Steintränen. Manja Gautschi
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Barra und Joret nickten. „Nebenbei, das mit deiner Entführung: Schon einmal daran gedacht, dass es wegen deines Amtes als Stadtmeisters gewesen sein könnte?“ warf Joret ein. „Einer der Schlüsselträger kümmert sich bereits darum. Ihr versteht, wenn wir euch nicht sagen können, wer. Oder besser, noch nicht.“ erklärte Sora. Joret gab sich zufrieden, positiv überrascht darüber, dass das Thema bereits angegangen wurde.
„Eine Frage“ fing Barra an und sah dabei Esmar an „Wenn du tödlich verletzt wirst, Boris. Was geschieht dann? Ich habe das nicht ganz begriffen.“ Esmar antwortete anstelle von Boris, den die Frage sichtlich betroffen machte „Dann stirbt dafür einer von uns Schlüsselträgern an seiner statt. Und zwar immer derjenige, mit der aktuell schwächsten Verbindung zum Stadtmeister. Angefangen mit demjenigen, der distanzmässig am weitesten weg ist von ihm und danach derjenige, der am wenigsten Zeit mit ihm verbracht hat. So wird gewährleistet, dass die Schlüsselträger um ihn herum so lange als möglich zu seinem Schutz beitragen können. Physisch, meine ich.“ Barra nickte „Oh, ich verstehe. Ich kann mir vorstellen, dass das eine schwere Last für dich ist, Boris. Dieses Wissen. Ist ja fürchterlich.“
Boris sagte nichts. Zu sich selbst allerdings meinte er ‚Wenn du wüsstest, wie recht du hast, Barra.’ er trank einen weiteren Schluck Tee.
„Also gut, dann findet diese Reiserei halt statt. Unsere Wachen bleiben in den Städten postiert um für einen etwaigen Angriff bereit zu sein. Ich gebe dir dafür Aron mit. Er ist zwar keine Rotsandwache mehr, leider. Trotzdem ist er einer meiner fähigsten Leute und kann schnell reagieren, egal was passiert. Dann wäre mir wohler, ein wenig zumindest.“ Joret sah Barra an „Sofern du damit einverstanden bist.“ Barra nickte „In Ordnung. Eine gute Idee.“
„Was ist mit Mara? Soviel ich sie kenne, mit ihrer Kampfausbildung und ihrem Scharfsinn, wäre sie bestimmt ein wertvolles Mitglied deiner Schutzwachen?“ brachte Joret seine Gedanken ein. Boris schüttelte heftig den Kopf „Nein, auf keinen Fall. Ich will sie aus dieser Sache raushalten. Sie soll sich um die Apotheke kümmern.“ „Das kann ich verstehen, aber das wirst du nicht können. Zumal es ihre eigene Entscheidung sein wird, früher oder später.“ redete Barra mit „Und dumm ist es auch“ ärgerte sich Joret „Sie ist klug und stark. Ich weiss das doch noch von ihrer Ausbildungszeit in Rotsand. Koron hat“ er sah Esmar an „hat ganze Arbeit geleistet. Sie kann nicht nur kämpfen, nein, sie hat Kampfgeschick und Cleverness. Ich hatte sie damals für die Rotsandwachen rekrutieren wollen. So jemanden nicht einzusetzen ist dumm und fahrlässig.“ „Dieses Thema steht nicht zur Diskussion. Und basta!“ beendete Boris barsch das Gespräch.
Für einen Moment schwiegen alle. Sora schenkte Tee nach. Boris schloss für einen Moment seine Augen um zu entspannen. Wenn die nur wüssten, wie laut sich alles anhörte. Und die Umgebungsgeräusche erst. Das rege Treiben auf dem Marktplatz, in den Gängen, er bekam alles mit. Jede verdammte Fliege!
