Sprachenlernen und Kognition. Jörg-Matthias Roche
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Der Großteil der Forschung bis heute hat gezeigt, dass fortgeschrittene L2-Lerner in der Lage sind, semantische Aspekte in ihrer Zweitsprache zu verarbeiten (wie in N400-Effekten (verspätet) abgebildet). Es scheint allerdings insbesondere für ältere Lerner schwierig zu sein, syntaktische Eigenschaften in der L2 ähnlich wie in der Muttersprache zu verarbeiten. Einige Studien zeigen keine P600-Effekte als Reaktion auf syntaktische Verstöße in der L2, was darauf hindeuten könnte, dass die L2-Lerner den Fehler nicht bewusst bemerkt und verarbeitet haben. Andere wiederum zeigen eine verzögerte oder abgeschwächte P600-Reaktion bei L2-Sprechern: Das ist ein Hinweis auf eine weniger detailgenaue Verarbeitung der syntaktischen Verstöße in der L2 (vergleiche die Übersicht von van Hell & Tokowicz 2010).
Das Vorhandensein oder das Fehlen von P600-Effekten könnte in Verbindung mit Ähnlichkeiten zwischen der L1 und der L2 stehen, aber auch mit der Kompetenzstufe (Loerts 2012). Eine interessante Longitudinalstudie zu ereigniskorrelierten Hirnpotentialen untersuchte die Gehirnaktivierung als Reaktion auf syntaktische Strukturen der L2, während die Lerner im Verlauf des ersten Jahres formalen Unterrichts an der Universität in der L2 Französisch Fortschritte erzielten (McLaughlin, Tanner, Pitkänen, Frenck-Mestre, Inoue, Valentine & Osterhout 2010). Aufgrund der Daten konnte man darauf schließen, dass die Lerner zu Beginn grammatikalische Fehler als lexikalische Einheiten verarbeiten. Dabei zeigten sich N400-Effekte als Reaktion auf einen Regelverstoß nach vier Wochen Unterricht in der L2 Französisch. Während der zweiten Testphase und nach ungefähr 16 Wochen Unterricht traten bei einigen immer noch N400-Effekte auf, wohingegen bei anderen eine verzögerte Reaktion auf Regelverstöße ähnlich wie in der Muttersprache zu beobachten war (erkennbar in Form von kleinen P600-Effekten). Während der dritten Phase und nach 26 Wochen Unterricht war bei den meisten Studentinnen und Studenten verlässlich eintretende P600-Effekte nachweisbar, die auf muttersprachenähnliche Verarbeitung, Korrektur oder Neuanalyse syntaktischer Verstöße hindeuten. Die Autoren vermuteten, dass die Abweichungen in der zweiten Phase auf Unterschiede in der Erwerbsgeschwindigkeit hindeuten.
Wo-Verfahren, die hämodynamische Aktivität verwenden
Da Elektroenzephalographen und Magnetenzephalographen nicht sehr nützlich für die Lokalisierung von Aktivität sind, können Wo-Verfahren verwendet werden, um Fragen hinsichtlich der Aktivierung spezifischer Regionen im Gehirn zu beantworten. Das bekannteste Wo-Verfahren ist die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRI). Diese Methode verwendet die MRI-Technologie, bezieht aber die Tatsache mit ein, dass Blut in einen bestimmten Teil des Gehirns fließt, wenn Gruppen von Neuronen in diesem Bereich aktiv werden (zum Beispiel wenn dieser Teil genutzt wird, um auf einen speziellen Stimulus wie ein Geräusch, ein Bild oder einen Film zu reagieren). In unserem Blut befindet sich Eisen und wenn frisches Blut fließt, dann verzerrt das Eisen das magnetische Feld. Ein fMRI-Scanner kann dies aufzeichnen. Genauer gesagt findet eine Veränderung im Blutfluss statt, wenn Neuronen in einem bestimmten Gebiet des Gehirns kommunizieren. Dabei wird Sauerstoff absorbiert und das Blut desoxidiert. In Studien mit funktioneller Magnetresonanztomographie wird das Verhältnis zwischen oxidiertem (mit Sauerstoff angereicherten) und desoxidiertem Hämoglobin im Blut gemessen. Dieser BOLD-Kontrast, der blood oxygenation level dependent (›Abhängigkeit vom Blutsauerstoffgehalt‹) wird mit dem fMRI-Gerät gemessen. Während ein strukturelles MRI aus mehreren Momentaufnahmen besteht, wird ein fMRI verwendet, um einen Film davon zu produzieren, was im Gehirn während der Verarbeitung von (linguistischen) Stimuli passiert.
