Steintränen. Manja Gautschi
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Während Isara überrascht gewesen war, hatte sich Janus schon lange gefragt, wann es denn passieren würde. Ralphs Intelligenz, ruhiges Benehmen und sein Anstand täuschten immer wieder darüber hinweg, dass da auch so eine Art wildes, gefährliches Tier ihn ihm steckte.
Und nun lag Ralph gefesselt auf dem Bett. Ärgerte sich über sich selbst. Es war ihm unangenehm, bereute seinen Ausraster.
„Tut mir leid“ hörte er Isaras Stimme in der Ferne. Er wollte sie nicht ansehen. Blickte weiterhin zur Wand. „Vorsicht“ warnte sie, bevor sie anfing das Blut auf seinem Gesicht zu reinigen, sie sass auf dem Bettrand neben Ralphs Kopf „Ich hatte dich nicht verärgern wollen.“ „Hast du nicht - autsch“ „Tschuldige. Janus hat heftig zugeschlagen. Das muss genäht werden.“ „Nein, nicht nötig.“ Isara schüttelte den Kopf. „Nicht nötig? So ein Quatsch.“ Sie betrachtete das Wundreinigungstuch in ihrer Hand. Stockte.
„Das ist merkwürdig.“ sie runzelte die Stirn „Das ist nicht normal.“ sie dachte nach. Dann fiel es ihr ein „Wakanisch?“ sie sah Petrak an, der zuckte gleichgültig mit den Schultern. Drückte sich das Eis auf sein geschwollenes Auge. Genoss es sichtlich.
Ralph schloss die Augen. ‚Selbst schuld’ dachte er. Damit hatte er rechnen müssen, wenn er sich so daneben benimmt hatte er keine Kontrolle mehr über die Situation, musste mit Unerwünschtem rechnen.
Das machte Sinn, fand Isara. Das erklärte, dass Ralphs Schläge heftiger waren, als man erwartete. Und dass ihn Janus erster Schlag nicht gleich umgehauen hatte. Und...bei ihrer ersten Begegnung hatte er seinen Rücken verborgen! Nur... er war nicht grün?
„Bist du etwa ein Wakaner?!“ fragte Isara im Flüsterton. Ralph öffnete die Augen, drehte nun langsam den Kopf, sah sie an und verneinte „Nein, bin ich nicht.“ „Hein? Aber dein Blut?“ „Halbwakaner“ „Hein? Wie ist das möglich? Ich verstehe nicht.“ „Ist eine hässliche Geschichte, die ich nicht erzählen werde.“ „Ich weiss nicht, was ich sagen soll.“ „Wenn möglich, gar nichts und niemandem. Dafür wäre ich dir dankbar. Das verstehst du bestimmt.“ Isara nickte. Sie verstand. Sie flüsterte „Wenn das Kitel wüsste?!“ theatralisch schloss Ralph erneut die Augen „Ja, ich weiss“ Isara biss sich auf die Lippen „Ich werde nichts verraten. Niemandem. Versprochen. Du weißt ich kann ein Geheimnis behalten. Aber wie kannst du das nur verstecken? Sowas fällt doch auf? Vorallem in einem Gefängnis!“ er öffnete wieder die Augen, sie sahen traurig aus „Es hat sich einfach so ergeben. Meine Eltern, Janus, Petrak und der Gefängnisarzt von ‚Sonne’, und jetzt du, sind die einzigen, die es zurzeit wissen. Und sie alle haben kein Interesse daran. ‚Sonne’ ist ein sehr verschwiegener Ort. Und da ich nicht so auffällig ‚grün’ bin, fällt es auch nie jemandem auf. Ausser ich verlier die Beherrschung, wie eben. Dumm.“
Themawechsel „Das muss ich trotzdem nähen. Glaub mir.“ ein verlegenes Lächeln erschien auf Ralphs Gesicht. So wie es weh tat, hatte Isara wohl recht und er hielt still. Froh darüber, dass sie nicht weiter auf dem Thema seiner Herkunft herumritt, obwohl er sich denken konnte, wie viele brennende Fragen sie hatte. Die Stiche fühlten sich ecklig an. Er mochte nicht viele Menschen, nicht mehr seit dem Vorfall, weswegen er verurteilt worden war. Und auch wenn er sie vermutlich nie wiedersehen würde, fand er es schön, Isara kennen gelernt zu haben. Sie hatte ihr Herz am rechten Fleck. Er konnte immer mehr nachvollziehen, warum Zylin sie so nahe an sich herangelassen hatte. Wakaner waren nämlich sehr wählerisch in Bezug auf nähere Bekanntschaften mit Menschen.
