Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

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Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon

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im Zimmer. Ludwig schnarchte noch nicht. Das bedeutete, dass er noch wach war. Sie drehte sich zu ihm um. Seine Augen waren geöffnet. Sie glitzerten ein wenig in der Dunkelheit des Zimmers. Er nahm ihre Hand und hielt sie ganz fest. „Wir schaffen das!“ flüsterte er. „Wir schaffen das, Schatz!“ Tilda nickte zögernd. Zwei Tränen rannen in der Dunkelheit über ihre Wangen. Eine glühend heiße Welle bewegte sich von ihrem Kopf abwärts durch ihren Körper bis zu ihren Zehenspitzen. Ein sehr unangenehmes Gefühl war das. Tilda streckte ihre Füße unter der Bettdecke hervor, um sie ein wenig zu kühlen. In dieser Nacht war sie hier in ihrer Wohnung und bei Ludwig in Sicherheit. Morgen war ein neuer Tag. Morgen wollte sie mit ihrer Schwester telefonieren, wollte sie um Rat fragen. Die arme Doro! Die wusste noch nichts von der Katastrophe, mit der sie sich in Hamburg herumplagte. Oder wusste sie es doch schon? Hatten ihr die Eltern schon alles berichtet, nachdem sie vorhin von der Krisensitzung nach Hause gefahren waren? Tilda war sich nicht sicher, aber das würde sich morgen herausstellen. Was feststand war, dass sie am nächsten Tag zu Dr. Umlauf gehen musste. Gleich ganz früh würde sie hingehen, damit sie nicht so lange in seinem Wartezimmer sitzen musste. Vielleicht hatte er doch noch einen Rat für sie. Mit diesem Gedanken fiel Tilda in einen leichten Schlaf, aus dem sie immer wieder erwachte. Sie war aufgewühlt. Leise drehte sie sich auf die andere Seite, weg von Ludwig. Er schnarchte. Er hatte es gut.

      KAPITEL 3

      Pünktlich um 7.00 Uhr am nächsten Morgen traf Tilda in der Praxis von Dr. Umlauf ein. Die Schwester an der Rezeption begrüßte sie freundlich und nahm den Arztbrief entgegen, den Tilda aus der Onkologie mitgebracht hatte. Sie drehte ihn um und es war in diesem Moment offensichtlich, dass Tilda ihn bereits geöffnet hatte. Ein wenig vorwurfsvoll schaute die Schwester sie an, sagte aber nichts. Tilda fühlte sich wie ertappt. Sie errötete und ärgerte sich gleichzeitig darüber.

      Ein wenig verlegen erklärte sie: „Ich wollte lesen, was darin steht. Es ist meine Krankheit. Und ich wollte mir eine Kopie machen für meine Unterlagen.“ Die Schwester zuckte ein wenig pikiert die Achseln, als wäre ihr das plötzlich alles egal und sagte nur spitz: „Es ist ja ihr gutes Recht den Brief einzusehen. Den Befund hat ihre Krankenkasse bezahlt. Trotzdem ist es eigentlich nicht üblich. Briefgeheimnis.“ Tilda merkte genau, dass die Schwester sich übergangen fühlte, und dass sie mit dem Öffnen des Briefes offenbar das Ego der gesamten Praxis misshandelt hatte. Es war offensichtlich, dass die Frage wie ein tonnenschwerer Meteorit im Raum schwebte, wo es wohl hinführen würde, wenn jeder x-beliebige Patient seine Unterlagen selbst einsehen würde. Der Krankenschwester hinter der Anmeldung stand dieser Vorwurf förmlich ins Gesicht geschrieben. Sie fragte sich wahrscheinlich im Stillen, was wohl dabei herauskommen würde, wenn sich die Patienten auch noch anmaßen würden, ihre Krankheiten selbst zu beurteilen.

      Die erste Lektion hatte Tilda an diesem Morgen also schon gelernt: Eigenmächtigkeiten schienen in dieser Praxis äußerst unbeliebt zu sein. Das passte zu Ludwig. Schließlich war Dr. Umlauf eigentlich sein Arzt. Ludwig liebte klare Regeln und eindeutige Festlegungen. Er mochte Vorschriften, die verbindlich waren. Das war wohl eine Berufskrankheit.

      Eigentlich hätte Tilda sich in diesem Moment ärgern wollen, aber sie fühlte sich nicht in der Lage dazu. In ihrem Innern war sie vollkommen ausgebrannt. Sie fühlte sich so schwach und so elend, dass sie noch nicht einmal mehr die Kraft für eine Auseinandersetzung mit dieser Krankenschwester gehabt hätte.

      Deshalb drehte sie sich einfach um und nahm wortlos im Wartezimmer Platz. Sie drückte ihre schweißnassen Handflächen zwischen ihren Knien krampfhaft aneinander, während sie wartete. Klamm waren sie und eiskalt. Es fühlte sich für sie an, als ob ihr Körper ihr gar nicht mehr gehörte, als ob sich alles nur noch in ihrem Kopf abspielte. Es schien ein riesiger Kopf auf einem frostigen, winzigen Körper zu sein. Tilda hatte das Gefühl, als würde ihr Gehirn unablässig und auf Hochtouren arbeiten, jedoch dabei zu keinem Ergebnis kommen. Der Rest ihres Körpers war starr wie der einer Mumie.