„Habt ihr überhaupt genügend Leute um Rupes und seine Vororte zu beschützen falls das Terra Sonnensystem von Seiten Steinbergen angreifen sollte? Ich meine, sie können zwar ihre gebräuchlichen Waffen nicht einsetzen. Aber herkömmliche Schiesspulver-Schusswaffen und dergleichen funktionieren immer noch sehr wohl. Und zahlenmässig dürften sie bald überlegen sein.“ sorgte sich Barra. „Natürlich fehlen Koron und unsere Leute. Aber wir konnten viele neue Wachen rekrutieren. Überraschend viele mit Kampferfahrungen. Von anderen Wachcorps und so.“ Esmar hob die Schultern „Ein Heer ist es freilich nicht und grosse Schlachten werden wir nicht schlagen können. Um einen Erstschlag abzuwehren wird es reichen.“ „Ich denke nicht, dass sie einen solchen Aufwand betreiben werden.“ schüttelte Joret den Kopf. „Ich war einer von ihnen, vergesst das nicht. Und ich weiss, dass sie mit so wenig Aufwand als möglich zum Ziel gelangen wollen. Ein offener Kampf mit vielen Verletzten und Verlusten ist kostspielig.“ alle sahen Joret gespannt an. „Ich schätze, sie werden es erst mit Hinterlist versuchen. Sie tun so, als ob sie sich auf einen Angriff von den Bergen vorbereiten, um uns abzulenken, während sie weiter entfernte Ortschaften für sich zu gewinnen versuchen. Von dort womöglich Soldaten rekrutieren. Sich so nach Rupes vorarbeiten um schlussendlich von mehreren Seiten gleichzeitig mit nur einem Schlag angreifen zu können. Sie werden Meuchelteams einsetzen, sollte sich eine“ er winkte ab „Ach wem erzähl ich das. Keiner weiss besser, was für Spielchen sie treiben als du Boris.“
„Du denkst, sie gehen gleich vor wie auf Aquawald?“ Boris schüttelte den Kopf „So einfallslos werden sie nicht sein.“ „Die Armee ist ein grosses schwerfälliges Gebilde. So schnell ändert sich da nichts. Nein, nein. Sie werden ihre Taktiken verfeinern und noch skrupelloser Vorgehen.“ „Noch skrupelloser? Das glaub ich nicht.“ „Oh doch, Boris. Glaub mir. Sie können und sie werden. Zumal sie diesmal dazu gezwungen sind, weil ihre Waffen nicht funktionieren.“
„Ich verstehe nicht ganz, was du meinst, Joret. Bitte erklär dich.“ unterbrach Barra. Joret hob die Hände „Sie können Rupes nicht einnehmen. Vorerst. Aber sie können kleinere, wehrlose Ortschaften einnehmen. Entweder sie überzeugen die Ortsregierungen zur Kooperation mit irgendwelchen Versprechen oder marschieren einfach ein. Ein kleines Dorf wie Kreuzland zum Beispiel kann nichts ausrichten gegen ein 100er Trupp Terra Sonnensystem Soldaten. Um die Kontrolle zu wahren, werden sie sogenannte Schattenteams einsetzen, die schlicht Aufständische ausschalten, bevor die etwas unternehmen können. Das Team von Commander Zylin Sa war so eines. Ich habe dir von ihm erzählt.“ Barra nickte und Joret fuhr fort „Jeder Widerstand wird im Keim erstickt, getötet. Sa wüsste noch Genaueres dazu, wie sie z.B. an Informationen gelangen. Damit hatte ich nie etwas zu tun. Aber ich schätze, dass irgendjemand hier in Rupes bereits mit denen zusammenarbeitet. Ich kann mir Boris Entführung einfach nicht anders erklären. Und so sind wir verdammt abzuwarten, was sie als nächstes unternehmen und erfahren es dann vielleicht zu spät. Sie werden uns langsam aber sicher einkreisen und aushungern. Plötzlich stehen wir nicht nur dem Terra Sonnensystem gegenüber, sondern unseren eigenen Leuten der Orte, die sich dem Terra Sonnensystem bereits angeschlossen haben.“
Sehr nachdenklich blickten alle Joret an. Schwiegen. Was konnte man dagegen tun? Man konnte nicht überall gleichzeitig sein.
„Ich würde das nicht so schwarz sehen“ unterbrach Boris das Schweigen „denn sie können nicht einfach irgendwo einmarschieren, ohne dass wir es wissen.“ „Wie sollen wir es erfahren? Du vergisst, dass wir keine Elektrizität für Kommunikation besitzen, auf rupianischem Boden.“ gab Barra zu bedenken. Und geduldig erklärte Boris noch einmal „Ich weiss, es ist schwer zu verstehen. Und ich gebe zu, ich habe es noch nicht wirklich unter Kontrolle. Überhaupt nicht. Aber ihr könnt mir glauben. Ich spüre alle im rupianischen Tal. Ich kann in jedem Moment sagen, wer wo ist. Ich muss mich natürlich darauf konzentrieren, aber ich kann es.“ er sah zu Esmar, die ihn mehr als überrascht und erstaunt ansah. Boris nickte „Ja, alles diesseits des Flusses, muss ich ergänzen. Ich vermute, überall dort, wo es keine Elektrizität gibt. Von Rotsand zum Beispiel spüre ich nichts. Und diese Seite der Berge“ er schloss die Augen „leider reicht es nicht bis zu Korons Höhlen, da verliert es sich irgendwo. Dann wieder bis zum Meer und flussaufwärts bis in die trotarischen Ebenen.“ Er sah Joret und Barra an „das Straflager gehört nicht mehr dazu. Es ist verflixt. Das Terra Sonnensystem platziert sich immer gerade an den Grenzen meiner Macht, wenn ihr so wollt. Als ob sie’s wüssten.“
Etwas ungläubig kniff Joret die Augen zusammen. Märchen oder nicht? fragte er sich. Barra trank Tee und dachte nach. Esmar musste sich zurückhalten um Boris nicht sofort mit Fragen zu löchern und Sora grinste