Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon
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Читать онлайн книгу Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon страница 24
Verstört hörte Tilda die Worte ihrer Schwester, die so weit entfernt war und doch so nah klang. Doro sprach ihr aus der Seele, als sie ihre Zweifel in Worte fasste, die sie gegenüber von Chemotherapie hatte. Tilda fühlte sich furchtbar elend, während sie ihrer Schwester stumm zuhörte. Sie sah ihre Befürchtungen bestätigt. „Die Nebenwirkungen von Chemotherapie sind grauenvoll, oft sogar tödlich!“, brachte Doro es auf den Punkt. „Da macht es auch keinen großen Unterschied, welches Präparat sie bei dir nehmen. Zumindest nicht bei diesem Krebs.“ Doro war, wie sich herausstellte, inzwischen gut informiert. Sie war der Meinung, dass im Grunde alle diese Mittel versuchten, sich gegenseitig an Giftigkeit zu übertreffen. Es waren Zellgifte. Die meisten von ihnen wirkten auf alle sich schnell teilenden Zellen tödlich, um so das Wachstum der Tumore zu verlangsamen. Leider vergifteten sie dabei auch den Rest des Körpers. Sie taten das selbst dann, wenn die eigentlich gewünschte Wirkung ausblieb. In diesen Fällen blieb dann nur die Vergiftung übrig. So würde der Krebs kaum verschwinden. Doro sprach davon, dass sie auch herausgefunden hatte, dass fast alle Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs trotz aller Behandlungen in kurzer Zeit starben. Hilflos unterbrach Tilda ihre Schwester und flüsterte entsetzt: „Schwester, erzähl´ mir das nicht! Ich will das gar nicht hören! Ich hab das doch auch schon alles gelesen. Wenn ich nur wüsste, was ich jetzt machen soll! Das geht alles viel zu schnell für mich.“ Sie schluchzte. „Manchmal fühlt es sich an, als wenn mich alle nur zu etwas überreden wollen, damit sie sich einbilden können, es wird alles für mich getan. Ludwig, die Eltern - und die Klinik sowieso.“ Sie stockte, bevor sie weitersprach: „Das mit der Chemotherapie ist ja für so eine Klinik Routine. Und der Tod von Patienten ist für die leider auch Routine.“ Sie schluchzte erneut auf und fuhr unter Tränen fort: „Aber ich hab doch nur das eine Leben, Doro! ........ Ich will doch nicht schon jetzt durch die Hintertür aus dem Krankenhauses rausgefahren werden und das war´s dann!“
Doro unterbrach ihre Schwester erregt: „Tildi, jetzt hör mir mal zu! Wenn Du keine Chemo machen willst, dann machst Du keine Chemo! Lass dich zu nichts überreden! Die meisten Patienten sterben früher oder später trotz oder wegen dieser Art von Therapie. Kein Mensch weiß das so genau. Moderne Medizin hin und moderne Medizin her. Selbst etwa 80% der Ärzte sagen, dass Chemotherapie umstritten ist und würden sie nicht bei sich machen lassen und auch nicht bei ihren Angehörigen. Das hört sich alles andere als überzeugend an.“
Sie machte eine kurze Pause und sagte dann nachdrücklich: „Wenn du nicht sterben willst, dann musst du dir jetzt gut überlegen, was du tust! Und wenn du nicht sicher bist was du jetzt machen sollst, dann komm einfach für ein paar Wochen zu uns. Hier in Scottsdale wird keiner auf dich einreden und dich zu etwas überreden wollen. Wir lassen dich in Ruhe! Du kannst hier in Ruhe nachdenken. Weißt du, Angst ist immer ein schlechter Ratgeber.“ Tilda schluchzte: „Du bist so lieb, Schwester. So lieb! “ Sie weinte und presste unter Schluchzen hervor: “Wenn ich dich nicht hätte – ich - wüsste - gar - nicht - was - ich - jetzt - machen - soll!“. Doro lachte am anderen Ende der Leitung ganz leise. Es war ihr kleines Lachen, das Tilda schon immer so vertraut war. Es ließ ihre innere Anspannung ein wenig kleiner werden. Doro fuhr fort: „Ich finde wirklich, das wär ´ne gute Idee! Mal alles aus der Distanz zu sehen ist nie verkehrt. Was meinst Du, Tildi? Komm einfach her, wenn´s dir einigermaßen gut geht, wenn du dir den Flug zutraust. Du musst ja nicht selbst fliegen.“ Sie lachte wieder leise. „Wir haben hier unseren Hausarzt Dr. Lackner. Nur für den Fall der Fälle. Der ist wirklich nett! Sam und er sind zusammen zur Schule gegangen. Ich glaube, du hast ihn auch schon mal gesehen.“ Tilda schluchzte einige Male ergriffen und schniefte dann in den Hörer: „Danke, Doro! Das ist so lieb von dir. Ich denk mal drüber nach.“
Mit einem Schlage kamen ihr jedoch Zweifel. Nur wiederstrebend und ein wenig ängstlich formulierte sie ihre Frage: „Und Sam? Meinst du, dass Sam nichts dagegen hat, wenn ich in meinem…… Zustand…..zu euch komme?“ Doro lachte nur: „Du kennst doch Sam! Sam will immer das, was ich will – und umgekehrt ist das auch so. Meinst Du, ich wäre sonst hier, so weit weg von zu Hause? So weit weg von dir? Ich wär´ sonst niemals zu ihm über den großen Teich gegangen, wenn er nicht so ein toller Mann wäre.“ Tilda nickte zustimmend vor sich hin.
