Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon страница 13

Автор:
Серия:
Издательство:
Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon

Скачать книгу

ihrem Akzent nach osteuropäischer Abstammung zu sein. Ana erzählte ihr, dass sie in die 9. Klasse einer Realschule im Stadtzentrum ginge und sie lege besonderen Wert darauf, dass ihr Name nur mit einem „N“ geschrieben werde. Ana wusste bereits, dass sie einen Tumor im Gehirn hatte und tippte mit dem Zeigefinger vage in Richtung ihrer linken Schläfe, um Tilda die Stelle zu zeigen. Sie war nicht zum ersten Male hier und hatte gemäß ihrer Schilderung auch schon einige Chemo-Therapien und Bestrahlungen hinter sich, was den Tumor aber nicht beeindruckt hatte. Im Gegenteil. Er war während der Therapien einfach weiter gewachsen. Tilda hatte Mühe, ihr Entsetzen darüber zu verbergen. Ana winkte nur ab. Für sie schien das alles nicht so schlimm zu sein. Momentan war sie zu Hause und nur ambulant in der Klinik. Aber sie durfte trotzdem nicht zur Schule gehen. Darüber ärgerte sie sich. „Das Leben muss ja schließlich irgendwie weiter gehen, wissen sie?“, kommentierte sie ihre Situation lapidar. Tilda war außerordentlich überrascht, wie wenig Ana ihr Zustand zu beunruhigen schien. Es mochte wohl an ihrem jugendlichen Alter liegen, dass sie das wahre Ausmaß ihres Problems noch nicht erkennen konnte. Vielleicht nahm sie auch irgendwelche Psychopharmaka ein, die sie entspannt hielten. Später bekam Ana, wie einige andere der Wartenden und Tilda selbst auch, ein Kontrastmittel in Vorbereitung der Untersuchung in die Vene gespritzt. Tilda ließ die Prozedur widerstrebend über sich ergehen. Es brannte, als würde Zyankali durch ihre Adern rinnen. Die anderen schienen keine Probleme damit zu haben. Vielleicht lag das auch einfach nur daran, dass sie die falsche Einstellung hatte. Danach dauerte es noch einige Minuten, bevor Tilda endlich von einer forschen Schwester mit mindestens 130 kg Lebendgewicht und einem Stiernacken abgeholt wurde. Sie war riesig groß und steckte in einem überdimensionalen grünen OP- Kittel wie in einem Sack. Mit einem Ruck hatte die grüne Schwester eine Seitentür des Wartezimmers geöffnet, ihre Körperwalze mitten im Türrahmen positioniert und gedröhnt, als müsse sie in einem ganzen Saal für Ordnung sorgen: „Johannsen, Tilda?“ Tilda sprang erschrocken auf und folgte ihr dann. Ana nickte ihr zu. Sie war inzwischen mit ihrem Smartphone beschäftigt und blickte nur ganz kurz auf. Für sie war das hier schließlich Alltag. Kurz darauf fand sich Tilda allein im Untersuchungsraum wieder. Sie lag auf dem Rücken auf einer schmalen, weißen Liege und glitt in den Untersuchungstunnel. Die angebotenen Ohrstöpsel gegen den Lärm hatte sie dankbar angenommen. Es roch nach Desinfektionsmittel, Kunstleder und irgendwie merkwürdig nach Technik und Metall. Über eine Scheibe hatte sie anfangs noch in den Raum nebenan sehen können, wo offensichtlich ein Arzt und eine Krankenschwester das Geschehen überwachten. Tilda schloss ihre Augen und hoffte inbrünstig, ihr Aufenthalt im Tunnel möge schnell vorbei sein. Bereits einige Minuten später war die Untersuchung tatsächlich beendet. Sie kletterte erlöst von der Liege.

      Irgendwie hatte sie sich das alles schlimmer vorgestellt. Jetzt fühlte sie sich erst einmal erleichtert. Während sie wieder in ihre Kleider schlüpfte, stellte sie sich vor, dass sie nun nach Hause gehen würde und sich die Angelegenheit damit für sie erledigt hatte. Doch da war auch eine innere Stimme in ihr, die ihr warnend klar machte, dass sie so einfach nicht davonkommen würde, wenn die Maschinerie Krankenhaus erst einmal angelaufen war. Tilda warf einen prüfenden Blick in den Spiegel an der Wand ihrer Umkleidekabine und zupfte sich hastig die Frisur mit den Fingern zurecht. Nach einem letzten prüfenden Blick wandte sie sich zum Gehen. Die riesige grüne Krankenschwester jedoch folgte ihr ungewöhnlich flink und drückte ihr mit tadelndem Blick ein gelbes Bestellkärtchen in die Hand, wobei sie posaunte: „Morgen neun Uhr dreißig, Zimmer 254. Auswertung. Pünktlich sein, bitteschön!“ Sie musterte Tilda durchdringend wie ein Feldwebel. Ihre dunkelbraune Pagenfrisur war derart mit Haarspray fixiert, dass sie aus Beton zu sein schien. Sie hatte einen leichten Oberlippenbart und ein Doppelkinn. Schnaufend verschwand sie in einer Seitentür, auf der „Kein Zutritt“ stand. Tilda starrte auf den kleinen gelben Bestellzettel in ihrer Hand, auf dem ihr Name stand. Er brannte wie Feuer zwischen ihren Fingern. Sie würde also morgen noch einmal hierher kommen müssen. Hatten die da drinnen etwa schon etwas Verdächtiges auf ihren Aufnahmen gesehen? Nervös ließ sie den Zettel in das Außenfach ihrer Handtasche gleiten und verließ hastig das Krankenhaus. Sie fühlte sich wie auf der Flucht.

