Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon
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Читать онлайн книгу Die Farbe der guten Geister - A. A. Kilgon страница 28
Die Tür vom Arbeitszimmer öffnete sich und Ludwig kam mit dem Telefon in der Hand heraus. Er sah sie an und reichte ihr das Telefon ohne erkennbare Emotionen, wenn auch ein gewisser triumphierender Unterton in seiner Stimme schwang, als er ihr zuflüsterte: „Schatz, für dich! Deine Eltern…….!“ Sein Gesicht hatte rote Flecken, wie immer, wenn er sich sehr aufgeregt hatte und die Ader in der Mitte seiner Stirn war angeschwollen. Tilda erstarrte. Ludwig war sich nicht zu schade gewesen, ihre Eltern anzurufen, um sie dort anzuschwärzen. Er hatte tatsächlich nichts Besseres zu tun gehabt, als sich direkt nach ihrer Auseinandersetzung im Arbeitszimmer ans Telefon zu begeben und sie zu verpetzen. Tilda war außer sich vor Wut, versuchte aber, sich zusammenzureißen. Für sie war das ein Beweis mehr für ihre Vermutung, dass sein Inneres in Wahrheit gar nicht von dem Konflikt betroffen war. Wenn er tatsächlich so zerknirscht gewesen wäre, wie er sich noch vor einer halben Stunde gegeben hatte, dann hätte er sie jetzt wohl kaum schnurstracks verraten. Die Wut stieg Tilda ins Gesicht und machte es feuerrot. Wie konnte er nur! Selbst in dieser Situation wollte er unbedingt jemanden finden, der ihm Recht gab. Und er wollte, dass sie tat, was er für das Beste hielt. In ihren Augen war das das Allerletzte, um was es jetzt ging.
Nun hatte Tilda aber keine andere Wahl mehr. Sie musste sich ihren Eltern erst einmal stellen. Sich so neutral wie möglich zu verhalten war eine große Herausforderung, als sie ihre Mutter so plötzlich am Telefon hatte. Tilda konnte hören, wie sie schluchzte und völlig aufgelöst war. Ihre Stimme hatte diesen anklagenden Unterton, den sie von solchen Gelegenheiten her kannte: „Kind, wieso willst du denn keine Chemotherapie machen? Ludwig sagt, du hast den Termin für den Port heute platzen lassen. Warum machst du dir bloß solche Schwierigkeiten?“ Sie schluchzte in den Hörer, bevor sie fortfuhr: „Ist denn nicht schon alles schlimm genug? Du hast doch gar keine andere Wahl, Mädchen!“ Sie schluchzte erneut auf. „Es ist doch das Einzige, was du tun kannst in dieser schrecklichen Lage! Dein Vater findet das auch!“ Tilda hörte ihren Vater im Hintergrund irgendetwas sagen, konnte ihn aber nicht verstehen. Offenbar hatten ihre Eltern den Lautsprecher eingeschaltet, so dass ihr Vater alles mithören konnte. Tilda hasste diese Angewohnheit ihrer Eltern. Sie war nicht bereit, jetzt mit ihnen die gleiche Diskussion zu führen, wie kurz zuvor mit Ludwig. Sie war einfach nur sauer, weil niemand sie verstehen wollte. Sauer, weil sich niemand die Mühe machen wollte, sich wirklich in ihre Lage zu versetzen. Noch nicht einmal ihre eigenen Eltern wollten das tun. Dabei waren sie intelligente Menschen, die stets hilfreich bemüht gewesen waren, ihr im bisherigen Leben zur Seite zu stehen. Doch sogar sie schienen ihr jetzt in den Rücken fallen zu wollen. Tilda hätte sich so sehr gewünscht, dass sie wenigstens neutral geblieben wären, dass sie sich jetzt mit ihrer Meinung zurückgehalten hätten. Sie wollte unter diesen Umständen ganz bestimmt keine Auseinandersetzung mit ihnen. Tilda liebte sie und wollte keine Eskalation.
