Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon

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Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon

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sollten dann die Toxine in ihrem Blut? Die würden zusätzlich noch ihr Immunsystem kaputt machen. Und ohne ein funktionierendes Immunsystem hatte sie erst recht keine Chance, vielleicht durch irgendeine andere Therapie gesund zu werden. Tilda hatte in diesem Moment zwar überhaupt keine Ahnung, wie ein anderer Weg aussehen konnte, aber sie sah keinen Grund dafür, sich selbst die Chance darauf voreilig zunichte zu machen.

      Genau von diesem Moment an war ihr klar, dass sie erst einmal zu ihrer Schwester nach Arizona fliegen würde. Sie hatte sich entschieden. Dort wollte sie sich zunächst klar darüber werden, was sie tun sollte. Aber sie wollte das selbst entscheiden, wollte zu nichts gedrängt werden. Nicht von Dr. Omntumbu, nicht von der Klinik, nicht von Ludwig und nicht von ihren Eltern. Von niemandem. Es war ihr Leben und wenn es schlecht für sie lief, dann war es auch ihr Tod. Es war ihr gutes Recht, darüber frei zu entscheiden. Tilda war in diesem Moment gefasst und voller Ablehnung. Die anderen würden ihr den Tod schließlich nicht abnehmen, falls sich eine ihrer Entscheidungen als falsch herausstellen sollte. Das hier war ihre Möglichkeit, sich zu entscheiden. Tilda fühlte, dass sie jetzt reagieren musste.

      Sie wollte nach Arizona zu ihrer Schwester. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass sie das Problem für sich gelöst hatte. Das war ein großartiges, ein erhabenes Gefühl nach diesem Strudel der Hilflosigkeiten, der sie zermürbt hatte. Tilda war glücklich. Sie würde das schon schaffen. Noch fühlte sie sich nicht zu schwach für die Reise, auch wenn sie weit davon entfernt war, sich gut zu fühlen. In der vergangenen Woche hatte sie immerhin noch als Lehrerin vor ihren Schülern gestanden und gearbeitet. Da hatte sie von ihrem Krebs noch gar keine Ahnung gehabt. Was sollte dagegen sprechen, wenn sie jetzt für zwei oder drei Wochen in die Staaten flog?

      Erst in diesem Moment realisierte sie, dass Dr. Omntumbu sie die ganze Zeit über von der anderen Seite seines Schreibtisches her irritiert angesehen hatte. Er schien eine Erklärung dafür zu erwarten, schien ihre Weigerung, zu unterschreiben, erst einmal für eine Art Missverständnis zu halten. Nur die kleine grüne Krankenschwester ließ mit ihrem missbilligenden Gesichtsausdruck keinen Zweifel daran, dass sie sehr gut verstanden hatte, wie sich die Patientin Tilda Johannsen entschieden hatte und was sie davon hielt.

      Tilda erhob sich dann auch spontan mit den Worten: „Vielen Dank für ihr Angebot. Falls ich mich für eine Chemotherapie entscheiden sollte, werde ich mich bei Ihnen melden. Bis dahin brauche ich auch keinen Portkatheter.“ Sie schob den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, ordentlich zurück unter den Schreibtisch. Draußen auf dem Flur waren Stimmen und Schritte zu hören. Eine Tür fiel mit dumpfem Schlag ins Schloss. Im Raum selbst aber war es so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Dr. Omntumbu und die kleine, grüne Krankenschwester sahen Tilda verständnislos an. Die sah sich zu einer freundlichen Ergänzung ihrer Worte veranlasst. So nett wie möglich fügte sie hinzu: “In der nächsten Woche werde ich erst einmal in die USA fliegen. Da würde mich der Portkatheter nur stören. Das verstehen sie sicher!“ Abrupt wandte sie sich zum Gehen. Bevor sie durch die Tür hinaus auf den Flur trat, sagte sie: „Einen schönen Tag noch für sie! Auf Wiedersehen sage ich besser nicht!“ Mit einem gequälten, kleinen Lächeln schloss sie leise die Tür hinter sich und ging dann schnell den Flur entlang in Richtung Ausgang.

      Hinter ihr blieb es ruhig. Wahrscheinlich mussten sich Dr. Omntumbu und der grüne Zwerg erst einmal sammeln.

      Tilda fühlte sich mit einem Mal großartig. Ihre Übelkeit und auch die Schwäche waren plötzlich wie weggeblasen. Es war das erste Mal seit Wochen, dass sie sich richtig gut fühlte. So, wie sich früher immer gefühlt hatte, als sie noch gesund war.

      Zielstrebig ging sie nach Hause. In ihrem Kopf ordnete sie währenddessen bereits alle Dinge, die sie vor ihrer Abreise noch klären musste. Ihr fehlte eine ESTA-Einreisegenehmigung für die Staaten. Zum Glück gab es dieses vereinfachte Visumverfahren für Reisen in die USA. Ein reguläres Visum hätte sie viel mehr Zeit gekostet. Zeit, die sie nicht hatte.

