Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

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Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon

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wollten zurück nach Hause, zurück auf´s Land, woher sie gekommen waren. Anfangs fand Tilda diesen Gedanken verrückt, aber je länger sie darüber nachdachte, desto mehr konnte sie ihre Eltern inzwischen verstehen.

      Letztendlich hatte es die ganze Familie irgendwann mehr oder weniger geschafft, das Heimweh abzustreifen. Die Kinder mussten der Tatsache ins Auge sehen, dass die berufliche Karriere ihren Eltern wichtiger war, als ihre Freiheiten auf dem Lande. Es wurde in der Folgezeit nicht mehr viel darüber gesprochen. Wohl auch, um nicht ständig alte Wunden aufzureißen. Die Stadt Hamburg war voller Leben und Aktivitäten und entschädigte sie auf ihre Art für den Verlust der alten Heimat. Diese Stadt war kein Ort, um unglücklich zu sein. Doro und Tilda hatten schnell neue Freunde gefunden. Und ihre Eltern hatten sich nach Kräften bemüht, mit ihnen die neue Umgebung zu erkunden. Tilda erinnerte sich noch an ihre gemeinsamen Stadt-Erkundungstouren an den Wochenenden, die sie eine lange Zeit über regelmäßig unternommen hatten. Meist endeten diese Touren dann im Kino, im Zoo oder in einem Fastfood-Restaurant. Die Stadt wurde in ihren Augen bald zum großen, neuen Abenteuer. Obwohl Tilda und ihre Schwester immer noch Heimweh hatten und nach wie vor still ihrer verlorenen Mecklenburger Freiheit hinterhertrauerten, konnten sie sich bald nicht mehr wirklich vorstellen, je wieder so weit draußen auf dem Land zu wohnen. Dort, wo nur viermal am Tag ein Bus in die nächste Stadt fuhr und wo man ohne Auto vollkommen aufgeschmissen war. Aus zwei kleinen Landeiern waren zwei Stadtkinder geworden. Doch die Sehnsucht nach der alten Heimat war nie ganz weggegangen.

      Jetzt, nach über zwanzig Jahren, verkündete Tildas Mutter am Telefon erneut, wie sehr sie das Landleben vermissen würde. Genau genommen war es noch nicht einmal einen Monat her, dass ihre Eltern sie und Ludwig beim gemeinsamen Kaffeetrinken in ihrem Wohnzimmer mit der Tatsache überrascht hatten, dass sie wieder zurück nach Klein Trebbow zu wollen. „Alles hat seine Zeit“, hatte ihr Vater Thomas an diesem Nachmittag gesagt und dabei merkwürdig vor sich hingelächelt. „Der Lebensabschnitt Hamburg nähert sich für uns dem Ende. Es ist einfach so.“ Für Tilda kam die Idee ihrer Eltern vollkommen überraschend. Natürlich konnte sie die beiden irgendwie verstehen. Inzwischen sah es tatsächlich so aus, als würden sie dort ein kleines Häuschen in einer neuen Wohnsiedlung kaufen können. Das Haus war noch im Bau und alles war noch in der Schwebe. Sandra, Doros Außenposten in Klein Trebbow, hatte ganze Arbeit geleistet und alles, soweit möglich, schon in die Wege geleitet. Wahrscheinlich war es nicht mehr als eine Kleinigkeit für sie gewesen. Sie hatte ihrem Mann, dem Klempner Bodo mit den Segelohren Bescheid gesagt, der hatte seinem Chef Bescheid gesagt, der wiederum hatte dem Investor Bescheid gesagt und schon war der Deal perfekt gewesen. Tilda fand noch immer nicht, dass es eine gute Idee war, ihre Eltern im Alter so weit entfernt zu wissen. Es gab keinen Arzt im Dorf, keine Apotheke und keinen Supermarkt in der Nähe, noch nicht einmal im Nachbardorf.

      Aber verstehen konnte sie ihre Eltern. Selbstverständlich waren es keine rationalen Gründe, die sie wieder nach Klein Trebbow zurückzogen. Jetzt waren die beiden noch fit und gesund und jetzt würde es auch noch kein Problem geben. Doch wie würde das in zehn Jahren aussehen? Wie würde das in zwanzig Jahren aussehen? Während Tilda dem Monolog ihrer Mutter am Telefon zuhörte, sah sie nachdenklich aus dem Fenster. Ein bisschen bedrohlich wirkte die Perspektive ihres Umzuges schon auf sie. Aber vielleicht kam alles doch noch ganz anders. Vielleicht würden es sich die beiden doch noch überlegen. Tilda schob die Gedanken weg. Fest stand, dass ihre Schwester jetzt in Arizona lebte und ihr später in dieser Hinsicht keine Unterstützung geben konnte. Sie würde die Entscheidung ihrer Eltern voraussichtlich irgendwann allein tragen müssen.

