Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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Fall 5 (Rn 47):
Da das Verbot der Spiele in jedem Fall einen Eingriff in die Grundfreiheiten darstellt (zu den Abgrenzungsfragen Rn 65), kam es entscheidend darauf an, inwieweit der EuGH die keineswegs zwangsläufige Einschätzung akzeptiert, dass Laserdrome gegen die Menschenwürde verstoßen. Bereits in den Prostitutionsfällen hat der EuGH darauf hingewiesen, dass es nicht seine Aufgabe sei, „die Beurteilung der Gesetzgeber der Mitgliedstaaten, in denen eine angeblich unsittliche Tätigkeit rechtmäßig ausgeübt wird, durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen“. Auch im Laserdrom-Fall betonte er deswegen den Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten und die auch für das Unionsrecht selbstverständliche Heranziehung der Menschenwürde als Rechtfertigungsgrund. Es wird allerdings nicht klar, ob hier auf unionale oder nationale Maßstäbe abgestellt wird[148]. Letzteres dürfte der Fall sein, da der EuGH zwar darauf verweist, dass (auch) das Unionsrecht die Menschenwürde schütze, aber gerade nicht prüft, ob in solchen Spielen nach unionsrechtlichen Maßstäben auch tatsächlich ein Menschenwürdeverstoß zu sehen ist. Nachdem auch die deutsche Rechtsprechung in anderem Kontext den Menschenwürdeverstoß verneint, könnte man freilich auch unionsrechtlich die Frage einer Kohärenz der deutschen Maßstäbe aufwerfen[149].
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Andererseits sind die Anforderungen des EuGH an Transparenz und Folgerichtigkeit der mitgliedstaatlichen Regelungen insbesondere dort sehr hoch, wo er solche Spielräume zunächst anerkennt (zu den Parallelen in der Judikatur des BVerfG Rn 121). Der EuGH prüft die Argumentation der Mitgliedstaaten auf Kohärenz und Stichhaltigkeit[150].
So musste sich die Bundesregierung, die vor dem EuGH auf die vermeintlichen Gesundheitsgefahren von Sojawurst hingewiesen hatte, ihren eigenen Ernährungsbericht entgegenhalten lassen, der eine zu fettreiche Ernährung beklagte[151]. Am deutlichsten zeigte sich der Zusammenhang zwischen Anerkennung von Spielräumen und Kohärenzgebot im Glücksspielrecht. Im Grundsatz haben die Mitgliedstaaten zwar einen erheblichen Einschätzungsspielraum, auf welche Weise sie die Spielsucht und die sonstigen vom Glücksspiel ausgehenden Gefahren eindämmen wollen; insbesondere können sie diese gänzlich verbieten[152]. Sofern allerdings Glücksspiele teilweise erlaubt werden, untersucht der EuGH sehr genau die Motive des Gesetzgebers und die Kohärenz ihrer Umsetzung: Die Beschränkung muss die Verwirklichung des verfolgten Zieles gewährleisten, dh sie muss auch tatsächlich zur Begrenzung der Wetttätigkeit beitragen[153]. Damit gelangte der EuGH im Ergebnis regelmäßig zur Unionsrechtswidrigkeit staatlicher Monopole, die das Ziel einer Bekämpfung des Glücksspiels nicht konsequent verfolgten[154]. Zuletzt beschäftigte er sich vor allem mit der Kohärenz im Bereich des Online-Glückspiels[155]. Grundsätzlich nimmt der EuGH die gesamte nationale Rechtsordnung in den Blick, lässt aber unterschiedliche Regelungen im Bundesstaat zu[156] (s. zum Spielrecht unten Rn 169). Einen aktuellen Anwendungsfall fand der Kohärenzgedanke im Zusammenhang mit den Architektenhonoraren; ein entscheidendes Argument gegen die Unionsrechtskonformität der entsprechenden Honorarordnung sah der EuGH darin, dass auch Berufsfremde entsprechende Leistungen erbringen dürfen, ohne an die HOAI gebunden zu sein[157]. Der Grad der Substantiierungspflicht hängt dabei von der Intensität des Eingriffes ab[158].