      Der nette, ältere Rezeptionist mit der Spitzmaus-Lesebrille auf der Nase war immer noch da. Er tippte unablässig irgendetwas in seine Computertastatur und sah nicht auf. Erst als Tilda vorbeihuschte, blickte er hoch und nickte ihr freundlich zu. Seine wasserstoffblonde Kollegin mit den spatenartigen Fingernägeln und den Haaren aus Zuckerwatte war indessen verschwunden. Wahrscheinlich saß sie schon beim Mittagessen oder toupierte sich in der Personal-Umkleide den Hinterkopf neu. Tilda beeilte sich, nach draußen zu kommen. Das Auftrittsgeräusch ihrer Schuhe vervielfältigte sich unter ihren hastigen Schritten in der Eingangshalle. Das Geräusch erinnerte an die Übungsstunde einer Stepptänzerin.

      Sie verließ das Krankenhaus durch die große, gläserne Drehtür des Haupteinganges. Draußen wehte ihr eine kühle Hamburger Böe wie zur Begrüßung ins Gesicht. Der Nieselregen hatte aufgehört. Die freundliche Frühlingssonne hatte ihn verdrängt. Es war fast Mittag. Tilda kam es vor, als hätte sie einen ganzen Tag lang in diesem schrecklichen Gebäude gehockt. Gierig sog sie die frische Luft ein. Sie hatte nur noch das Bedürfnis, nach Hause zu kommen, fühlte sich getrieben, abgestoßen und voller Eile. Im Krankenhaus starben die Menschen. Sie wollte nur weg von diesem Ort.

      Tilda lenkte ihre Schritte durch den nahegelegenen Park, dem kürzesten Weg nach Hause, den sie zu Fuß nehmen konnte. Einige ergraute Pensionäre hatten es sich um diese Zeit schon auf den Bänken bei den kahlen Rosen-Rabatten bequem gemacht und hielten ihre blasse, zerknitterte Winterhaut in die Frühlingssonne. Vom nahen Spielplatz her hörte Tilda eine Mischung aus Kindergeschrei und Lachen. Irgendwoher kam Straßenlärm. Sie hielt nicht inne. Sie wollte nur noch nach Hause, weg von diesem schrecklichen Krankenhauses. Tilda ging schnellen Schrittes. Je schneller sie ging, desto besser fühlte sie sich. Sie verspürte keinerlei Unwohlsein, nur ein wenig Schwäche. Sie erinnerte sich überrascht daran, dass sie überhaupt keine Beschwerden mehr gehabt hatte, seitdem sie das Krankenhaus am Morgen betreten hatte. War das der sogenannte „Vorführeffekt“? Sie kannte dieses Phänomen bereits von ihren Zahnarztbesuchen. Wenn sie lange genug im Wartezimmer gesessen hatte, dann waren ihre Zahnschmerzen weg gewesen.

      Den Rest des Tages verbrachte Tilda damit, sich um ihre Wohnung zu kümmern. Sie verspürte das dringende Bedürfnis, irgendetwas Nützliches zu tun, auch um sich abzulenken. Sie putzte die Fenster und holte den Rest ihrer Sommersachen aus der großen, alten Seefahrer-Truhe im Schlafzimmer. Sorgfältig packte sie dann einen Teil ihrer Wintersachen hinein. Während sie das tat hoffte sie darauf, dass das Wetter gut genug bleiben möge, so dass sie nicht in Kürze wieder in der Truhe wühlen müsste, um die eben eingepackten, dicken Pullover wieder hervor zu holen. Schließlich konnte niemand in Hamburg so genau wissen, was das Wetter mit der Stadt vorhatte. Ganz zum Schluss schob Tilda den Metallriegel der Truhe mit einem Klicken zu und setzte sich einen Moment lang darauf, um sich auszuruhen. Sie fühlte sich nun doch erschöpft. Trotzdem war sie glücklich. Sie hatte dem Tag, der so unschön begonnen hatte, doch noch etwas Nützliches abgerungen. Wenn sie ihr aktuelles Befinden mit dem der letzten Tage und Wochen verglich, dann ging es ihr heute um Quantensprünge besser. Seit der Untersuchung am Vormittag fühlte sie sich irgendwie befreit. Zwar belastete es sie, dass sie bereits nächsten Tag wieder zur Auswertung erscheinen sollte, aber sie entschloss sich, nicht daran zu denken. Während sie mit angezogenen Beinen immer noch auf der großen Truhe im Schlafzimmer hockte, versuchte sie sich bildlich vorzustellen, wie der Arzt zuerst ihre Aufnahmen aus dem MRT betrachtete und sie dann verständnislos ansah. Sie stellte sich vor, wie er dann mit den Schultern zucken und sagen würde: „Frau Johannsen, wer hat sie eigentlich zu uns überwiesen? Es ist doch alles in bester Ordnung bei ihnen. Sie sind gesund. Das muss wohl ein Irrtum gewesen sein.“ Zumindest in ihrer Vorstellung klappte das ganz gut.

      Tilda dachte an das Mädchen Ana, die mit ihrem Tumor im Kopf so gelassen umging, als wäre er ein aufgeschlagenes Knie. So einfach war das offenbar, wenn man sich keine Sorgen machte. Was würde wohl aus ihr und den anderen Patienten im Wartezimmer werden? Was würde aus ihr werden? Die anderen hatten alle viel entspannter gewirkt, als sie selbst. Vielleicht kannten sie sich schon besser mit dem emotionalen Druck aus, den solche Untersuchungen mit sich brachten. Oder die Ursache lag darin, dass es außerordentlich

Скачать книгу