Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

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Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon

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nicht mehr fühlen, hatte das Gefühl, nur noch aus einem riesigen Kopf zu bestehen. Der Arzt ihr gegenüber roch ein wenig nach Zigarettenrauch. Sie konnte es deutlich wahrnehmen. Ein Arzt, der rauchte. Tilda fand das merkwürdig. Dieser Mann dachte also auch, dass Rauchen keine Konsequenzen für ihn haben würde, so wie alle Raucher das taten. Dabei hätte er es an diesem Arbeitsplatz besser wissen müssen.

      Tilda starrte auf sein Gesicht. Sie versuchte nervös, irgendetwas aus seiner Miene schlussfolgern zu können. Der Arzt schaute ernst, aber auch vollkommen unbeteiligt. Tilda wurde nicht schlau aus seinem Gesichtsausdruck. Sie schob die eiskalten Hände langsam wieder unter ihre Oberschenkel. Zum Glück konnte das unter dem Schreibtisch niemand sehen. Ganz plötzlich schien Dr. Schnitzer mit seinem Akten-Studium fertig zu sein und schaute sie durchdringend an. Seine Stimme klang freundlich, als er sagte: „Frau Johannsen, sie waren gestern bei uns zum MRT. Ich habe hier ihre Aufnahmen und die Auswertung des Befundes von meinen Kollegen. Da ist einiges im Argen bei Ihnen. Es besteht schneller Handlungsbedarf.“

      Tilda erstarrte. Das waren genau die Worte, vor denen sie sich gefürchtet hatte. Ihr Alptraum schien wahr zu werden. Sie kämpfte einen Augenblick lang um ihre Fassung. Immer noch saß sie wie versteinert dem Arzt gegenüber und starrte ihn wortlos an. Der vertiefte sich nochmals in die Akte mit dem braunen Pappdeckel, blätterte vor und zurück und schloss dann den Aktendeckel. Er ließ seine Hände nebeneinander darauf liegen, so als wolle er den Inhalt damit schützen. Dann räusperte er sich und sagte: „Frau Johannsen, wir haben bei Ihnen ein Gewächs in der Bauchspeicheldrüse festgestellt. Genauer gesagt, einen großen Tumor und noch mehrere kleine, verdächtige Bereiche. Das könnten auch noch welche sein, die gerade heranwachsen. Das muss noch genauer untersucht werden. Aber das ist nicht alles. Wir haben außerdem Metastasen in ihrem Bauchfell gefunden. Das sind schlechte Nachrichten.“ Er schaute sie an, fischte aus der linken Brusttasche seiner grünen OP-Jacke eine Brille heraus und setzte sie sich auf. Er sah damit ganz anders aus. Dann fuhr er fort: „Wir müssen davon ausgehen, dass der Haupttumor in ihrer Bauchspeicheldrüse sitzt, und dass die anderen Tumore Metastasen davon sind. Herr Dr. Umlauf ist ihr Hausarzt?“ Er sah sie fragend an. Tilda nickte stumm. Der Arzt fuhr fort: „Dr. Umlauf hatte sie zu uns überwiesen wegen unklarer Bauchbeschwerden, Übelkeit, Durchfällen und Gewichtsabnahme. Richtig?“ Er sah sie wartend an. Außer einem stummen Nicken brachte Tilda nichts zustande. Sie öffnete und schloss ihren Mund wieder, ohne einen Ton gesagt zu haben. Der Arzt sah sie unbeteiligt an, obwohl seine Stimme ein wenig weicher zu klingen schien. „Haben sie Fragen zu ihrem Befund?“ Er wartete einen Moment lang. Als Tilda nichts sagte und nur hilflos den Kopf schüttelte, fuhr er fort: „Wir werden ihren Fall auf der nächsten Tumorkonferenz am kommenden Montag mit auf die Tagesordnung setzen. Eine Operation kommt in ihrem Falle nicht mehr in Frage. Wir werden voraussichtlich eine palliative Chemotherapie mit Gemcitabin machen, gegebenenfalls auch eine Radiotherapie. Das heißt Bestrahlung. Mehr können wir bei diesem Befund nicht mehr für sie tun. Ist das in Ihrem Sinne, Frau Johannsen?“ Er sah sie groß an und erwartete offensichtlich eine Antwort. „Ja.“ Presste Tilda leise hervor. Ihre Stimme klang fremd. Sie wollte noch etwas hinzufügen, ließ es dann aber. Erst jetzt realisierte sie, dass sie am ganzen Körper zitterte. Dr. Schnitzer machte einige Notizen in die Akte und erklärte Tilda noch irgendetwas über die nun angedachte Chemotherapie. Durch ihre innerliche Panik verstand sie kaum ein Wort von dem, was er sagte. Mit dem Satz: „Sonst noch Fragen?“ beendete er seinen Monolog. Tilda schüttelte stumm den Kopf. Der Arzt stand auf und wandte sich zum Gehen. Wie auf ein geheimes Signal hin erschien eine andere rosa Krankenschwester im Raum, die Tilda bis dahin noch nicht gesehen hatte. Sie begleitete sie hinaus. Dabei drückte sie ihr einen Brief in die Hand, der verschlossen war und sagte so freundlich, als wollte sie eine Pizza bestellen: „Ich bin Schwester Jennifer. Hier ist ihr Befund. Bitte melden sie sich in den nächsten Tagen bei ihrem Hausarzt und geben sie dort auch den Brief ab. Ab Besten gleich morgen oder übermorgen. Wir regeln dann alles über ihn. Auch, wann sie ihren Port für die Chemotherapie bekommen. Auf Wiedersehen! Wir sehen uns dann in einigen Tagen bei der Chemotherapie.“ Sie gab Tilda nicht die Hand, sondern eilte stattdessen nahezu geräuschlos den hellgrauen, wie nass glänzenden Krankenhausflur entlang. Das einzige, was noch von ihr zu vernehmen war, war ein leises Quietschen der Gummisohlen unter ihren Schuhen, das sich immer weiter entfernte.