      Es war nicht das erste Mal, dass sie ihre um sechs Jahre ältere Schwester im Stillen beneidete. Doro hatte vor beinahe dreizehn Jahren Sam geheiratet und war zu ihm gezogen. Sam war Amerikaner und jetzt lebte sie mit ihm und ihren drei gemeinsamen Kindern Gregory, Gesine und Gustav in Scottsdale/ Arizona. Dort waren Sam und sie inzwischen die Inhaber der gutgehenden Eisdiele „Dicken´s Creamery“ geworden, die sie vor gut zwei Jahren von Sams Eltern übernommen hatten. „Dicken´s Creamery“ war als regionaler Geheimtipp inzwischen in vielen Reiseführern aufgeführt, was den beiden einen enormen Gästezustrom und viel Arbeit bescherte. Besonders an den Wochenenden war es im Geschäft voll, wenn sich zu den Touristen auch noch die einheimischen Gäste hinzugesellten. Trotzdem gab es zwischen Tilda und ihrer Schwester ein heiliges Ritual, das darin bestand, jeden Samstagnachmittag zur gleichen Zeit miteinander zu telefonierten. Das war bei Doro durch die acht Stunden Zeitverschiebung dann vormittags, so dass sie noch zu Hause war und nicht im Geschäft stand. Außerdem hatten sie sich beide geschworen, sich so oft wie möglich zu besuchen. Solange Tilda noch studiert hatte, war das auch kein Problem gewesen, wenn sie von der finanziellen Seite einmal absah. Manchmal hatte sie sich das Geld für die Flüge bei ihren Eltern borgen müssen. In Sottsdale hatte ihre Schwester es ihr dann jedes Mal zurückgegeben, auch wenn sie das nie gewollt hatte.

      Jetzt, seitdem Tilda als Lehrerin arbeitete und mit Ludwig zusammenwohnte, waren Aufenthalte bei Doro und ihrer Familie in Scottsdale für sie viel schwerer zu organisieren. In den letzten 5 Jahren hatte es deshalb irgendwie nie geklappt, zumal Doro und Sam wegen der Übernahme des Geschäftes auch nicht nach Deutschland gekommen waren. Tilda fand das schlimm. Sie fand es auch schlimm, dass sie in ihrer Beziehung mit Ludwig ihre eigenen Interessen nach und nach immer weniger verfolgt hatte. Und er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, als dass ihm das aufgefallen wäre. Vielleicht war es ihm auch aufgefallen, aber er hatte nichts gesagt, weil es ihm so viel besser gefiel. Gerade neulich hatte Tilda sich wieder einmal vorgenommen, sich von einigen Gewohnheiten ihrer Beziehung, die sie lähmten, zu befreien. Ludwig konnte schließlich auch einen Teil der Aufgaben übernehmen, die erledigt werden mussten. Er übernahm fast nichts und Tilda vermutete, dass er sich sträuben würde oder wenigstens versuchen würde zu diskutieren, wenn sie ihm ihre Pläne darlegen würde. Trotzdem hatte sie sich fest vorgenommen, nicht einzuknicken. Merkwürdigerweise schien er der Auffassung zu sein, dass für sie als Frau die Liebe zur Hausarbeit automatisch angeboren war.

      Ludwig hatte in dieser Hinsicht eine sehr konservative Erziehung genossen. Seine Mutter war immer Hausfrau gewesen, hatte nie gearbeitet und sich um alle häuslichen Belange allein gekümmert, während sein Vater als Pharmavertreter das Geld für die Familie verdiente und viel unterwegs war. Nun verlangte Ludwig von Tilda unausgesprochener Weise das gleiche, obwohl sie beruflich genauso eingespannt war wie er. Er begründete das damit, dass er keine Zeit dafür hätte, sich um den Haushalt zu kümmern. Das Thema hatte sich zwischen ihnen bereits zu einem ständigen Streitpunkt entwickelt. Auch für Reisen in die USA wollte sich Ludwig nicht die Zeit nehmen, weil ihn das Land, wie er immer behauptete, nicht interessieren würde. Das war jedoch nur die halbe Wahrheit. Der Hauptgrund war wohl vielmehr der, wie Tilda inzwischen herausgefunden hatte, dass er unter Flugangst litt und sich den Stress eines Transatlantik-Fluges nicht zutraute. Natürlich war Flugangst „unmännlich“ und deshalb hatte er sie auch niemals zugegeben. Er verbarg seine Flugangst in letzter Zeit durchaus erfolgreich damit, dass er es inzwischen schaffte, die Kurzstreckenflüge von Hamburg nach München zu seinen Eltern mit äußerlicher Gelassenheit zu ertragen. Aber Tilda hatte ihn durchschaut. Vermutlich würde er sich niemals auf einen Langstreckenflug einlassen.

      Ludwigs Eltern in München schienen ohnehin argwöhnisch darüber Buch zu führen, wie häufig ihr geliebter Sohn bei ihnen erschien. Tilda hatte sich wirklich nach Kräften bemüht, ein gutes Verhältnis zu ihnen aufzubauen, aber es war ihr nicht so ganz geglückt. Die Beziehung zu seinen Eltern blieb angespannt. Tilda konnte die beiden einfach nicht gern haben, obwohl sie es wirklich versucht hatte. Nach den sechs Jahren, in denen sie nun schon mit Ludwig zusammen war, empfand sie seine Eltern nach wie vor als Diktatoren, als vollkommen selbstbezogene Menschen, denen sie es niemals recht machen konnte. Wahrscheinlich war es das elterliche Vorbild gewesen, das Ludwig so egoistisch werden ließ. Er hatte dieses Familienerbe mit in sein Leben genommen. In letzter Zeit hatte Tilda immer öfter versucht, sich vor den Besuchen in München zu drücken. Leider war ihr das nur mit mäßigem Erfolg gelungen.

      Während Tilda das dachte, war ihre Mutter gerade wortreich dabei, sich über den Autounfall ihrer neuen Nachbarin auszulassen, die dabei zum Glück nicht verletzt worden war. Tilda kannte die neue Nachbarin ihrer

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