Während ihre Mutter auf sie einredete, versuchte Tilda ruhig zu bleiben und nicht unfreundlich zu werden. Während sie sich in Begründungen und Lobpreisungen der mutmaßlichen Hilfe durch moderne Chemotherapie erging, fiel Tilda ihr genervt ins Wort: „Mam, ich habe mir das gut überlegt. Das kannst du mir glauben! Die Chemo wird mich nicht wieder gesund machen. Das ist nur eine Palliativtherapie!“ Ihre Mutter antwortete erregt: „Aber Kind, woher willst du denn das so genau wissen? Die Medizin ist doch heute schon so weit! Vielleicht hilft sie dir ja mehr, als du dir vorstellen kannst?“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Jetzt nach Amerika zu fliegen bringt dich doch erst recht nicht weiter! Doro kann dir dort auch nicht helfen. Und du verlierst so viel wertvolle Zeit!“ Sie schluchzte am anderen Ende der Leitung und putzte sich die Nase. Genau das Argument hatte Tilda schon erwartet. Prompt entgegnete sie ihr schnippisch: „Ich verliere wertvolle Zeit? Aber Mam, das ist doch alles Quatsch! Das wäre nur der Fall, wenn mir die Chemo helfen könnte. Aber ob palliativ oder nicht, die Chemo hilft doch fast niemandem wirklich! Die Leute sterben doch trotzdem alle. Mensch Mam! Überleg´ doch mal! Wenn Krebs die zweithäufigste Todesursache in Deutschland ist, dann sieht es doch echt trübe aus mit der Heilkraft der Chemotherapie. Und dass Doro mir nicht helfen kann, das weiß ich auch allein!“
Offensichtlich entsetzt über ihre harschen Worte fiel ihr nun ihre Mutter ins Wort, wobei sich ihre Stimme überschlug: „So, Kind! Jetzt mach es aber mal halblang! Glaubst du, dass du klüger bist, als die Ärzte?“ Tilda verdrehte die Augen und schnaufte wütend, während sie entgegnete: „Ja, Mam, genau darauf habe ich gewartet. Genau darauf! Natürlich bin ich NICHT klüger, als die Ärzte. Aber ihr beiden, du und Paps, ihr solltet mal genau darüber nachdenken, wie viele Krebskranke ihr kennt. Und dann denkt mal darüber nach, wer von denen wieder gesund geworden ist und wer davon am Ende ins Gras gebissen hat. Jawohl, ins Gras gebissen! Trotz aller Chemotherapie, Bestrahlungen und wissenschaftlichem Schnickschack!“ Tilda machte eine klitzekleine Pause, um dann empört fortzufahren: „Na, und? Wie viele davon sind wieder richtig gesund geworden, Mam? Wie viele fallen dir da ein? Hmmm? Ich hör´ dich gar nicht mehr! Vielleicht müsstet ihr erstmal darüber nachdenken, bevor ihr mir Empfehlungen gebt! Niemand ist mehr am Leben von denen. NIEMAND!!!“ Tildas Stimme überschlug sich. „Ich – mach – da – nicht – mit! Verstehst du mich, Mam? Ich – mach – da – nicht – mit!“
Am anderen Ende der Leitung hörte man ein kurzes rascheln und knacken. Dann war die Stimme ihres Vaters zu hören. Er sagte beschwichtigend: „Mädchen, jetzt reg dich doch nicht so auf. Du bist doch ein kluges Kind. Meine Tochter. Im Grunde genommen ist das ja alles nicht verkehrt, was du da sagst. Aber solange du keine bessere Idee hast, würden wir dir empfehlen, die herkömmliche Therapie zu machen. Wir leben ja, Gott sei Dank, hier in einem Land, wo das möglich ist. In vielen anderen Ländern scheitert das ja häufig schon an den Kosten.“ Tilda entgegnete ihm aufgebracht: „Ja, Paps. Das stimmt. Das kann ich nicht bestreiten. Aber es geht doch hier gar nicht um die Kosten! Es geht darum, dass man nicht alles machen muss, was einem von der modernen Medizin angeboten wird! Manches von diesen Angeboten sind keine Segnungen, an denen jeder teilhaben kann! Manche dieser Angebote können einen Patienten auch ins Verderben stürzen. Das sieht man häufig erst hinterher.“ Sie schniefte: „Ich will mich nicht mit euch streiten. Das führt doch zu nichts. Den Krebs habe nun mal ich. Und deshalb entscheide ich, was ich tun werde. Meine Chancen aus Sicht der Onkologie sind Null, ob mit oder ohne Chemo. Die kann ich übrigens immer noch machen, wenn ich zurückkomme. Die läuft mir nicht weg. In drei Wochen will das Krankenhaus auch noch Geld an mir verdienen, keine Sorge!“ Tilda lachte bitter. „Ihr beiden, wenn Ihr was für mich tun wollt, dann könnt Ihr am Dienstag zum Flughafen kommen und mir eine gute Reise wünschen. Würdet ihr das bitte tun?“ Ihr Vater seufzte nur und ihre Mutter rief von weiter hinten mit schriller Stimme: „Aber Kind, nun sei doch nicht so uneinsichtig…….!!!“ Während sie ihre Mutter im Hintergrund immer noch weiterreden hörte, sie sagte gerade irgendwas von Unvernunft, beendete Tilda mit ihrem Vater kurzentschlossen das Gespräch.
Später, nachdem sie im Internet ihr ESTA-Formular für ihre Einreise in die USA ausgefüllt hatte und bereits nach einigen Minuten eine Bestätigung der US-Behörden erhalten hatte, kam auch Ludwig wieder aus dem Arbeitszimmer heraus. Es war ganz offensichtlich, dass er den Raum als Deckung benutzt hatte, um sich dort zu verkriechen. Seine wasserblauen Augen musterte Tilda einen kurzen Moment lang, um herauszufinden, wie ihr Gemütszustand war. Anscheinend wollte er daraus Schlussfolgerungen ziehen, wie das Telefonat mit ihren Eltern verlaufen war. Tilda jedoch ging schnurstracks an ihm vorbei und würdigte ihn keines Blickes. Ehe sie die Badezimmertür hinter sich schloss, um zu duschen, konnte sie sich nicht verkneifen, ihm ein: „Vielen Dank, du Verräter!“ entgegen zu zischeln. Sie verriegelte geräuschvoll die Badezimmertür hinter sich und hörte