Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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a) | Auf welche Weise könnte S eine gerichtliche Überprüfung der Verordnung erreichen? |
b) | Würde sich an der gerichtlichen Kontrollbefugnis etwas ändern, wenn sich die Regelung in einem delegierten Rechtsakt der Kommission fände? |
a) Sekundärrecht
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Nach Art. 288 AEUV erlassen die Gemeinschaftsorgane Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen. Das Sekundärrecht „verdrängt“ in der Rechtspraxis zunehmend das primäre Unionsrecht. Verordnungen gelten gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV allgemein und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat und sind insoweit die „Gesetze“ der EU[214]. Es bedarf daher keines Durchführungsaktes, wenn sich nicht aus der VO selbst die Erforderlichkeit eines weiteren Aktes, insbes einer Maßnahme gegenüber dem Einzelnen (VA, Realakt, etc), ergibt[215]. Sie begründen gegebenenfalls Rechte und Pflichten des Einzelnen, auf die er sich vor den nationalen Gerichten unmittelbar berufen kann. Aus der unmittelbaren Geltung leitet der EuGH eine Anwendungssperre für entgegenstehendes nationales Recht ab[216]. Inzident haben die nationalen Gerichte also auch die Möglichkeit einer Überprüfung der Verordnung. Sowohl die Auslegung des Sekundärrechts als auch die Prüfung der Vereinbarkeit mit dem Primärrecht ist dann in einem Vorabentscheidungsverfahren zu klären (zum Ausschluss der Nichtigkeitsklage vgl Rn 92). Sie werden grundsätzlich von Parlament und Rat erlassen, im „ordentlichen Gesetzgebungsverfahren“ gemeinsam von Parlament und Rat, vgl Art. 289 Abs. 1 S. 1 AEUV[217].
b) Tertiärrecht
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Daneben kennt das Unionsrecht, vergleichbar der Rechtsverordnung nach Art. 80 GG, die „exekutive Rechtssetzung“ durch die Kommission. Diese kann delegierte Rechtsakte nach Art. 290 AEUV und Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 Abs. 2 AEUV iVm VO 182/2011 erlassen. Diese Befugnis wird ihr in seltenen Fällen im Primärrecht eingeräumt (vgl Art. 106 Abs. 3 AEUV), vor allem aber in Richtlinien und Verordnungen, weswegen man bei der Rechtssetzung durch die Kommission von Tertiärrecht spricht. Delegierte Rechtsakte nach Art. 290 AEUV können zur Ergänzung oder Änderung bestimmter, nicht wesentlicher[218] Vorschriften des Sekundärrechts erlassen werden, Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 AEUV beziehen sich auf die Durchführung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten[219]. Auf ausdrücklicher Grundlage im Sekundärrecht können auch Regulierungsagenturen (zu diesen und ihren Kompetenzen allgemein Rn 191 ff) rechtssetzend tätig werden[220]. Zunehmend wird die Ausarbeitung der Durchführungsrechtsakte auf Regulierungsagenturen übertragen (dazu Rn 38, 500 f). Diese werden anschließend von der Kommission verabschiedet, können aber grundsätzlich nicht geändert werden[221]. Dies wird teilweise als rechtswidrige Beschränkung der Kommissionskompetenzen angesehen[222].
c) Individualrechtsschutz gegen Verordnungen
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Neben dem Inzidentrechtsschutz, der beim mitgliedstaatlichen Vollzug des Unionsrechts den nationalen Verwaltungsgerichten obliegt, kommt auch prinzipaler Rechtsschutz in Form der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV vor dem EuG[223] in Betracht. Tauglicher Klagegegenstand sind zunächst alle verbindlichen Rechtsakte der Gemeinschaft, also auch Verordnungen. Zulässig ist die Klage, wenn die Klagebefugnis[224] gegeben ist und der Kläger einen Anfechtungsgrund geltend macht. Ein solcher ist ohne weiteres gegeben, wenn ein Verstoß gegen den AEUV oder allgemeine Rechtsgrundsätze gerügt wird[225]. Die Klagebefugnis eines nichtprivilegierten Klägers ist in Art. 263 Abs. 4 AEUV geregelt. Dabei unterscheidet der AEUV nunmehr zwischen drei Alternativen. Während beim Adressaten einer VO nach der 1. Alt. in jedem Fall die Klagebefugnis gegeben ist, kann sich der Kläger nach der 3. Alt. nur gegen solche „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ zur Wehr setzen, die ihn „unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen“. In allen anderen Fällen muss er zusätzlich die individuelle Betroffenheit geltend machen. Nach der in ständiger Rechtsprechung vom EuGH zu Art. 230 Abs. 4 EGV entwickelten und auf Art. 263 Abs. 4 2. Alt. AEUV übertragenen[226] „Plaumann-Formel“ ist eine natürliche oder juristische Person nur dann von einer Maßnahme individuell betroffen, wenn diese sie „wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten“[227].