      Tilda steckte den Brief in ihre Handasche. In ihrem Kopf war vollkommene Leere. Da war nichts, an das sie gerade dachte, was sie gerade beschäftigte. Nichts, einfach gar nichts. Am liebsten wäre sie den Flur hinunter nach draußen ins Freie gerannt, um endlich wieder atmen zu können. Bauchspeicheldrüsen-Krebs. Das war es also! Sie kannte sich zwar nicht besonders gut aus, aber es war ihr klar, dass das eine der schlimmsten Krebsarten war. Ludwig hatte einen Kollegen gehabt, der daran erkrankt war. Er war innerhalb von wenigen Wochen gestorben. Er hatte Chemotherapie bekommen und Bestrahlungen. Tilda war vollkommen verängstigt. Wieviel Zeit blieb ihr noch? Sie hatte ganz vergessen, danach zu fragen. Dr. Schnitzer hatte auch nichts darüber gesagt. Oder hatte er doch? Draußen, im Freien, fühlte sie sich besser. Sie atmete einige Male ganz tief durch, um sich etwas zu beruhigen. Bauchspeicheldrüsenkrebs! Wieso hatte sie das bekommen? Was hatte sie falsch gemacht oder was war die Ursache dafür? Wie konnte sie, die doch immer so gesund lebte, überhaupt Krebs bekommen? Sie rauchte nicht, sie trank so gut wie nie Alkohol. Sie aß ihrer Ansicht nach hauptsächlich gesunde Sachen, achtete auf ihren Zuckerkonsum. Warum also? Tilda war wie vor den Kopf geschlagen.

      Das war also der Grund dafür gewesen, dass sie sich seit Monaten so schlecht fühlte. Und je länger die Sache gedauert hatte, desto größer waren ihre Befürchtungen geworden. Ihre Befürchtungen, dass etwas Schlimmes dahinter steckte. Sie hatte zwar versucht, positiv zu denken, aber ihr Bauchgefühl hatte im Grunde schon seit Wochen Alarm geschlagen. Spätestens nach den fünf Kilo unfreiwilliger Gewichtsabnahme war ihr klar, dass vermutlich etwas Schlimmes dahinter steckte. Wieviel Zeit blieb ihr jetzt noch?

      Sie nahm die Abkürzung durch den Park. Die Frühlingssonne schien vom blassen Himmel herab und wärmte schon ein wenig. Es war Tildas Lieblings-Jahreszeit, wenn die Natur nach dem langen norddeutschen Winter ganz allmählich wieder zum Leben erwachte. Sie fand, dass der Frühling das Allerbeste vom Jahr war.

      Einige Bänke im Park waren jetzt, um die Mittagszeit, leer. Tilda setzte sich auf eine von ihnen. Sie fühlte ihr Herz bis zum Hals schlagen. Verzweifelt versuchte sie, ruhig zu bleiben. Ihr Blick glitt über die rot gepflasterten Wege zu den ersten, kleinen Blüten in den Rabatten, hinüber zu den Sträuchern in hellem Grün und den großen Eichen weiter hinten. War das ihr letzter Frühling? Würde es ihr letzter Sommer sein? Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Es war zweifellos die schlimmste Nachricht, die Tilda in ihrem bisherigen Leben je erhalten hatte. Wie sollte es jetzt nur weiter gehen? Wie eine riesige Flutwelle brach die Furcht vor dem, was jetzt auf sie wartete, über sie herein und riss sie erbarmungslos mit ins Bodenlose. Tilda lockerte den bunten Schal um ihren Hals, weil sie das Gefühl hatte, zu ersticken. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Ihr war kalt und heiß gleichzeitig. Als eine leichte Windböe kam, schloss sie die Augen. Ihr gesamter Körper bebte. Sie wollte nicht sterben.

      Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Dieser Satz tauchte plötzlich wie aus dem Nichts in ihrem Kopf auf. Es war diese Theorie, die sie für sehr überzeugend hielt, seit sie die Bücher von Rupert Sheldrake und seine Darstellungen zum morphogenetischen Feld gelesen hatte. Das hieß in letzter Konsequenz aber auch, dass ihr Bewusstsein und ihr Unterbewusstsein darüber entscheiden würden, ob ihr Körper die Krankheit besiegen konnte oder ob er daran zugrunde gehen würde. Es war zweifellos schwer, das eigene Bewusstsein wirklich dahin gehend zu programmieren, dass der Körper den Krebs überwinden konnte. Wenn sie doch nur eine Ahnung davon gehabt hätte, warum sie diesen Krebs bekommen hatte! Vielleicht hätte sie dann auch eine Idee gehabt, wie sie ihn wieder loswerden konnte. Tildas Kopf war bis zum Bersten angefüllt mit Zweifeln und Befürchtungen.

      Eine junge Mutter spazierte mit ihrem Kinderwagen vorbei. Die fremde junge Frau lächelte ihr freundlich zu. Augenblicklich schossen Tilda erneut die Tränen in die Augen. Sie wollte auch immer eine Familie haben! Dafür war es jetzt wohl zu spät. Der Arzt hatte nicht gerade viel Hoffnung ausgestrahlt. Und wenn sie nun die Chemotherapie

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