Sprachenlernen und Kognition. Jörg-Matthias Roche
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Sprachenlernen und Kognition - Jörg-Matthias Roche страница 16
Verfahren zur Stimulation des Gehirns
Einige mehr oder weniger invasive bildgebende Verfahren werden ebenfalls manchmal verwendet. Eines davon ist die elektrische Stimulation des Gehirns (EBS). Sie wird üblicherweise in Vorbereitung auf die Entfernung eines Gehirntumors angewandt oder um zu prüfen, welche Teile des Gehirns mit verschiedenen kognitiven Fähigkeiten in Verbindung gebracht werden können. Einige Studien, in denen die elektrische Stimulation des Gehirns verwendet wird, unterstützen die oben erwähnten Erkenntnisse nicht, dass Bereiche des Gehirns für unterschiedliche Sprachen einander überlappen. Die Prozedur bei Verfahren, die die elektrische Stimulation des Gehirns nutzen, sieht ungefähr so aus: Zuerst werden die für Sprache verantwortlichen Bereiche mittels bildgebende Verfahren aufgespürt. Danach wird die Schädeldecke entfernt und Elektroden werden auf Teilen des Cortexes platziert, woraufhin kleine Mikrovolt-Stromstöße zur Stimulation des Gehirns ausgelöst werden. Der Patient beziehungsweise die Patientin befindet sich während dieser Phase im Wachzustand (im Gehirn befinden sich keine Schmerzrezeptoren) und muss verschiedene Aufgaben erfüllen. Dazu gehören auch Aufgaben zur Sprachverarbeitung. Wenn die Sprachverarbeitung unterbrochen wird, während ein bestimmter Bereich im Gehirn stimuliert wird, geht man davon aus, dass dieser Teil des Gehirns eine zentrale Rolle für die Sprachverarbeitung einnimmt und deshalb nicht ohne Schaden entfernt werden kann.
Lucas, McKhann & Ojeman (2004) haben im gesamten kortikalen Bereich keine Unterschiede zwischen der L1 und der L2 gefunden; sie erläutern, dass eine zweite Sprache keine größere kortikale Darstellung voraussetzt. Sie weisen ebenfalls sowohl sprachspezifische Bereiche als auch geteilte Bereiche im Gehirn nach. Es gibt also Unterschiede zwischen den Ergebnissen der kortikalen Gehirnstimulation und den Ergebnissen aus den bildgebenden Verfahren – und das ist problematisch. Es scheint keine Grundlage dafür zu geben, der einen oder der anderen Technik den Vorzug zu geben, obwohl Lucas, McKhann & Ojemann (2004) behaupten: »(our) results underscore the fact that fMR imaging can be used to visualize areas in the cortex involved in language processing but not necessarily those areas essential for it« (Lucas et al. 2004: 455). Es sollte erwähnt werden, dass sich all diese Studien nur mit zwei Sprachen befassen und dass aus den Berichten nicht ersichtlich wird, ob die getesteten Patienten und Patientinnen nicht noch weitere Sprachen beherrschten. Bello, Acerbi, Giussani, Baratta, Taccone, Songa, Fava, Stocchetti, Papagno & Gaini (2006) legen Daten über mehrsprachige Patienten und Patientinnen vor und sie kommen direkt zu der Schlussfolgerung: »Sites for each language were distinct and separate« (Bello et al. 2006: 125), was wiederum in absolutem Widerspruch zu den Daten aus bildgebenden Verfahren steht.
Ein Problem bei den Studien, die die elektrische Stimulation des Gehirns nutzen, ist, dass sie üblicherweise an Patienten und Patientinnen durchgeführt werden, die schwerwiegende epileptische Anfälle erlitten haben. Diese können Auswirkungen auf die Architektur und die Verarbeitungsmechanismen ihres Gehirns gehabt haben. Dieses Problem könnte durch die Verwendung einer ähnlichen, aber nicht-invasiven Technik namens transkranielle Magnetstimulation (TMS) gelöst werden. Obwohl dabei keine Flüssigkeit injiziert werden muss, kann es für die Teilnehmenden durchaus beängstigend sein, sich dieser Prozedur zu unterziehen, denn bei diesem Verfahren werden Gehirnläsionen imitiert. Ein ziemlich starker elektrischer Strom wird unter Verwendung eines Gerätes erzeugt, das an eine bestimmte Stelle am Kopf des Probanden oder der Probandin gehalten wird. Der Strom erzeugt ein magnetisches Feld, das die darunterliegenden Neuronen von ihrer Tätigkeit abhält. Genauso wie bei EBS ist die Funktion, für die dieser Teil des Gehirns normalerweise zuständig ist, für den Probanden oder die Probandin nicht verfügbar. Diese Technik wurde noch nicht oft dafür verwendet, zweisprachige oder mehrsprachige Sprachverarbeitung zu untersuchen, aber sie könnte dafür eingesetzt werden, die möglichen Unterschiede zwischen den Regionen zu untersuchen, die in Zusammenhang mit der Verarbeitung verschiedener Sprachen bei einer multilingualen Person stehen.