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Von der Frage nationaler Beurteilungsspielräume zu unterscheiden sind die Anforderungen an die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen. Die Frage, inwieweit eine Maßnahme ausländische Angebote diskriminiert, überlässt der EuGH in tatsächlicher Hinsicht der Überprüfung der mitgliedstaatlichen Gerichte[159]. Allerdings dürfen diese sich nicht auf bloße Vermutungen oder Behauptungen stützen[160], sondern müssen wissenschaftliche Erkenntnisse und anerkannte Standards zugrunde legen. So prüfte er auch im Glückspielrecht die Wertentscheidungen des Gesetzgebers an den tatsächlichen Verhältnissen[161]. In jüngeren Entscheidungen hat der EuGH allerdings die Anforderungen an die Darlegungslast des Gesetzgebers konkretisiert und verschärft[162].
3. Die Niederlassungsfreiheit
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Die stärkste Integration in einen Mitgliedstaat erfolgt auf der Grundlage der Niederlassungsfreiheit des Art. 49 AEUV. Ihr Schutzbereich erfasst die dauerhafte Eingliederung in das Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedslandes durch die Aufnahme und Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit. Unter Erwerbstätigkeit versteht man hier das gesamte Spektrum wirtschaftlicher Tätigkeiten. Dies sind alle, die dem deutschen Gewerbebegriff (einschließlich des Handwerks) unterfallen, aber auch Urproduktion und freie Berufe. Ausgenommen werden nur die schlechthin strafbaren Tätigkeiten. Sowohl die Ausübung der Prostitution wie die immerhin teilweise gestattungsfähige Durchführung von Wettveranstaltungen ist daher als vom Schutz der Niederlassungsfreiheit umfasste Erwerbstätigkeit zu qualifizieren (s. schon zum allgemeineren Begriff der Teilnahme am Wirtschaftsleben oben Rn 52). Das Merkmal der Selbstständigkeit dient der Abgrenzung von der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 ff AEUV), die im öffentlichen Wirtschaftsrecht nicht relevant wird. Das entscheidende Kriterium ist die Dauerhaftigkeit dieser Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates. Dieses Merkmal übernimmt also die Abgrenzung von der Dienstleistungsfreiheit des Art. 57 AEUV. Da Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit grundsätzlich schwieriger zu rechtfertigen sind, fasst der EuGH Grenzfälle unter die Dienstleistungsfreiheit. Ebenfalls unter die Dienstleistungsfreiheit fallen Online-Angebote eines im Ausland ansässigen Unternehmens (dazu Rn 80).
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Die Dauerhaftigkeit manifestiert sich in einer Niederlassung. Der Begriff der Niederlassung ist „ein sehr weiter Begriff, der die Möglichkeit für einen Unionsangehörigen impliziert, in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates als seines Herkunftsmitgliedstaates teilzunehmen und daraus Nutzen zu ziehen, wodurch die wirtschaftliche und soziale Verflechtung innerhalb der Europäischen Union im Bereich der selbstständigen Tätigkeiten gefördert wird“[163]. Hierbei kommt es auf eine Gesamtschau der in einem konkreten Fall relevanten Aspekte an. Dauerhaftigkeit ist gegeben, wenn ohne zeitliche Beschränkung eine Niederlassung gegründet wird[164]. Nach der Rechtsprechung genügt es, wenn einzelne kurzfristige Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat regelmäßig ausgeübt werden und so zu einem Teil einer tatsächlich dauerhaften bzw schwerpunktmäßig auf dieses Land ausgerichteten Geschäftstätigkeit werden. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn es mittels einer festen Einrichtung im Bestimmungsstaat geschieht[165]. Dass es dem EuGH gleichwohl weniger um die Infrastruktur als die Frage der dauerhaften Integration geht, zeigt sich daran, dass auch die Ausübung des Reisegewerbes unter die Niederlassungsfreiheit fallen kann, wenn sich der gesamte oder überwiegende Kundenstamm in einem Mitgliedstaat befindet, so dass die Tätigkeit ganz oder vorwiegend auf das Gebiet eines Mitgliedstaates ausgerichtet ist[166].
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Während es in Fall 3a (Rn 45) eindeutig an einer Niederlassung fehlt, erweist sich die Bestimmung der Niederlassung in Fall 3b (Rn 45) als problematisch, weil U seine Leistungen in Deutschland regelmäßig von den gleichen, angemieteten Räumlichkeiten aus anbietet[167]. Darin könnte