Nachdem Isara Ralphs Wunden verarztet hatte, legte ihn Janus tatsächlich an die Leine. Ein Stahlseil von der Wand hinter dem Bett zu seinen hinter dem Rücken gefesselten Händen. Gerade lange genug, sodass es aufs Bett und zur Toilette reichte.
Janus hatte zwar nur eine Regel, aber die hielt er ein. Immer. Er tolerierte Einiges. Nur, krümmt man einer Wache auch nur ein Haar, war Schluss. So seine Regel. Endgültig und indiskutabel. Und Petraks Auge sah hässlich aus. Janus trug die Verantwortung und hatte das letzte Wort, wenn er sagte, es ist Schluss, war es so. Sie würden mit dem nächsten Transporter abreisen. Da konnte selbst Dr. Kitel nichts mehr ausrichten. Das war eine Frage der Sicherheit.
Ralph war’s egal. Mit hinter dem Rücken gefesselten Händen, wie ein Hund an einer Kette an der Wand angebunden, sass er auf der Bettkante. Petrak machte sich auf zu gehen.
„Petrak“ sprach Ralph den grossen Mann mit braunem Haar und geschwollenem Auge an. „Ralph“ Petrak blieb stehen, sah Ralph an „Bitte entschuldige. Das mit deinem Auge tut mir Leid.“ „Entschuldigung angenommen. Ist halb so schlimm. Richtig leidtun wird es dir Zuhause noch genug. Janus wird das nicht vergessen und ein paar Tage an der Wand wirst du wohl dafür einkassieren.“ „Schon klar. Wollte nur, dass du es weißt.“ Petrak lächelte „Ich weiss doch“, nickte und ging. Janus wartete an der Tür.
„Isara? Kommst du?“ Isara stand neben dem Tisch. Wollte gerade Janus Aufforderung nachkommen, als sie Ralphs Brille auf dem Boden unter dem Sessel sah. Sie hob sie auf, zeigte sie Janus, der nickte, was so viel hiess, wie dass sie die Brille ihrem Eigentümer zurückbringen durfte. Ralph konnte sich die Brille ja selbst nicht mehr holen.
Ach, wie sie ihn vermissen wird, dachte Isara.
Kurz gereinigt und auf Vollständigkeit kontrolliert, setzte sie Ralph die Brille behutsam auf die Nase. Ganz darauf bedacht, seine Verletzungen nicht zu berühren. Er liess es geschehen. „Darf ich trotzdem eine Frage stellen?“ flüsterte sie. „Sicher. Fragen kannst du immer, wenn du die Antwort nicht scheust.“ sie sah auf ihn herab, er sass immer noch auf der Bettkante. „Die Narben“ fuhr sie fort. Er kniff die Augen zusammen, studierte was sie wohl meinte. Fragte sich, wie sie darauf kam? Woher wusste sie davon? Dann lächelte er, die erste Begegnung, natürlich! Sie hatte ihn ohne Oberteil gesehen.
Beim Reden hob sie die Decke vom Boden auf, legte sie aufs Bett. „Da du kein Soldat bist... warst. Frage ich mich, woher die Narben stammen. Die sind nicht vom Krieg, die sind aus deiner Kindheit. Richtig.“ sie sah ihn an „Weil du vorhin das mit ‚der hässlichen Geschichte’ gesagt hast.“ sie sah ihm weiter ins Gesicht, wartete auf eine Antwort oder Reaktion „Warum lächelst du? Lachst du mich aus?!“
Ralph stand auf, jetzt war’s auch egal. Janus glühte ihn von der Tür aus bereits drohend an, hob mahnend den rechten Zeigefinger, spannte sich an um sofort loslaufen zu können. Ralph liess Janus nicht aus den Augen, während er sich ganz nahe an Isara stellte und ihr ins Ohr flüsterte „Ich lach dich nicht aus, ich lach über mich selbst. Und du hast Recht mit deiner Vermutung.“ „Warum flüsterst du?“ flüsterte sie zärtlich in sein Ohr zurück „Janus braucht das nicht hören. Bitte versprich mir zu bleiben wie du bist. Und wenn du kannst, ihn aufwachen zu lassen, damit er wenigstens weiss, wo er ist. Kannst du das?“
Sie gab Ralph unvermittelt ein Küsschen auf die Wange. Strahlte ihn an „Versprochen. Ich tu was ich kann. Danke fürs Kompliment. Mach’s gut.