Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon
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Читать онлайн книгу Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon страница 27
Tilda ging in die Küche und kam mit zwei Gläsern Orangensaft zurück. Sie stellte eins auf den Couchtisch vor Ludwig und trank selbst einen großen Schluck von ihrem Glas, bevor sie es neben das seine stellte. „Und was Margarete angeht, eine der Brustkrebs-Frauen“, griff sie erneut das Thema auf, „vielleicht war das wirklich gar kein Krebs bei ihr. Vielleicht waren es nur Zysten oder Verkalkungen oder was weiß ich. Jedenfalls das, was man vor wenigen Jahren noch als gutartig bezeichnet hätte. Das glaubt sie auch. Heute ist doch angeblich alles immer gleich Krebs! Die gutartigen Tumoren scheinen ausgestorben zu sein. Das ist mir schon länger aufgefallen. Findest du das nicht auch merkwürdig?“ Sie sah ihn fragend an und als er nicht antwortete, sprach sie weiter: „Aber wenn man alles zu Krebs erklärt, dann hat man statistisch gesehen natürlich bessere Überlebensraten. Klar!“ Da Ludwig immer noch nichts sagte, fuhr sie fort: „Vielleicht lebt Margarete deshalb noch, weil das in Wahrheit gutartige Tumore bei ihr waren. Oder sie lebt noch, weil sie keine Chemo gemacht hat.“ Sie schaute einen Moment lang still vor sich hin und sagte dann nachdenklich: „Ich glaube, sie war auch noch bei so einer Besprecherin. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass sie bei so einer Frau war!“
Ludwig hob theatralisch die Hände: „Bei einer Besprecherin war sie? Heiliger Strohsack! Und an so einen Unfug glaubst Du?“, fragte er wütend. „Meine Eltern kennen in München eine Menge guter Ärzte. Das ist wenigstens was Reelles und nicht so ein Hokuspokus. Kriminell ist das! Besprecherin! Das ich nicht lache! Ich werde meine Eltern bitten, einen guten Onkologen für Dich zu finden, bei dem du dich vorstellen kannst. In München!“ Er trank einen Schluck und stellte sein Glas mit einem Knall wütend wieder zurück auf den Tisch, während er weitersprach: „Das sind studierte Leute, von denen du dir helfen lassen kannst.“ Er schlug mit der flachen Hand aufgebracht auf die hölzerne Tischplatte des Couchtisches, der das mit einem Ächzen quittierte. Der Orangensaft in den Gläsern zitterte. Tilda erhob sich entschlossen von der Couch. „Egal, Ludwig. Das bringt doch nichts. Was meinst du, was die Ärzte in München mit mir machen werden? Chemotherapie! Und zwar palliativ! Mach dir doch nichts vor! Du bist doch sonst immer so ein realistischer Mensch, wie du sagst!“
Tilda ging zurück in die Küche. Von dort aus sah sie durch die geöffnete Wohnzimmertür, wie Ludwig immer noch zusammengesunken auf der Couch hockte. Einerseits tat er ihr leid. Andererseits war sie wütend auf ihn, weil er sie wie ein unverständiges, kleines Mädchen behandelte. Sie war zwar sechs Jahre jünger als er mit seinen sechsunddreißig, aber sie litt doch nicht plötzlich an Verblödung, weil sie Krebs hatte! Was bildete sich dieser Mann eigentlich ein? Was wusste er schon davon, wie sie sich fühlte und was das Beste für sie war? Wie konnte er nur so blind sein, ihr genau das vorzuschlagen, was all die anderen verzweifelten Krebskranken auch schon erfolglos versucht hatten? Genau das, was die meisten von ihnen mit ihrem Leben bezahlt hatten. Tilda kochte innerlich vor Wut.
Schlagartig spürte sie wieder dieses Unwohlsein in sich. Es war ihr, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. In ihrem Bauch baute sich erneut der dumpfe Druck auf, den sie seit Wochen kannte. Sie setzte sich erschöpft auf einen der Küchenstühle. Entmutigt starrte sie vor sich hin, konnte kaum einen Gedanken fassen. Sie fragte sich verzweifelt, ob diese Krankheit tatsächlich ihr Todesurteil sein sollte. Warum stritt Ludwig mit ihr über die Behandlung? War nicht der Grund dafür in Wahrheit der, dass er die Verantwortung für den weiteren Verlauf abgeben wollte, um besser damit zu Recht zu kommen? War es tatsächlich das? Natürlich wäre das vollständiger Unsinn, denn es gab doch gar keine Verantwortung für ihn in dieser Sache! Warum verstand er nicht, dass sie alles für besser hielt, als die übliche Therapie?