      Wenig später, gleich nach einem älteren Paar, das bis dahin in Illustrierten geblättert hatte und augenscheinlich zur Blutentnahme bestellt worden war, kam Tilda an der Reihe. Als sie ein wenig zögernd ins Behandlungszimmer trat, war Dr. Umlauf noch mit dem Lesen ihres Patientenbriefes beschäftigt. Eine gewisse Betroffenheit war ihm anzumerken. Er machte sich auch keine Mühe, sie zu verbergen. Auf seinem Schreibtisch lag eine ähnliche braune Akte, wie Tilda sie bereits bei Dr. Schnitzer in der Onkologie gesehen hatte. Der Aktendeckel war aufgeklappt. Darin lag ganz oben ein Schreiben des Krankenhauses. Tilda erkannte den Kopfbogen. Dr. Umlauf schaute es sich eine kurze Zeit lang aufmerksam an. Seine Augen folgten den Zeilen. Dann wandte er sich an Tilda, indem er sie über den Rand seiner Brille ansah. „Frau Johannsen, das sind leider keine guten Nachrichten für sie, die ich hier lese. Ihr Befund ist bedauerlicherweise gar nicht gut. Sie wissen das ja schon.“ Er hielt inne und blätterte in der Mappe auf seinem Schreibtisch umher.

      „Ich habe hier auch schon den Behandlungsplan für ihre Chemotherapie. Den hat mir gestern Abend noch die Onkologie des Krankenhauses zugemailt.……. Sie sollen mit Gemcitabin behandelt werden.“ Er sah sie erneut prüfend an und schien auf ihre Antwort zu warten. Tilda war verblüfft darüber, dass der Arzt bereits ihren Behandlungsplan vor sich hatte. Immerhin war sie doch erst gestern im Krankenhaus gewesen. Da hieß es noch, dass ihr Fall in der kommenden Woche bei der Tumorkonferenz besprochen werden sollte. Tilda war irritiert. Was hatte das zu bedeuten? Ein Verdacht keimte in ihr auf. Dass der Plan jetzt schon vorlag, sprach in ihren Augen nicht dafür, dass sich jemand ernsthaft Gedanken über ihre Behandlung gemacht hatte.

      Tilda war vielmehr überzeugt davon, dass die Onkologen sie nach einem Einheits-Plan behandeln wollten, den sie buchstäblich „aus der Schublade“ gezogen hatten. Ein entsetzlicher Gedanke keimte in ihr auf. Sie schauderte, während eine eisige Welle durch ihren Körper lief. Das schwer Vorstellbare traf sie wie eine Betonkugel am Kopf, der plötzlich schmerzte, als wollte er zerbersten. War es am Ende so, dass es sich bei ihr vielleicht gar nicht mehr lohnte, einen individuellen Plan zu erstellen? Sollte sie nicht ohnehin nur noch eine Palliativ-Therapie bekommen, die ihre Heilung gar nicht mehr zum Ziel hatte? Tilda schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sie verspürte ein Prickeln in ihren Armen und Beinen. Vor ihren Augen wurde es für den Bruchteil einer Sekunde schwarz. Sie umklammerte mit beiden Händen die Armlehnen des Stuhles, auf dem sie saß so heftig, dass ihre Fingerknöchel ganz weiss aussahen. Nach zwei weiteren tiefen Atemzügen ging es ihr ein wenig besser. Der Arzt ihr gegenüber schaute sie beobachtend an.

      Entmutigt wich Tilda seinem Blick aus. Tief in ihrem Innern hatte sich alles verkrampft, so als würde ein starker Druck ihren Körper zusammenpressen wie in einer Vakuumkammer. Sogar in ihren Ohren war dieser dumpfe Druck zu spüren. Ihr war, als säße sie in einem rasch sinkenden Flugzeug. Kam das etwa auch schon vom Krebs oder spielten nur ihre Nerven verrückt? Während Tilda darauf wartete, dass der Arzt wieder das Wort an sie richtete, fühlte sie, dass ihr Vertrauen in diese Art von Medizin noch mehr dahinschmolz. Das geplante Standard- Prozedere der Onkologie, das sich jetzt mit ihr in Gang setzen sollte, verstörte sie. Wollten die Onkologen ihren Fall einfach nur noch abarbeiten, damit sie und ihre Angehörigen das Gefühl hatten, es sei alles versucht worden? Nicht umsonst hieß es ja in Mediziner-Kreisen, heutzutage stünde hinter jedem Patienten möglicherweise ein Rechtsanwalt. Was ging da vor? Tilda war vollkommen verunsichert und am Ende ihrer Kräfte. War sie vielleicht schon so verrückt, dass sie sich das alles nur einbildete, dass sie all diese Dinge völlig überspitzt sah?

      Nach all dem konnte sich Tilda nicht mehr vorstellen, dass das Krankenhaus auf ihrer Seite war. Alles, was sie wahrnahm vermittelte ihr nur noch mehr das Gefühl, als würde es von Beginn an keine Chance für sie geben. Es schien beschlossene Sache zu sein. Auch Dr. Umlauf gab ihr keinen fühlbaren Anlass zu der Hoffnung, dass sie sich irrte. Das passte mit ihrer kleinen, unvollständig gebliebenen Recherche über Bauchspeicheldrüsenkrebs zusammen, die sie in der Kürze der Zeit begonnen hatte. So gut wie keiner der Betroffenen schien diese Krankheit zu überleben. Insofern war Optimismus wohl wirklich fehl am Platze. Nach allem, was sie herausgefunden hatte, waren sämtliche Therapieversuche nur eine Verlangsamung

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