Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman. Maria Helleberg

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Der Pflug des Zorns - Ein historischer Roman - Maria Helleberg

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Wangen schon den erwachsenen Mann erahnen können.

      Jofrid ging in die Hocke, teils, weil ein Schwindelgefühl sie erfaßte, teils, weil sie mit dem Jungen auf Augenhöhe sein wollte. Aber das änderte weder etwas an ihrem Unbehagen, noch trug es zur Annäherung zwischen ihnen bei. Er blieb gerade so weit von ihr entfernt stehen, daß es unmöglich war, die Hand nach ihm auszustrecken und ihn zu berühren – und er betrachtete sie mit äußerster Feindseligkeit.

      Lucia knuffte Bengt in den Rücken, um ihn dazu zu bringen, ein Mindestmaß an Höflichkeit zu zeigen und zu seiner Mutter hinzugehen. Nach einer langen, peinlichen Pause tat er, was Lucia wollte: aus freiem Willen, nicht auf Befehl eines Erwachsenen.

      Sie hatte geglaubt, daß sie ihn jetzt umarmen würde, den schmächtigen, unbeholfenen Körper; aber er fegte ihre Hände fort, rot vor Scham, angewidert. Räusperte sich und blickte offen und verloren zu Lucia hinüber, bevor er mit spitzer, eintöniger Stimme einen auswendig gelernten Spruch hersagte.

      Seine Großmutter Cecilia, die jetzt eine der heiligen Schwestern in Stockholm war, hoffte zutiefst, daß sie endlich die Verpflichtungen einer Mutter gegenüber ihren Kindern erfüllen würde und daß sie ihre schweren Sünden und ihre Herzlosigkeit bereute.

      Als er fertig war, ließ er sich auf beide Wangen küssen, biß sich aber auf die Lippen, um nicht zu weinen; stand noch lange da und atmete heftig vor Gereiztheit.

      Bengt konnte sich wenigstens an sie erinnern. Arvid war nur ein paar Monate alt gewesen, als sie getrennt wurden, und der Junge hatte keine Ahnung, wer Jofrid war, wollte sich nicht von ihr anfassen lassen. Lucia warnte sie lachend: Arvid sei ein kleines Wildtier, das schlug, schrie, biß und trat. Sie hatte recht. Arvid heulte, so daß ihm die Tränen in dem kleinen, vergrämten Gesicht nur so aus den Augen rannen – und er schlug seine ihm fremde Mutter, sabberte und winselte und machte sich steif.

      Abends, bei Einbruch der Dunkelheit, ging Jofrid, die keine Ruhe finden konnte, hinüber in die Kirche, um die Schwestern die Vigilie singen zu hören. Jofrid konnte kaum sehen, wohin sie ihre Füße setzte, ging aber dennoch schnell die schmalen, hohen, unebenen Stufen hinunter. Sie krümmte die Zehen um die Außenkante jeder Fliese – in den dünnen, weichen Lederschuhen spürte sie jede noch so unbedeutende Unebenheit mit der Fußsohle.

      Der Chorgesang hatte begonnen, und sie war der einzige Zuhörer in der Laienbrüderkirche – als seien diese beiden Welten ernsthaft und auf ewig getrennt. Die kühle Verschlossenheit, Schutz und Flucht auf der einen Seite, unzugänglich für sie.

      Lange, wogende Klangwellen füllten den Raum, ließen die Luft um sie herum schwingen und schallen, und es war, als ob ihr Körper darauf antwortete. Die klaren Frauenstimmen klangen, als stammten sie aus jungfräulichen, unwissenden Seelen.

      Als sie gehen wollte, fiel ihr Blick auf eines der neuen Bilder über dem Marienaltar: das Herz von langen Schwertern durchbohrt, ein jedes symbolisierte eine Sorge, die Maria von ihrem Sohn zugefügt worden war. Noch vor kurzem wäre ihr das gekünstelt vorgekommen. Aber heute abend verstand sie die Bedeutung, und sie setzte sich auf die Treppe und weinte wie eine alte Frau.

      Ein einziges Mal hatte sie mit ihrer Schwiegermutter über ihre neue Ehe gesprochen. Ingeborg hatte vierzig Jahre auf Algot gewartet. Aber Ingeborg war unglaublich beherrscht und gleichmütig, niemals verbittert. Und dann hatte sie die ältere Frau gefragt, ob sie niemals in all den Jahren, in denen sie mit Måns verheiratet gewesen war, ihr Schicksal verflucht hätte.

      Nur einmal, hatte Ingeborg geantwortet; und sofort hatte sie die Frage bereut, denn eine Art Verwundbarkeit arbeitete sich durch das farblose, ausgezehrte Gesicht. Durchlebter, aber noch immer lebendiger Schmerz.

