Steintränen. Manja Gautschi
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Sven fing vorsichtig an Korons Verband am rechten Arm zu entfernen. „Koron Waldmann, mein Name.“ erstaunt sah Sven auf „Ja, ich weiss. Freut mich.“ er machte weiter.
„Wie lange war ich eigentlich weg?“ Koron sah Sven an, sah, dass Sven nachdachte „Hmm...Gute zwei Tage waren das wohl. Ich musste sie eine Weile ruhigstellen. Ihre Verletzungen sind heftig. Zum Glück sind Sie für Ihr Alter gut in Form. Muss ich schon sagen. Respekt.“
„Wie geht es den anderen? Bitte, Sie haben sie doch gesehen? Wann kann ich wieder zu ihnen?“ wollte Koron wissen. Er hatte zwei Tage verpasst! Er musste unbedingt mit ihnen reden, sehen wie es ihnen geht.
Der Verband war ab. Sven nahm das verblutete Material, ging ums Bett herum auf die andere Seite, wo ein Kästchen stand. Öffnete das Türchen, warf den Abfall in den Sack darin. Aus der Schublade, nahm er Gasen, Desinfektionsmittel und einen neuen Verband heraus. Kam zurück zu Koron. Der Unterarm war geschwollen. Fast über die gesamte Länge zog sich eine Naht, die stellenweise blutete. Sah richtig hässlich aus. Sven fing an zu reinigen.
„Hören Sie“ sagte Sven ganz ruhig „wenn ich Sie für transportfähig halte, nachdem hier. Und der Admiral mit Ihnen gesprochen hat, werde ich Sie wieder sedieren. Sie werden schnellst möglichst nach Seytang gebracht. Und wie man mir sagte, wird man Sie dort alleine in eine Zelle sperren. Sie werden keinen Kontakt mit anderen mehr erhalten. Ausser dem nötigen Betreuungspersonal, natürlich.“ er sah Koron an „Tut mir Leid, dass ich keine besseren Nachrichten überbringen kann. Persönlich halte ich das für eine zu grausame Bestrafung, die keiner verdient.“
Kalt den Rücken hinunter lief es Koron. Als ob sein Herz gerade zu Stein wurde. Das war tatsächlich die schlimmste mögliche Bestrafung! Isoliert von all seinen Freunden! Für immer! Er musste es sich selbst eingestehen, diese Vorstellung machte ihm echt Angst.
„Wie können Sie nur für solche Menschen arbeiten! Verflucht.“ platzte es aus ihm heraus. Sven musste den Arm festhalten, Koron zappelte schon wieder.
„Bitte, ruhig halten.“ bat Sven „Ich bin nicht hier um über Politik zu sprechen. Ich bin Arzt. Meine Aufgabe ist es Menschen zu helfen, zu verarzten. Und wenn Sie mich fragen, hat das Terra Sonnensystem schon vielen Menschen sehr viel Gutes getan. Ich bin schon zu vielen gekommen, die an Krankheiten litten, für die es schon lange Hilfe gibt. Sie erhielten sie allerdings erst dank des Terra Sonnensystems. Mir ist sehr bewusst, dass die Methoden des Terra Sonnensystems nicht immer sehr freundlich sind. Aber wo ist es das schon.“ er kümmerte sich weiter um Korons Wunden.
„Das Terra Sonnensystem zwingt allen seinen Willen auf. Wer nicht folgt, wird aus dem Weg geräumt. Jedes Mittel ist dafür recht. Wie sie es hier gerade versuchen. Uns geht es gut, wir brauchen keine ‚Hilfe’! Das ist alles nur verlogen. Niemand hat das Recht über jemandes freien Willen zu bestimmen.“ „Das Leben eines erzogenen Hundes ist doch ein angenehmeres, als das eines Hundes, der ständig an der Leine zieht, nicht weiss was er tun soll. Der erzogenen darf überall hin mit, der unerzogene würde stören, wird zu Hause gelassen, ausgegrenzt. Also erzieht man ihn. Und dafür muss man manchmal durchgreifen, gegen dessen Willen. Das gefällt ihm nicht immer. Aber schlussendlich geht es ihm am Ende besser. Oder?“
„Mag sein, aber soll das der Grund sein um loszurennen und gleich alle wilden Tiere gegen ihren Willen zu erziehen?! Nein, nein. Hier geht es wohl eher um ein paar wenige, die nach Geld und Macht greifen. Koste es was es wolle! Und wenn Ihnen Politik nicht wichtig ist, dann könnten Sie mich auch gehen lassen und die Politik anderen überlassen. Helfen Sie mir hier raus.“
Dieser Gedankengang war stimmig. Das musste Sven zugeben. Er stutze. Meinte dann „Sehen Sie, dass ist ein Grund, weshalb es Mundfesseln gibt.“ er lächelte „Was zum Geier gibt es da zu lachen?“ „Irgendwie bin ich erleichtert.“ „Erleichtert?!“ „Ja, erleichtert. Denn bei Ihrem Gespräch mit Marcel, also, Commander Ragor, war ich nebenan und kam nicht umhin es mitanzuhören. Nun bin ich positiv überrascht und erleichtert, dass Ihr Vokabular mehr als nur Schimpfworte und Flüche umfasst. Ich begreife sogar, weshalb man Sie aus der Gesellschaft sperren wird. Sie als ‚besonders’ systemgefährlich einstuft. Hinter Ihrer rauen Fassade verbirgt sich ein kluger Stratege mit einer unerwarteten Wortgewandtheit. Ich bin sicher, sie haben die Fähigkeit, Menschen für eine Sache zu begeistern. Schade so jemanden gegen das Terra Sonnensystem zu verlieren.“
Sven hob die Decke über Korons Bein, fing an den Verband zu öffnen. Der Verband war mehr eine Art Schiene, die in der Mitte in zwei Teile getrennt werden konnte. Zum Teil klebte das darunterliegende Gazenmaterial an der riesigen Naht, die vom Knie bis zum Fuss hinunterreichte.
