Steintränen. Manja Gautschi

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Steintränen - Manja Gautschi Steintränen

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Arme aus um auf die Umgebung zu deuten „Was kümmert es den Fluss? Was schert sich der Backenmarder darum?“ er sah Boris tief in die Augen „Ich sag es dir“ er kniff die Augen zusammen „Nämlich gar nicht. Also wieso du?“ Horau atmete, wendete den Blick zum Himmel und schwieg, während Boris nachdachte. Horaus Worte ergaben auf schräge Art und Weise einen Sinn. Was sollte er darauf nur antworten?

      „Du...“ fing er an „also...“ er schüttelte den Kopf „Nein, du...“ ein schwerer Ausschnaufer „Das ist...“ „Was?“ unterbrach Horau Boris Gestottere. „Menschen kannst du nicht mit Wasser oder Backenmarder vergleichen. Das macht keinen Sinn.“ „Ach nein?“ „Nein! Und überhaupt...wenn es so unwichtig ist, warum dann das Theater mit dem Stadtmeister? Dann hätte man einfach alles seinen Gang gehen lassen können, oder etwa nicht?“ „Aahhhh....“ machte Horau, rieb sich wieder die Hände, fuhr sich übers Haar und konterte zuversichtlich „Jetzt kommen wir der Sache näher.“ „Hein? Was für einer Sache?!“ Genervt hackte Boris nach „Horau, hör auf in Rätseln zu sprechen. Ich bin kein kleiner dummer Schuljunge.“

      Erneut erwartete Boris Horaus Gelächter oder zumindest ein Gegrinse. Aber es fuhr ihm kalt den Rücken hinunter als in Horau plötzlich todernst ansah. Diesen Blick hatte er noch nicht oft von Horau gesehen.

      „Boris“ meinte er in gedämpftem Tonfall „Ich scherze wirklich nicht. Aber es ist immens wichtig, dass du nicht nur verstehst, was ich dir sage, sondern es auch wirklich verinnerlichst. Weißt du was ich meine?“ Boris schüttelte den Kopf „Ja... äh... nein? Was meinst du?“ eine Pause entstand. ‚Hoa, hoa’ ein feiner Wind, rauschendes Wasser, Nachtvögel. Der Wind spielte mit Horaus Haar. Es war wunderbar still, eigentlich. Wenn nur seine Gedanken nicht so rasen würden. Boris Herz klopfte. Er war aufgeregt, verwirrt.

      „Na gut.“ Horaus Tonfall blieb ernst „Wenn du deine Sichtweise als Stadtmeister endlich einmal akzeptiert hast, wirst du schnell SEHEN“ Horaus deutete auf seine Augen „dass sich das Licht der Menschen nicht von allem anderen unterscheidet. Die Lebensenergie ist immer dieselbe. Menschen sind nicht wertvoller als alles andere. Sie sind aber auch nicht schlechter. Sie sind halt einfach wie sie sind. Ein Teil des Ganzen. Einverstanden?“

      Unsicher antwortete Boris „Naja, schon irgendwie. Ich bin halt auch einer. Darum sind mir die Menschen vermutlich etwas wichtiger als ein Backenmarder oder so.“ „Da gebe ich dir Recht: Für jede Art ist seine Eigene wichtiger als andere. Ist normal, jede Art will ihr eigenes Fortbestehen sichern. Nur bist du kein Mensch mehr, Boris.“ „Bitte?“ Horau schüttelte den Kopf „Nein, Boris. Du bist Stadtmeister. Du bist ein Hüter der Steintränen. Der Mensch ‚Boris’ ist beim Ausruf gestorben. Hatte sterben müssen um dem Stadtmeister Platz zu geben. Vergessen? Stich ins Herz und so?“

      Nachdenklich strich sich Boris mit der rechten Hand über die Stelle auf seiner Brust, wo ihn der Dolch getroffen hatte. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, sein Blut war regelrecht ausgelaufen. So gesehen, konnte man es tatsächlich so sehen. Er nickte zögerlich. „O.K.“ meinte er leise. Der Gedanke machte ihn traurig und schwermütig. Plötzlich fühlte er sich alleine.

      „Das bist du nicht.“ tröstete ihn Horau fürsorglich, er hatte Boris Gedanken gelesen. Sofort glühte ihn Boris verärgert an „Lass das! Sofort!“ ein Lächeln huschte über Horaus Gesicht, es war seine Absicht gewesen, Boris Schwermut so schnell als möglich zu verdrängen und er hatte offensichtlich Erfolg. Gedanken zu lesen war etwas, das Boris zutiefst hasste.

      Wieder ernst fuhr Horau fort „Das gesamte Universum befindet sich in einer Art ‚Gleichgewicht’. Keiner weiss bisher alles darüber. Schon gar nicht wie gross es ist, ob es Grenzen hat und wenn ‚ja’, was ist hinter der Grenze?“ Horau schüttelte den Kopf „Viele ungeklärte Fragen.“ er hielt den linken Zeigefinger hoch „Aber es ist die Lebensenergie, die die Grundlage von allem bildet. Ohne diese Energie gäbe es nichts. Nichts würde zusammenhalten, sich verbinden oder leben.“ „Irgendwie kommt mir das Bekannt vor“ Boris erinnerte sich an Zylins Worte in Maras Zimmer.

