in Stellung. Das Parfümeriegeschäft sage ihm nicht zu, meinte er, er wolle das Bankfach kennenlernen. Als er Birotteau verließ, äußerte sich du Tillet über Frau Konstanze so, als ob er glauben machen wollte, daß sein Chef ihn aus Eifersucht entlassen habe. Einige Monate später erschien du Tillet wieder bei seinem früheren Prinzipal und verlangte von ihm eine Bürgschaft für zwanzigtausend Franken, um genügend Unterlagen für ein Geschäft geben zu können, das ihm den Weg zur Erlangung eines Vermögens eröffnen sollte. Als er die Überraschung wahrnahm, die sich auf Birotteaus Gesicht bei dieser Unverschämtheit malte, runzelte er die Stirn und fragte ihn, ob er kein Vertrauen zu ihm hätte. Matifat und zwei andere Kaufleute, die mit Birotteau in Geschäften verhandelten, bemerkten seinen Unwillen, obwohl er seinen Zorn in ihrer Gegenwart unterdrückte. Aber vielleicht war du Tillet wieder ein anständiger Mensch geworden, vielleicht war sein Vergehen damals durch eine verzweifelte Geliebte oder durch zu gewagtes Spielen veranlaßt worden; eine öffentliche Ablehnung seitens eines ehrenhaften Mannes könnte einen noch jungen Menschen