1.3.3 Fazit
Die meisten Studien, die bildgebende Verfahren verwenden, weisen darauf hin, dass sich die Unterschiede zwischen der Verarbeitung und der Aktivierung von Regionen bei den Sprachen eines mehrsprachigen Menschen verringern. Die Ergebnisse von Neuroimaging-Studien sollten jedoch mit Vorsicht interpretiert werden. Wie in einer ausführlichen Rezension von de Groot (2011) erwähnt wird, muss der Beantwortung dieser Frage mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden: Was sorgt dafür, dass eine Region im Gehirn in bestimmten Situationen aktiviert wird? Eine geringere Aktivierung muss nicht notwendigerweise auf weniger Mitwirkung hindeuten, sondern könnte auch ein Indikator dafür sein, dass die Aufgabe in diesem Areal effektiver verarbeitet wird. Ungeachtet dessen haben die Neuroimaging-Studien wesentlich zu unserem aktuellen Wissen und Verständnis des (mehrsprachigen) Gehirns beigetragen.
1.3.4 Zusammenfassung
Bildgebende Verfahren werden vermehrt dafür genutzt, die Sprachverarbeitung und die Sprachenaktivierung bei zwei- und mehrsprachigen Personen zu untersuchen.
Wenn der zeitliche Verlauf der Sprachverarbeitung untersucht werden soll, kann das Verfahren zu ereigniskorrelierten Hirnpotentialen dafür verwendet werden, Gehirnaktivitäten auf die Millisekunde genau zu visualisieren.
Wenn eine Forschungsfrage sowohl eine hohe zeitliche Auflösung voraussetzt als auch eine relativ hohe räumliche Auflösung, kann das magnetische Gegenstück der Verfahren zu ereigniskorrelierten Hirnpotentialen herangezogen werden: die Magnetoenzephalographie.
Bei Studien, die sich mit den in der Sprachverarbeitung involvierten Gebieten beschäftigen, kann die Positronen-Emissions-Tomographie genutzt werden, bei der der Sauerstoff im Gehirn lokalisiert wird – oder alternativ die transkranielle Magnetstimulation, um Gehirnläsionen zu imitieren.
Ein nichtinvasives Verfahren, das eine sogar noch genauere räumliche Ortung der Quelle ermöglicht, ist die funktionelle Magnetresonanztomographie. Dieses Verfahren wird am häufigsten dafür genutzt, aktive Areale im Gehirn bei den Sprachen von multilingualen Personen zu vergleichen.
1.3.5 Aufgaben zur Wissenskontrolle
1 Welche zwei Hauptarten der strukturellen Bildgebung gibt es? Erklären Sie, wie sie funktionieren.
2 Wozu wird die strukturelle Bildgebung in der Sprachforschung verwendet?
3 Welche Vorteile hat die Mehrsprachigkeit für das Gehirn?
4 Was ist die funktionelle Bildgebung? Welche Unterschiede gibt es zwischen ihren Verfahren?
5 Wie wird die elektrische Stimulation des Gehirns durchgeführt und welche Erkenntnisse werden dadurch gewonnen?
2. Konzepte, Bilder und Bildschemata
Beim Sprechen bedienen wir uns oft körperlicher Erfahrungen, die wir aus unserem täglichen Umgang mit der Umwelt kennen, um abstrakte Konzepte auszudrücken. Das ist zum Beispiel der Fall bei metaphorischen Ausdrücken wie zwischen zwei Stühlen sitzen oder jemandem unter die Arme greifen. Dass aber solche körperlichen Erfahrungen ebenfalls die Grundlage für viele Bereiche der Grammatik bilden, fällt uns beim Sprechen nicht immer auf. In der Tat lassen sich viele Bereiche der Sprache im Kontext der kognitiven Linguistik anhand von Prinzipien der Perzeption sowie Prozessen des bildlichen Denkens beschreiben. So nutzen wir zum Beispiel bei Ausdrücken wie wir haben den Termin vorverlegt oder nach hinten verschoben räumliche Konzepte wie VOR und HINTEN, um uns auf das abstrakte Konzept der Zeit zu beziehen. Auch andere Grammatikbereiche wie die Modalverben lassen sich durch die körperlichen Erfahrungen der Kraft und der Dynamik beschreiben: Das Modalverb müssen im Satz jeder muss die Steuern zahlen kann beispielsweise als eine Art Druck verstanden