Sie war enttäuscht von ihm. Dass Ludwig ihr in den Rücken gefallen war ließ ihr keine Ruhe. Langsam ging sie wieder hinüber zu ihm ins Wohnzimmer. Sein Gesicht wirkte verquollen, seine Augen gerötet. Er sah so aus, als ob er geweint hätte. Seit sie ihn kannte hatte sie ihn noch nicht ein einziges Mal weinen sehen. Irgendwie tat er ihr leid, aber sie fühlte gleichzeitig auch ganz viel Wut in sich. Sie fragte sich, warum er plötzlich so sensibel sein sollte. Hatte er vielleicht nur aus reinem Selbstmitleid geweint, weil sie so unnachgiebig auf ihrem Standpunkt beharrte? Vorsichtig setzte sie sich wieder neben ihn, legte versöhnlich ihren Arm um ihn und versprach mit der freundlichsten Stimme, zu der sie sich unter diesen Umständen fähig war: „Jetzt hör´ mir doch zu, Luddi! Ich bleibe nur drei Wochen bei Doro. Dann komme ich zurück. Und wenn mir bis dahin kein anderer Weg eingefallen ist, dann werde ich die Chemotherapie machen. Ich versprech´s dir!“ Sie machte eine Pause und sah ihn bittend an, bevor sie fortfuhr: „Wenn ich zurück komme ohne eine bessere Idee, dann werde ich das machen. Wäre das okay für dich?! Sie sah ihn abwartend an.
Ludwig schüttelte störrisch den Kopf und starrte zum Fenster hinaus, als gäbe es da irgendetwas zu sehen, was seinen Blick auf sich zog. „Du bist doch verrückt!“ presste er erneut barsch hervor. „Wir sind hier doch nicht auf einem türkischen Basar! Willst du mit mir handeln? Vergiss es! Meinen Segen bekommst du für deinen Amerika-Quatsch nicht.“ Er blickte trotzig weiter aus dem Fenster hinaus wie ein störrisches Kind. Ein wenig freundlicher fügte er dann hinzu: „Schatz, es ist deine Entscheidung und niemand kann dich zwingen. Aber ich würde dich zwingen, wenn ich könnte. Das kannst du mir glauben! Es muss doch einen Weg geben, dass du Vernunft annimmst! Du machst den Fehler deines Lebens und ich muss hilflos zusehen. Für mich ist das ein unerträglicher Zustand. Anders kann ich das nicht bezeichnen, was du da vorhast!“ Er stand auf und ging sturen Blickes aus dem Zimmer.
Tilda war wütend auf ihn, sehr wütend. Er dachte nur an sich. Sie war überzeugt davon, dass es das war, was ihn zu seiner Einstellung gebracht hatte und auch jetzt daran festhalten ließ. Er hätte sie sonst verstanden. Ludwig wollte sich später einfach keine Vorwürfe anhören müssen, dass nicht „alles versucht worden war“. Tilda kannte ihn nach den Jahren einfach. Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie war enttäuscht, wie wenig Rücksicht er darauf nahm, was sie selbst eigentlich wollte. Sie war schließlich die Betroffene.
Ludwig wollte sich keine Vorwürfe machen müssen, wenn sie tot war. Für Tilda war das ein unvorstellbarer Gedanke. Wie würde es sein, wenn sie tot war? Wenn sie starb? Wie würde sich das anfühlen? War dann alles zu Ende oder gab es tatsächlich ein Erwachen auf der sogenannten anderen Seite? Entsetzt über ihre eigenen Gedanken zwang sie sie weg von diesem Thema. Wenn sie ihre Energien in das Todes- Thema hineinfließen ließ, dann würde es am Ende noch größer werden, wachsen und gedeihen. Sie schüttelte sich. Es war, als hätte ihr jemand einen Krug voller Eiswürfel in den Kragen gegossen. Tilda wollte auf keinen Fall, dass sich das schreckliche Thema in ihrem Leben weiter manifestierte. Außerdem war es nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken was wäre wenn. Aus ihrer Sicht stellte sich die Frage nicht. Jetzt war sie ärgerlich und aufgewühlt. Sie musste sich um ihr ESTA-Formular kümmern. Das war viel wichtiger. Sie schaltete ihren Laptop ein und ging zum Schrank hinüber, um ihren Reisepass zu holen.
Ludwig