      Tilda war in Eile. Je früher sie das alles klärte, desto ehr würde sie fliegen können. Zwischen der Beantragung der ESTA-Genehmigung und dem Abflug des Antragstellers mussten, wenn sie sich recht erinnerte, mindestens 72 Stunden liegen. Das würde ihren Abflug ohnehin verzögern. Sie konnte es sich also nicht leisten, noch mehr Zeit zu verlieren.

      Ludwig kam ihr in den Sinn. Tilda hatte das Gefühl, dass sie ihn anrufen sollte, um ihm zu sagen, dass er sie nicht abzuholen brauchte. Er wartete vermutlich auf ein Zeichen von ihr. Und ihre Eltern würde sie auch anrufen müssen. Sie würden sich bestimmt aufregen, würden ihre Entscheidungen für Fehler halten.

      Als Tilda Ludwig anrief, um ihm mitzuteilen, dass sie schon wieder zu Hause war, ohne Operation, dafür aber mit Reiseplänen für die Staaten, sagte der im ersten Moment erst einmal gar nichts. Er war offenbar geschockt. Vielleicht hatte ihm ihre Mitteilung auch einfach nur die Sprache verschlagen.

      Tilda konnte seine Reaktion nicht nachvollziehen. Immerhin hatte sie ihm ihre Reisepläne tags zuvor schon angedeutet. Hatte er ihr nicht zugehört?

      Jetzt, da er merkte, dass sie das alles ohne ihn entschieden hatte, begann er, Tilda Vorwürfe zu machen. Durch´s Telefon herrschte er sie barsch an: „Du spielst mit deinem Leben, Tilda! Das ist einfach unverantwortlich!“ Er schnappte nach Luft und fuhr heftig fort. „So viel Unverstand! Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Du kannst doch jetzt nicht verreisen, als wenn nichts wäre! Ich versteh´ dich nicht! Das ist doch irre, was du da machst! Bist du denn lebensmüde?“

      Er bemerkte jedoch bald, dass seine Einschüchterungen nicht die gewünschte Wirkung erzielten. Tilda war offenbar nicht zu bewegen, ihre Meinung zu ändern. Wütend legte er auf.

      Irritiert starrte sie auf ihr Telefon. Sie hatte von ihm keine Beifallsbekundungen erwartet, aber auf keinen Fall Anschuldigungen und Vorwürfe. Dennoch stand ihre Entscheidung fest. Als Ludwig am Nachmittag nach Hause kam, wirkte er beleidigt und wortkarg. Tilda erkannte das sofort an seinem Gesichtsausdruck, als er zur Tür hereinkam. Immer, wenn ihm etwas gegen den Strich ging, sprach er nicht mit ihr oder nur so wenig wie möglich. Kaum hatte er seine Jacke im Flur aufgehängt, hielt er Tilda an beiden Schultern fest und starrte sie mit einer Mischung aus Wut und Hilflosigkeit an. Während er ihr in die Augen sah, presste er aggressiv hervor: „Bist du denn verrückt geworden? Wenn Du jetzt fliegst, dann wirst du sterben!“ Er schluchzte merkwürdig auf. „Du wirst sterben, wenn du dich nicht behandeln lässt! Begreifst du das denn nicht? Geht das nicht in deinen Dickschädel?“

      Ein wenig tat er Tilda sogar leid, weil er sich so aufregte. Beschwichtigend schlang sie ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn auf die Wange. „Aber Schatz, ich sterbe doch sowieso! Auch wenn ich Chemotherapie mache!“ Sie versuchte zu lächeln, aber das misslang. Kurze Zeit rang sie um ihre Fassung, bevor sie mit Tränen in den Augen fortfuhr: „Du! Du bist der, der nichts begreift! Es ist eine Palliativbehandlung, die ich bekommen soll! Palliativ – verstehst du, was das heißt? Sie rechnen nicht damit, dass ich es schaffen kann. Für die Onkologen bin ich tot! Tot! Toooooot!“ Ludwig ließ hilflos die Arme sinken. Er suchte nach Worten. „Aber…… vielleicht geschieht doch noch ein Wunder……und die Chemo hilft dir?!“, stammelte er. Er war vollkommen überfordert mit dem, was geschah. Tilda löste ihre Arme langsam von seinem Hals und sah ihm in seine angstgeweiteten, blauen Augen. So aufgelöst hatte sie ihn bisher noch nie gesehen. Mit fester Stimme erklärte sie dann entschlossen: „Nein, Ludwig. Auf ein Wunder werde ich nicht hoffen. Ich weiß, dass ich handeln muss. Ich hab keine Ahnung, was ich tun soll. Aber ich werde es herausfinden. Dafür brauche Abstand.“ Ein wenig leiser fügte sie hinzu: „Ich bin doch kein krebskranker Lemming, der sich mit den vielen anderen krebskranken Lemmingen in den Abgrund stürzt, bloß weil all die anderen das tun!“

      Resigniert ließ Ludwig sich auf die Couch im Wohnzimmer fallen und griff sich an die Stirn. Dann flüsterte er mit brüchiger Stimme: „Schatz, ich kann dir nichts vorschreiben. Das ist klar. Aber ich bitte dich inständig: Bleib hier und mach

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