„He!“ Koron zuckte, denn es zwickte, als Sven mit etwas Druck die blutenden Stellen der Naht reinigte. „Entschuldigung. Aber wenn’s geht, bitte still halten.“ bat Sven. „Was zum Teufel ist das denn?!“ fragte Koron nach, als er die Naht sah. Es sah hässlich aus. Und so schwer hatte es ihn unmöglich getroffen!
„Schien- und Wadenbein sind zerbrochen. Ich musste sie zusammenschrauben. Und das Kniegelenk hatte sich völlig verschoben. Die Sehnen sind zum Glück nicht durchgerissen, aber anständig überdehnt. Das musste ich richten. Und der Knochen, der Oberschenkel, hat einen Haarriss bis zum Gelenk. Sie dürfen es vorerst nicht belasten, sonst laufen Sie Gefahr, dass er längs zerbricht. Darum diese grosse Narbe und die Fussfesseln. Damit Sie das Bein ruhen lassen.“
„Warum flicken Sie mich überhaupt zusammen. Wenn man mich ohnehin aus dem Weg räumen wird? Krankes Gesindel, verdammt.“ stellte Koron seine nächste Frage. Sven sah Koron an und bemerkte die Angst in Korons Worten, trotz der Flucherei. Die Angst vor seiner angekündigten Zukunft, offensichtlich. „Sie haben Angst?“ „Natürlich habe ich Angst, nur ein Idiot hätte in der Situation keine Angst. Wehrlos einer beschissenen Zukunft entgegenzusehen, sich Sorgen um seine Leute zu machen, nicht zu wissen wie es ihnen geht. Ein drohender Krieg, der Freunden das Leben kosten kann und selbst hier“ er zog an den Fesseln. Sven drückte aufs Bein, hielt es fest „Bitte, nicht bewegen!“
Die beiden Männer sahen sich an. „Nur grosse Männer können offen zu Ihrer Angst stehen. Meinen Respekt.“ antwortete Sven „Und ich verstehe Sie. Nur, im Moment können Sie überhaupt nichts tun. Das Einzige jedoch, womit Sie MIR helfen könnten, wäre mit dem Admiral zu kooperieren. Denn, wie gesagt, ich bin Arzt. Sie fragten nach Ihren Leuten und ich muss gestehen, das Vorhaben 13 Ihrer Leute dem Tod zu überlassen, gefällt mir nicht. Soldaten die im Kampf fallen, gehört quasi zum Berufsrisiko. Aber Gefangene, die bereits verloren haben einfach so zu richten ist nicht richtig. Wir durften Ihre Leute alle untersuchen, soviel dazu, sie sind alle wohlauf, mehr oder weniger. Nichts Dramatisches.“ „Was soll das bedeuten ‚mehr oder weniger’?“ fragte Koron dazwischen „Die 13 Ausgewählten durften wir ‚nur’ untersuchen und mit Schmerzmitteln versorgen, ihre Verletzungen aber nicht behandeln, weil es sich ‚ohnehin’ nicht lohne. Wenn Sie Ihre Ansicht vielleicht nochmals überdenken und kooperieren würden, wäre es mir als Arzt wohler und ich und mein Team könnten die Leute behandeln, wie es sich gehört.“
„Pah! Wissen Sie, was Sie da von mir verlangen?“ gab Koron zurück „Ich frage mich, wer hier eine Mundfessel verpasst kriegen sollte.“ Sven lächelte, Koron fragte nach „Wieso lachen Sie? Halten Sie sich für so viel besser?“ Sven schüttelte den Kopf „Nein, ganz und gar nicht. Und