Sie zwang sich, ihren Gedanken Struktur zu geben. In ihrem Kopf herrschte immer noch Chaos. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals in ihrem Leben so verwirrt gewesen zu sein. Vor allem nahm sie sich in diesem Augenblick eins ganz fest vor: Sie wollte sich nicht in ihren Entscheidungen beeinflussen lassen, von niemandem. Nicht von Ludwig, nicht von den Eltern und erst recht nicht von der Klinik, die mit diesen Behandlungen selbstverständlich auch viel Geld verdiente und deshalb ihrer Ansicht nach niemals objektiv beraten würde. Die Klinik war genauso objektiv wie ein Autoverkäufer in einem Autohaus, den man fragte, ob die Autos in der Ausstellung eine gute Wahl seien. Die Antwort wäre klar.
Vielleicht tat sie manchen Ärzten damit Unrecht. Ganz frei von Zweifeln war sie in dieser Hinsicht nicht. Vielleicht war es einfach nur so, dass die Klinik schnell zur Chemotherapie drängte, weil es in der Tat das Einzige war, was die Medizin anbieten konnte. Dass das ihr Leben aller Wahrscheinlichkeit nach nicht retten würde, und dass ihr das bei einer Palliativ-Therapie auch gar nicht erst in Aussicht gestellt wurde, war da schnell Nebensache. Ihr Tod interessierte niemanden von denen wirklich, die tagtäglich mit Krebs und seinen Folgen zu tun hatten. Vielleicht erwartete sie einfach zu viel.
Schon am übernächsten Morgen machte sich Tilda auf den Weg ins Krankenhaus. Sie hatte gleich morgens einen Termin in der Chirurgie. Die Ambulanz hatte sie angerufen und es dringend gemacht. Tilda sollte einen Portkatheter bekommen. Einen dauerhaften Zugang in ihr Adersystem, damit sie ihre Medikamente über einen Tropf bekommen konnte. Das zumindest hatte ihr der Arzt am Telefon gesagt. Tilda machte sich zu Fuß auf den Weg zum Krankenhaus. Sie wollte eine Zeitlang für sich sein, wollte sich nicht von Ludwig fahren lassen und auch nicht selbst fahren. Es hatte einen großen Streit zwischen ihnen gegeben. Streit wegen ihrer Reisepläne nach Amerika. Ludwig hatte sie für vollkommen verrückt erklärt, in ihrem Zustand nach Arizona fliegen zu wollen. Er hatte das auch nicht zurückgenommen und beharrte darauf. Es sei eine Schnapsidee und einfach unverantwortlich, hatte er gebrüllt. Sie hatte sich gegen ihn zur Wehr gesetzt und am Ende hatten sie sich beide angeschrien.
Ludwig hatte trotzdem darauf bestanden, dass sie ihn anrufen sollte, sobald sie fertig war und nach Hause gehen durfte. Dann wollte er sie abholen.
Tilda verließ gegen 6.30 Uhr die Wohnung. Auf den Straßen war trotz der frühen Stunde der Berufsverkehr schon in vollem Gange. Sie wählte einen kleinen Umweg durch das Viertel, um nicht an der vielbefahrenen Straße entlanggehen zu müssen. Sie brauchte frische Luft. Außerdem war noch genug Zeit, so dass sie sich diesen kleinen Luxus erlauben konnte. Über so einen Portkatheter hatte sie sich inzwischen belesen. Der Port war als Dauerzugang in erster Linie dafür notwendig, um durch ihn die Chemotherapie in die Blutbahn zu verabreichen. Tilda wusste immer noch nicht, ob sie das Ding überhaupt brauchen würde. Sie war nach wie vor unentschlossen. Der Port sollte ihr irgendwo rechts unterhalb ihres Schlüsselbeines implantiert werden. Tilda hatte ein mulmiges Gefühl, als sie pünktlich kurz vor sieben Uhr die chirurgische Abteilung des Krankenhauses betrat. Auf den Fluren war es noch verhältnismäßig leer. Sie musste nicht lange warten.
Der Arzt in der Chirurgie war offensichtlich Afrikaner. Sein Name, mit dem er sich Tilda vorstellte und der auf die Tasche seines weißen Kittels mit blauem Garn gestickt war, war fast unaussprechlich. Der Mann mochte wohl etwa 35 Jahre alt sein. Das war sehr schwer zu schätzen. Seine Haut war dunkelbraun, fast schwarz, genauso wie sein Haar. Es war sehr kurz geschnitten und vollkommen kraus. Seine Augen schienen in Öl zu schwimmen. Das Weiß wirkte gelblich und seine Iris