Öffentliches Wirtschaftsrecht. Stefan Storr
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Klassische Beispiele für die Kollision von Dienstleistungsfreiheit und nationalen Erlaubnispflichten lieferte wieder das Handwerksrecht, vgl Fall 3 (Rn 45)[182]: Die Erlaubnispflichten sichern die Qualität von Handwerksleistungen und liegen damit im Allgemeininteresse; es ist jedoch unverhältnismäßig, sie auf die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung zu erstrecken. Der EuGH hielt schon die bloße Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle, die die Erbringung von Dienstleistungen im Aufnahmemitgliedstaat verzögert, erschwert oder (durch Verwaltungskosten und Beiträge für die Handwerkskammer) verteuert, für unverhältnismäßig. Dem trägt das geltende Recht Rechnung: § 9 Abs. 2 HwO nimmt die vorübergehende Erbringung von Handwerksleistungen von der Eintragungspflicht aus (s. unten Rn 478). Entsprechendes gilt für die allgemeinen gewerberechtlichen Anforderungen, die nach § 4 GewO in den Fällen grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung nicht eingreifen (siehe Rn 238 ff). Die Dienstleistungsfreiheit selbst wird unmittelbar nur noch außerhalb der RL relevant, insbesondere bei solchen Genehmigungserfordernissen, die von § 4 GewO und der DienstleistungsRL nicht erfasst werden. Sie ist auch bei Online-Dienstleistungen einschlägig. In Fall 4 (Rn 46)[183] werden die nicht von speziellen Richtlinien geregelten Online-Angebote erfasst; allerdings werden Verkehrsdienstleistungen iSv Art. 58 Abs. 1 AEUV vom Anwendungsbereich des Art. 56 AEUV ausgenommen. Die vermittelte Beförderungsleistung in Fall 4a (Rn 46) ist eindeutig eine Verkehrsdienstleistung, aber der EuGH qualifizierte die Vermittlung über die App als einen integralen Bestandteil, weil Uber entscheidenden Einfluss auf seine Fahrer, die Preise, Beförderungsbedingungen und die Bezahlung nimmt. An dieser Einschätzung würde sich auch dann nichts ändern, wenn es sich um gewerbliche Fahrer handelt, solange sich ein Anbieter nicht auf die reine Vermittlungstätigkeit beschränkt. Der EuGH stellt hier, genauso wie bei der Abgrenzung der Grundfreiheiten (dazu Rn 65), eine Schwerpunktbetrachtung an[184]. Im Ergebnis stellt er so diesen gesamten Bereich verkehrsbezogener Dienstleistungen von der Anwendung der Grundfreiheiten frei. Anders wäre zu entscheiden, wenn die online-basierte Tätigkeit sich auf eine echte Vermittlung beschränkt, wie es bei verschiedenen „Taxi-Apps“ und vor allem auch bei der Online-Vermittlung von Wohnraum der Fall ist, vgl dazu später Fall 32 (Rn 396).
5. Die Warenverkehrsfreiheit
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Die Warenverkehrsfreiheit umfasst das Verbot mengenmäßiger Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung nach Art. 34 ff AEUV. Waren sind bewegliche Sachen mit Geldwert, welche Gegenstand von Handelsgeschäften sein können[185]. Diese zentrale Grundfreiheit, anhand derer die „allgemeinen Lehren der Grundfreiheiten“ entwickelt wurden (s. Rn 49 ff), spielt im öffentlichen Wirtschaftsrecht eine eher untergeordnete Rolle. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der EuGH solche Maßnahmen, die sowohl den freien Dienstleistungsverkehr als auch den Warenverkehr beeinträchtigen, grundsätzlich nur an der Dienstleistungsfreiheit misst, wenn die Warenverkehrsfreiheit demgegenüber zweitrangig ist (s. bereits Rn 65 f). Soweit der Absatz bestimmter Waren betroffen ist, stellt der EuGH auf die Warenverkehrsfreiheit ab, beispielsweise bei staatlichen Werbe- und Aufklärungskampagnen mit Warenbezug[186] (s. auch zu Wettbewerbsbeschränkungen für Süßwaren ▸ Klausurenkurs Fall Nr 1) sowie bei Maßnahmen zur Bekämpfung des Alkohol- und Tabakkonsums[187], aber auch den Handel mit Arzneimitteln[188]. Angesichts der Weite der Dassonville-Formel (dazu Rn 58 f) ist die Eingriffsqualität in diesen Konstellationen unproblematisch zu bejahen.
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Gerade die Vorschriften des öffentlichen Wirtschaftsrechts sind typischerweise gewerbebezogen und könnten unter die Keck-Ausnahme fallen (zu dieser schon Rn 60). Dies ist für das Ladenschlussrecht[189] sowie Verkaufsbeschränkungen zB für alkoholische Getränke[190] bzw Verkaufsmonopole für Apotheken[191] ausdrücklich anerkannt, dürfte aber auch allgemein für gewerberechtliche Verkaufsbeschränkungen zB im Reisegewerbe gelten. Allerdings setzt die Anwendung der Keck-Rechtsprechung voraus, dass es sich um nicht diskriminierende Vorschriften handelt.
Ob sich eine Maßnahme tatsächlich auf grenzüberschreitende Sachverhalte stärker auswirkt, haben die mitgliedstaatlichen Gerichte zu ermitteln[192]. Den diskriminierenden Charakter bejahte eine Entscheidung zum österreichischen Gewerberecht, die das Feilbieten von Waren im Umherziehen außerhalb einer ortsfesten Betriebsstätte begrenzte[193]. Während die österreichischen Gerichte darin eine Verkaufsmodalität im Sinne der Keck-Rechtsprechung sahen, qualifizierte sie der EuGH als verschleierte Beschränkung. Ausländische Gewerbetreibende seien nämlich gezwungen, in Österreich eine ortsfeste Betriebsstätte zu errichten, um dort Waren feilbieten zu können. Entsprechendes galt für Anforderungen des griechischen Gewerberechts zur Ausgestaltung von Bäckereien, die die Behörden auch auf das Aufbacken im Supermarkt erstreckten[194]. Entsprechend sieht der EuGH in Beschränkungen des Onlinehandels generell eine Maßnahme, die ausländische Anbieter stärker betrifft (s. schon zur Dienstleistungsfreiheit Rn 77 ff). Die Anwendung der Keck-Grundsätze wird deswegen als inkonsequent kritisiert[195]; die meisten Fälle, auch der Warenabsatz, werden aber von der Dienstleistungsrichtlinie erfasst (s. zu den Konsequenzen am Beispiel des Gewerberechts Rn 238 ff). Diese wird auf Inlandssachverhalte erstreckt, so dass die Keck-Ausnahmen nicht mehr relevant werden können.
6. Die Kapitalverkehrsfreiheit
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Die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 AEUV ist die jüngste, erst 1993 mit dem Maastricht-Vertrag in das Primärrecht aufgenommene Grundfreiheit[196]. Ihre wachsende Bedeutung zeigte sich in der sprunghaft angestiegenen Zahl von Entscheidungen, sie betraf aber nur eher punktuell das öffentliche Wirtschaftsrecht[197]. In persönlicher Hinsicht kommt es nicht auf die Staatsangehörigkeit und nach hM nicht einmal auf die Gebietsansässigkeit an[198], so dass sich auch die Angehörigen der Drittstaaten insoweit auf die Kapitalverkehrsfreiheit berufen können.
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Da der AEU-Vertrag keine Definition der Begriffe des Kapital- und Zahlungsverkehrs und damit des Schutzbereiches