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Damit käme auch in Fall 7a/b (Rn 89)[228] eine Nichtigkeitsklage in Betracht. Unmittelbar betroffen ist der Kläger nach der Rechtsprechung des EuGH dann, wenn die VO selbst und nicht erst eine in ihrer Folge hinzutretende Durchführungsmaßnahme in seinen Interessenkreis eingreift[229]. Dies ist zwar nicht hinsichtlich der Eintragung, wohl aber hinsichtlich des mit der Eintragung verbundenen Schutzes, der unmittelbar auf der VO beruht, der Fall. Es kommt daher entscheidend darauf an, ob S eine individuelle Betroffenheit geltend machen muss. Dies wäre dann zu verneinen, wenn es sich um einen „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ im Sinne der 3. Alt. handeln würde. Allerdings wird im Vertragstext selbst dieser wenig glückliche Begriff nicht erläutert[230]. Der Wortlaut jedenfalls spräche dafür, da es wenig sinnvoll erscheint, von Verordnungen ohne Verordnungscharakter zu sprechen. Allerdings würden dann alle Verordnungen im Sinne des Art. 288 AEUV unter Art. 263 Abs. 4 3. Alt. AEUV fallen und S müsste eine individuelle Betroffenheit nicht nachweisen. Eine solch umfassende Erweiterung sollte mit der Änderung des Wortlauts wohl nicht bezweckt werden[231]. Auch wenn dies vor allem während der Vorbereitung des Verfassungsvertrages gefordert worden war, hatte sich diese Auffassung nicht durchsetzen können. Das wirklich mit der Formulierung Gemeinte erschließt sich daher nur aus einem Vergleich mit dem Verfassungsvertrag. Nach diesem wurden Verordnungen des Rates und Richtlinien in „Gesetze“ bzw „Rahmengesetze“ umbenannt[232]. Von Verordnungen wurde nur noch bei solchen Rechtsakten gesprochen, die nicht in einem Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sind[233]. Wenn also im Kontext der Klagebefugnis von „Verordnungscharakter“ die Rede war, nahm dies die zu „Gesetzen“ aufgewerteten Formen aus, hielt also insoweit an der strengeren (bisherigen) Fassung der Klagebefugnis fest. Bei der Formulierung des Lissabon-Vertrags wurde diese Frage nicht mehr aufgegriffen. Die Verwirrung ist darauf zurückzuführen, dass der Begriff des Gesetzes gestrichen und beide Varianten weiterhin als Verordnungen bezeichnet wurden. Beibehalten wurde allerdings der Begriff des Gesetzgebungsaktes. Er betrifft nach Art. 289 Abs. 3 AEUV solche Rechtsakte, die entweder im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (gemeinsamer Erlass durch Rat und Parlament, Art. 289 Abs. 1 AEUV) oder dem besonderen Gesetzgebungsverfahren (unter bloßer Beteiligung des Parlaments, Art. 289 Abs. 2 AEUV) erlassen worden sind. Damit handelt es sich nur dann um Rechtsakte „mit Verordnungscharakter“ im Sinne der 3. Alternative des Art. 263 Abs. 4 AEUV, wenn diese außerhalb dieser Gesetzgebungsverfahren erlassen werden[234]. Dies gilt insbes für delegierte Rechtsakte, die nach Art. 290 Abs. 1 AEUV ausdrücklich solche „ohne Gesetzescharakter“ sind, sowie Durchführungsrechtsakte nach Art. 291 Abs. 2 AEUV. Da es sich im vorliegenden Fall um eine VO handelt, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurde, ist Art. 263 Abs. 4 3. Alt. hier