      „Gut!“ Horau war erfreut über Boris Vorkenntnisse „Ohne dieses ‚Gleichgewicht’ oder eine gewisse ‚Ausgewogenheit’ der Lebensenergie entstünde Chaos.“ „Chaos? Wie muss ich mir das vorstellen?“ Horau suchte nach Beispielen, fuhr sich übers Haar, wickelte sich seinen Pferdeschwanz um den Finger „Die Entstehung eines neuen Universums kannst du als grösstes mögliches Chaos nehmen. Sterne explodieren oder Unwetter oder Erdbeben. Solche Dinge.“ Boris nickte, versuchte zu ‚glauben’, zu verstehen, was das mit ihm zu tun hatte.

      „Weißt du“ sagte Horau „alles ist Teil dieses Gleichgewichtes. Als Stadtmeister “ Horau ballte die Faust „hast du einfach die grössere Macht dafür zu sorgen, dass es so bleibt. Bleibt es hier im rupianischen Tal nicht ausgeglichen, wird es für alle unbewohnbar.“ wieder hob Horau die Schultern „vielleicht breiten sich die Eiswinde so weit aus, dass man nicht mehr hier leben kann. Egal was du tust, du wurdest als Stadtmeister akzeptiert. Sinn und Zweck des Stadtmeisters ist es, den bestehenden Lebensraum zu erhalten, ganz gleich, was das bedeutet. Es muss nicht zwingend heissen, dass das Terra Sonnensystem verliert. Vielleicht entsteht ein gemeinsamer Weg?“

      „Warum wurden dann nur die Menschen gefragt, ob ich Stadtmeister werde oder nicht?“ „Wer sagt, dass nur die Menschen gefragt wurden?“ erstaunt bemerkte Boris seinen Gedankenfehler. „Stimmt. Das weiss ich nicht. Ich bin einfach davon ausgegangen.“

      So langsam begriff Boris. Hier ging es tatsächlich um mehr als nur um das Terra Sonnensystem. Um mehr als um die Steintränen. Wenn das, was Horau sagte, wahr war. Oder? „Was ist mit den Steintränen? Welche Rolle spielen sie? Und wenn das die Aufgabe des Stadtmeisters ist, weshalb ist er nicht ständig im Amt?“ Horau zog den linken Mundwinkel hoch zu einem halben Grinsen. „Wer sagt, dass der Stadtmeister nicht ständig im Amt sein kann? Ihr hättet ihn schon lange ausrufen können. Bis zur Krise zu warten machte es lediglich für die Menschen einfacher, sich zu entscheiden. Mehr nicht. Nenn es praktischer?“ erneutes Schulterzucken von Horau „dann hättet ihr die Steintränen schon lange vom grossen Stein ernten können. Die Steinberge sind nur so eine Art ‚Zwischenlager’ der Energie, solange sie nicht im Stadtmeister gebündelt ist.“ „Bitte?“ „Du hast schon verstanden. Tu nicht so überrascht.“

      Überrumpelt von Horaus ungewohnt barschen Tonfall schwieg Boris erstmal.

      „Die Steintränen sind kondensierte Lebensenergie. Darum verbrennt es die menschliche Haut, wenn sie nicht verdünnt werden.“ Horau wirbelte mit den Händen „Um zurück zu deiner Frage zu kommen ‚Warum das Theater mit dem Stadtmeister’ und warum alles gleichwertig ist.“ Horau fing an mit den Fingern zu zählen „Erstens: Den Stadtmeister gibt es einfach. Warum gibt es gerade Bäume in der Form? Oder Pferde? Es ist einfach so. Es muss ihn nicht geben. Hätte ich keinen Nachfolger gewählt, gäbe es keinen. Jetzt gibt es einen. Eine Laune der uns allgegenwärtig umgebenden Lebensenergie.“ eine Pause, der zweite Finger „Zweitens: Ist alles etwas viel auf einmal, ich weiss. Wichtig ist: Du bist kein Mensch mehr. Du bist quasi das neue Überlaufbecken der Lebensenergie des rupianischen Tales. Du hast diese Macht erhalten, weil die Mehrheit von allem, und ich meine damit ALLEM, dir vertraut, dass du das Richtige damit tun wirst. Und weil es ALLE waren, sind alle gleichwertig. Das Terra Sonnensystem will hier aufmischen.“ Schulterzucken „Fein. Das betrifft in erster Linie die Menschen. Deinem Pferd Mix oder den Backenmarder, den Fischen, den Bäumen ist es egal, ob das Terra Sonnensystem über die Menschen regiert oder nicht. Sie interessiert nur, dass sie hier weiter so existieren können. Und dafür braucht es das Gleichgewicht. Und um DIESES solltest du bemüht sein. Verstanden?

      „Ganz ehrlich?“ stellte Boris die rhetorische

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