Eine weitere Technik zur Untersuchung, welche Regionen während der Verarbeitung spezieller Stimuli aktiv sind, ist die Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Im Gegensatz zur funktionellen Magnetresonanztomographie setzt die Positronen-Emissions-Tomographie die Injektion einer kleinen Menge Flüssigkeit mit einem radioaktiven Element in den Blutkreislauf voraus. Diese injizierte Substanz sammelt sich in den Gehirnregionen an, die abhängig von der in sie einfließenden Blutmenge sind. Dies wird wiederum von der Kamera aufgezeichnet. Leider dauert es ungefähr eine Minute, um den Anstieg des so genannten regionalen zerebralen Blutflusses (rCBF) zu messen. Während die räumliche Auflösung von funktioneller Magnetresonanztomographie und Positronen-Emissions-Tomographie relativ gut ist, ist die zeitliche Auflösung deutlich schlechter als bei der Elektroenzephalographie oder der Magnetenzephalographie. Außerdem ist sie aufgrund der invasiven Elemente umstritten.
Die funktionelle Magnetresonanztomographie und die Positronen-Emissions-Tomographie können insbesondere Fragen in Bezug auf Mehrsprachigkeit beantworten, beispielsweise ob die Sprachen einer multilingualen Person in denselben oder in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns repräsentiert sind. Wenn dieselben Bereiche im Gehirn aktiv sind, kann das auf die Aktivität derselben Mechanismen zurückgeführt werden. Wenn unterschiedliche Teile des Gehirns aktiv sind, kann das die Aktivierung unterschiedlicher Mechanismen wiederspiegeln.
Um solche Fragen zu untersuchen, vergleichen fMRI- und PET-Studien üblicherweise hämodynamische Reaktionen unter Versuchsbedingungen, die Kontrollbedingungen beinhalten. Die zwei Bedingungen werden so ausgewählt und konzipiert, dass sie bis auf einen kritischen Aspekt sehr ähnliche kognitive Prozesse erfordern. Es könnten zum Beispiel Probanden und Probandinnen gebeten werden, lautlos Bilder zu benennen, woraufhin die aktiven Regionen mit der Gehirnaktivität während einer Ruhephase verglichen werden können. Das fMRI-Signal würde alle fünf Sekunden aufgezeichnet, während die Probanden und Probandinnen 30 Sekunden lang Bilder benennen und danach 30 Sekunden pausieren. Die Regionen, die aufgrund des Blutflusses nur während jener 30 Sekunden aufleuchten, in denen die Personen Bilder benennen (und nicht während der Ruhephasen), könnten die Areale sein, die für das visuelle Erfassen von Bildern, das Abrufen der entsprechenden Bezeichnung aus dem Lexikon und das nachfolgende lautlose Benennen der Bilder auf Basis der korrekten Bezeichnungen verantwortlich sind.
Die meisten Forscherinnen und Forscher würden sich bei der Lokalisierung der Regionen für die funktionelle Magnetresonanztomographie entscheiden, weil die Methode nicht invasiv ist und nicht voraussetzt, dass den Versuchsteilnehmern und Versuchsteilnehmerinnen eine radioaktive Substanz gespritzt wird. Außerdem ist sowohl die räumliche als auch zeitliche Auflösung von fMRI-Scans (einige wenige Sekunden) besser als die räumliche Auflösung von PET-Scans. Wenn man allerdings den zeitlichen Verlauf der Verarbeitung der (Zweit)Sprache untersuchen möchte, eignet sich dafür ein Elektroenzephalograph oder Magnetenzephalograph besser, da diese über eine zeitliche Auflösung im Millisekunden-Bereich verfügen.
Wie wir bereits in der Einheit 1.2 erläutert haben, weisen die meisten funktionellen Neuroimaging-Studien bis heute darauf hin, dass die unterschiedlichen Sprachen bei einer mehrsprachigen Person nicht in verschiedenen Regionen des Gehirns verortet sind, sondern dass die Aktivierungsmuster einander überlappen (vergleiche zum Beispiel Vingerhoets, Van Borsel, Tesink, Van den Noort, Deblaere, Seurinck, Vandemaele & Achten 2003). In den meisten Studien wird vermutet, dass das Aktivierungsmuster bei der Verarbeitung der weniger gut beherrschten oder später erlernten Sprache diffuser ist als bei der Muttersprache. In Studien zur Kontrolle der L2-Kompetenzstufe ist es nicht gelungen, Unterschiede aufzuzeigen, die die Aktivierungsmuster beider Sprachen von frühen und späten Zweitsprachenlernern bei semantischen Aufgaben, wie beispielsweise das Anhören von Geschichten (vergleiche Perani, Paulesu, Galles, Dupoux, Dehaene, Bettinardi, Cappa, Ferruccio & Mehler 1998), betreffen. Im Gegensatz dazu scheint das Alter des Spracherwerbs sogar bei L2-Lernern mit hoher Kompetenzstufe Einfluss auf die grammatische Verarbeitung zu nehmen (Wartenburger, Heekeren, Abutalebi, Cappa, Villringer & Perani 2003).
Deshalb wird davon ausgegangen, dass das Alter des Spracherwerbs die grammatikalischen Repräsentationen beeinflusst. Die Kompetenzstufe in der L2 ist demnach ein aussagekräftigerer Bestimmungsfaktor für die Organisierung