      Und Ingeborg hatte erzählt: Sie war mit Måns zum Weihnachtsempfang auf einer der königlichen Residenzen gewesen. Es hatte lange und kräftig geschneit, die Nacht war frostklar und still wie der Tod. Sie war nicht zur Mitternachtsmesse in die Kapelle gegangen, stand windgeschützt bei einer der Steintreppen und genoß die Einsamkeit und die Kälte. Vier junge Männer kamen mit Fackeln in den Händen angeritten, unförmig in ihren Pelzen, sie lachten und riefen einander mit hellen Stimmen zu. Dann ritten sie in dem kleinen Innenhof umher, die Tiere schnaubten und dampften, Schaum stand um sie, und die Reiter warfen einander die brennenden Fackeln zu. Nicht ein einziges Mal fiel ihnen eine davon in den Schnee.

      Einer von ihnen ritt dicht an ihr vorbei, mit zwei Fackeln in der rechten Hand, er schrie auf das Pferd ein, um es anzufeuern – sie hatte ihn von der Seite gesehen und für einen Augenblick geglaubt, die Zeit stehe still, oder der Böse habe ihr ein Trugbild gesandt, denn dieser Mann hatte ausgesehen wie ihr Algot, aber Algot war ja ein alter Mann. Erst als sie zu ihrem Bett gewankt war und lange auf vor Gicht schmerzenden Knien gebetet hatte, war ihr der Gedanke gekommen, daß es sein Sohn sein mußte.

      Gunnar ging zu seinem Vater, um sich Klarheit über die Herzensangelegenheit zu verschaffen, auf die er sich eingelassen hatte. Keiner der Betroffenen war volljährig – Erik Månsson sechzehn, Gunhild vierzehn, Gunnar selbst knapp fünfzehn. Aber soweit er verstehen konnte, war sein Vater über seine Wahl entzückt. Gunilla war eine weitaus bessere Partie, als er durch Verhandlungen hätte erreichen können. Sten kannte ihren Vater, wenn auch nicht gerade von der besten Seite: Torsten Ödesson war ein versoffener Bauernschinder. Und der alte Algot holte das Västgöta-Gesetz hervor und erklärte bereitwillig die Regeln für die Auflösung einer Verlobung, die für sie gegolten hätten, wenn sie in diesem Landesteil gewohnt hätten.

      Wünschte eine junge Frau sich nicht an das Wort zu halten, das andere für sie gegeben hatten, dann konnte sie sich an den Bischof des Stiftes wenden und darum bitten, daß die Abmachung durch seine Vermittlung aufgehoben wurde. Aber in diesem Fall müßten sie den Erzbischof in Uppsala aufsuchen, und der hatte, milde ausgedrückt, kein besonders gutes Verhältnis zu Stens Familie, schon gar nicht nach der Mordgeschichte und dem Verbannungsurteil. Der Bischof in Strängnäs befand sich mit Gunillas Vater in einem Güterstreit, er war also ebenfalls nicht zu gebrauchen.

      Aber es zeigte sich eine Art Ausweg. Gunnars Pflegemutter kannte den neuen Bischof in Linköping – zwar hatte der Östgöta-Bischof kein formales Recht, in die Sache einzugreifen, aber er konnte einen Rat geben.

      So kam es, daß sich alle Beteiligten in der großen bischöflichen Residenz in Linköping trafen: Es war das gepflegteste Haus, das Gunnar je gesehen hatte. Man war gerade dabei, die Fenster zu putzen und die weißen Fugen zwischen den roten Steinen freizukratzen, die Herbstsonne schien funkelnd, es war der schönste Tag seit Menschengedenken.

      Er hatte Gunilla als klein, schwach und zart in Erinnerung, ein Schmetterling mit dünnen Flügeln; aber diesmal hinterließ sie einen anderen Eindruck auf ihn: So klein wie sie war, strahlte sie Stärke aus. Schon ihr zähes Schweigen flößte ihm Mut ein. Er hatte noch nie eine derartige verschlossene, innere Ruhe erlebt.

      Sie trug dasselbe milchfarbene Seidenkleid wie zum Fest auf Kalmarhus. Als sie ihm entgegeneilte, mit so schnellen Schritten, daß sich der graue Mantel vorn teilte und sein Blick auf den hellen Stoff fiel, da hatte er gedacht, daß sie bestimmt gerade dieses Kleid angezogen hatte, um ihn an ihr einziges Treffen zu erinnern. Es stand ihr, aber es war viel zu klein, war zu kurz über den Knöcheln und spannte sich an den Hüften, und sie hatte den Saum niedergetreten und versucht, ihn mit langen, ungeschickten Stichen zu heften. In der einen Achselhöhle war der Stoff fast zerschlissen, und sie hatte versucht, die Seide mit einem andersfarbigen Faden zusammenzusticheln.

      Die milchige Farbe ließ Gunhild in dem gnadenlosen Tageslicht noch farbloser und daher um so lieblicher wirken: Er hatte sich nicht geirrt, als er sich in dieses Mädchen verliebt hatte.

      Die Geschäftigkeit in der großen Bischofsresidenz war fast zuviel gewesen. All die lärmenden, gehetzten Menschen,

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